Der Johnny Cash des Kommunismus
Der Mann war ein Phänomen des Kalten Krieges, ein Wanderer zwischen den Fronten: Kennen Sie Dean Reed? Wenn ja, kommen Sie vermutlich aus dem Osten. Reed, geboren 1938 bei Denver, Colorado, ist Rock'n'roll- und Schlagersänger gewesen, Schauspieler (meist gab er den Cowboy), vor allem aber ein stimmgewaltiger Agitator. Wer in der DDR der Siebziger aufwuchs, wurde mit Dean Reed sozialisiert. Ein Foto zeigt ihn samt Gitarre vor Mikrofonen, im weißen Rollkragenpullover, lächelnd, mit gesenktem Kopf, die rechte Faust gereckt - der Sonnyboy aus Amerika im Dienst der guten linken Sache.
1986 ertrank Dean Reed in einem See südlich von Ost-Berlin. Selbstmord, vor mittlerweile 22 Jahren. Doch der Mann führt ein erstaunlich aktives Nachleben.
Dieser Tage erschien ein Werk mit dem Anspruch, "die wahre Geschichte" des Weltenbummlers zu erzählen. "Wer war Dean Reed?" Die Verfasser stammen aus Reeds politischer Wahlheimat: Der Filmpublizist Frank-Burkhard Habel (Jahrgang 1953) arbeitete als Aufnahmeleiter beim Staatsfernsehen der DDR, Thomas Grossman (geboren 1956 in Leipzig), Sohn von Reeds Freund und Landsmann Victor Grossman, war in den Achtzigern Redakteur bei der besonders linientreuen "Jungen Welt".
Die Autoren erinnern an Meilensteine und Wendepunkte der Reedschen Biographie. 1959: ein Vertrag beim Plattenlabel Capitol Records; der Rock'n'Roller scheitert. Dann ein zweiter Start, als Teenie-Idol in Südamerika, wo er Stadien füllt, Dean Reed - in diesem Teil des Universums beliebter als Elvis Presley. Er trifft Che Guevara, Salvador Allende, und auf einmal will auch er Revolutionär und Sozialist sein. Ab Mitte der Sechziger pendelt Reed zwischen Kommunismus und Kommerz, er tourt als Sänger mit unglaublichem Erfolg durch die Sowjetunion und dreht in Rom peinliche Spaghetti-Western. 1971 verliebt er sich in eine Lehrerin aus der DDR, 1972 siedelt er über.
Was sucht und findet Dean Reed in der DDR? Das angenehme Gefühl, auf der richtigen Seite der Barrikade zu stehen. Und das schöne Leben eines Stars, Privilegien. Das heißt: ein Haus am See, Film-, Fernseh-, Plattenverträge, eigene Shows, dazu die Freiheit, die ein US-Pass bietet. Und wozu braucht die DDR den Ami? Reed bringt einen Hauch Glamour, Weite, Abenteuer ins Alltagsgrau. (Alle Westkünstler im Osten haben die Hysterie anspruchsloser Fans erlebt.)
Honecker & Co. machen den linken Yankee, diesen Überläufer, zum Paradepferd ihrer Propaganda. Und Reed genießt die Nähe der Macht, bei Bedarf wendet er sich direkt an "Erick". 1984 schreibt die New York Times: "He is a golden East Bloc superstar, the Johnny Cash of Communism." Doch da ist Reeds Stern schon am Verlöschen und das System, dem er sich verschrieben hat, nahe am Abgrund...
Reed sah sich als "American Rebel". Aussagen von Weggefährten - im Buch versammelt - zeichnen ein vielschichtiges Bild. Wie ein Mythenheld wirkt er da, aber auch wie ein Träumer mit Hang zu Kitsch und Märtyrerposen. Ein Macho, sehr amerikanisch. Realitätsfremd, egozentrisch, naiv und pathetisch. Ein "Edelkommunist" und "Showman", ein "Schwarmgeist des Sozialismus". Der Begriff Revolution, notierte Victor Grossman, "war in seiner Phantasie mit ihm selbst verbunden, wie er auf einem weißen Roß die Barrikaden angreift".
Die Autoren der "wahre(n) Geschichte" erlebten offenbar einen anderen Menschen. Dean Reed, schreiben sie, war "ein Kämpfer, der sich immer für andere einsetzte, vor allem für die Unterdrückten und Rechtlosen"; er "legte die Finger immer wieder auf politische Wunden", er suchte "den Kontakt zu den arbeitenden Menschen" und genoss "die Achtung der Mehrzahl der Bevölkerung in der DDR". An solchen Stellen verwandelt sich der Biographentext in realsozialistische Verlautbarungsprosa, ganz im Stil der alten Parteipresse. Kritik am Helden, ehrliche Worte? Gibt es nur in Verneinungen, Relativierungen, Umschreibungen.
Um dem Phänomen gerecht zu werden, hätten die Autoren auf soziologische und anthropologische Fragen eingehen müssen. (Sie versuchten es nicht einmal, schade.) Warum wurde der Mann trotz seiner künstlerischen und moralischen Defizite im Osten so gefeiert? Weil er aus dem feindlichen, insgeheim beneideten Westen kam, weil seine Anwesenheit östliches Selbstwertgefühl steigerte? (Seht her, der Mann aus Colorado lebt freiwillig hier!) Und warum steigt seine Popularität derzeit wieder? Weil in der ideologischen Wüste nach der Jahrtausendwende zum einen ein Bedürfnis nach Sinnstiftung existiert, nach Leitbildern und Erlöserfiguren?
Unsere Zeit brauche "Idealisten", glauben die Autoren (mit Verweis auf den Cowboy) - als sei jeder "Idealist" per se gut für die Menschheit. "Dean Reed" steht für jenes System, das bald nach ihm verschwand. Man kann, heißt das, für den Amerikaner schwärmen und die DDR meinen. "Die wahre Geschichte" des Dean Reed haben uns die Autoren nicht erzählt. Doch sie erhellten - wenn auch ungewollt - einen komplizierten Fall von Ostalgie.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Frank-Burkhard Habel unter Mitarbeit von Thomas Grossman: Dean Reed - Die wahre Geschichte
Verlag Neues Leben, Berlin 2008.
315 Seiten, mit vielen Fotos. 19,90 Euro
Dieser Tage erschien ein Werk mit dem Anspruch, "die wahre Geschichte" des Weltenbummlers zu erzählen. "Wer war Dean Reed?" Die Verfasser stammen aus Reeds politischer Wahlheimat: Der Filmpublizist Frank-Burkhard Habel (Jahrgang 1953) arbeitete als Aufnahmeleiter beim Staatsfernsehen der DDR, Thomas Grossman (geboren 1956 in Leipzig), Sohn von Reeds Freund und Landsmann Victor Grossman, war in den Achtzigern Redakteur bei der besonders linientreuen "Jungen Welt".
Die Autoren erinnern an Meilensteine und Wendepunkte der Reedschen Biographie. 1959: ein Vertrag beim Plattenlabel Capitol Records; der Rock'n'Roller scheitert. Dann ein zweiter Start, als Teenie-Idol in Südamerika, wo er Stadien füllt, Dean Reed - in diesem Teil des Universums beliebter als Elvis Presley. Er trifft Che Guevara, Salvador Allende, und auf einmal will auch er Revolutionär und Sozialist sein. Ab Mitte der Sechziger pendelt Reed zwischen Kommunismus und Kommerz, er tourt als Sänger mit unglaublichem Erfolg durch die Sowjetunion und dreht in Rom peinliche Spaghetti-Western. 1971 verliebt er sich in eine Lehrerin aus der DDR, 1972 siedelt er über.
Was sucht und findet Dean Reed in der DDR? Das angenehme Gefühl, auf der richtigen Seite der Barrikade zu stehen. Und das schöne Leben eines Stars, Privilegien. Das heißt: ein Haus am See, Film-, Fernseh-, Plattenverträge, eigene Shows, dazu die Freiheit, die ein US-Pass bietet. Und wozu braucht die DDR den Ami? Reed bringt einen Hauch Glamour, Weite, Abenteuer ins Alltagsgrau. (Alle Westkünstler im Osten haben die Hysterie anspruchsloser Fans erlebt.)
Honecker & Co. machen den linken Yankee, diesen Überläufer, zum Paradepferd ihrer Propaganda. Und Reed genießt die Nähe der Macht, bei Bedarf wendet er sich direkt an "Erick". 1984 schreibt die New York Times: "He is a golden East Bloc superstar, the Johnny Cash of Communism." Doch da ist Reeds Stern schon am Verlöschen und das System, dem er sich verschrieben hat, nahe am Abgrund...
Reed sah sich als "American Rebel". Aussagen von Weggefährten - im Buch versammelt - zeichnen ein vielschichtiges Bild. Wie ein Mythenheld wirkt er da, aber auch wie ein Träumer mit Hang zu Kitsch und Märtyrerposen. Ein Macho, sehr amerikanisch. Realitätsfremd, egozentrisch, naiv und pathetisch. Ein "Edelkommunist" und "Showman", ein "Schwarmgeist des Sozialismus". Der Begriff Revolution, notierte Victor Grossman, "war in seiner Phantasie mit ihm selbst verbunden, wie er auf einem weißen Roß die Barrikaden angreift".
Die Autoren der "wahre(n) Geschichte" erlebten offenbar einen anderen Menschen. Dean Reed, schreiben sie, war "ein Kämpfer, der sich immer für andere einsetzte, vor allem für die Unterdrückten und Rechtlosen"; er "legte die Finger immer wieder auf politische Wunden", er suchte "den Kontakt zu den arbeitenden Menschen" und genoss "die Achtung der Mehrzahl der Bevölkerung in der DDR". An solchen Stellen verwandelt sich der Biographentext in realsozialistische Verlautbarungsprosa, ganz im Stil der alten Parteipresse. Kritik am Helden, ehrliche Worte? Gibt es nur in Verneinungen, Relativierungen, Umschreibungen.
Um dem Phänomen gerecht zu werden, hätten die Autoren auf soziologische und anthropologische Fragen eingehen müssen. (Sie versuchten es nicht einmal, schade.) Warum wurde der Mann trotz seiner künstlerischen und moralischen Defizite im Osten so gefeiert? Weil er aus dem feindlichen, insgeheim beneideten Westen kam, weil seine Anwesenheit östliches Selbstwertgefühl steigerte? (Seht her, der Mann aus Colorado lebt freiwillig hier!) Und warum steigt seine Popularität derzeit wieder? Weil in der ideologischen Wüste nach der Jahrtausendwende zum einen ein Bedürfnis nach Sinnstiftung existiert, nach Leitbildern und Erlöserfiguren?
Unsere Zeit brauche "Idealisten", glauben die Autoren (mit Verweis auf den Cowboy) - als sei jeder "Idealist" per se gut für die Menschheit. "Dean Reed" steht für jenes System, das bald nach ihm verschwand. Man kann, heißt das, für den Amerikaner schwärmen und die DDR meinen. "Die wahre Geschichte" des Dean Reed haben uns die Autoren nicht erzählt. Doch sie erhellten - wenn auch ungewollt - einen komplizierten Fall von Ostalgie.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Frank-Burkhard Habel unter Mitarbeit von Thomas Grossman: Dean Reed - Die wahre Geschichte
Verlag Neues Leben, Berlin 2008.
315 Seiten, mit vielen Fotos. 19,90 Euro