Der Just-in-time-Lebensstil und seine Kosten

Alles! Und das sofort!

Ein Mitarbeiter transportiert am 28.04.2017 beim Amazon Logistikzentrum in Rheinberg.
Amazon-Logistikzentrum in Rheinberg: Je schneller die Ware beim Kunden ist, umso besser © dpa/Ina Fassbender
Von Stephan Rammler |
7-10 Tage dauerte es in den 90er-Jahren, bis die Post ein im Versandhandel bestelltes Produkt brachte. Inzwischen sind wir bei 5-6 Stunden, und irgendwann werden es wenige Minuten sein. Das hat mehr Konsequenzen, als wir derzeit ahnen.
Einmal wollte Amazon-Chef Jeff Bezos Feuer machen. Nur fehlte Holz. Da hatte er die Idee für den Amazon-Blitzversand. Keine Lieferung soll länger als eine Stunde auf sich warten lassen.
Bezos fackelte nicht lange: Heute will Amazon den Konsum mit einem sofortigen Lieferversprechen revolutionieren. Just-In-Time nannte man das früher in der Autoindustrie. Idee war, die Lagerhaltungskosten zu reduzieren, indem man die Bauteile zum richtigen Zeitpunkt ans Fließband liefern lässt. Folge waren mehr LKWs. Die Kosten der aufwändigeren Straßenerhaltung und Staus wurden der Allgemeinheit aufgebürdet.

Die Straßen als virtuelles Lager

Könnte uns das beim privaten Konsum auch blühen und die Straßen als virtuelles Lager digitalisierter Just-in-Time-Lebensstile kolonialisieren? Ja!
Es ist sogar wahrscheinlich: Je besser Amazon und Co. den eCommerce beherrschen, desto mehr Kunden aus den gestressten Eliten werden sich die Annehmlichkeiten des Just-in-Time-Konsums eine Menge Geld kosten lassen.
Spät aus München oder New York zurück, trotzdem spontan Freunde einladen? Kein Problem: Amazon liefert Essen, Rezept und Küchengerät. Je mehr Kunden sich darauf einlassen, desto günstiger werden sich die Dienste in Zukunft entwickeln und für einen immer größeren Kundenstamm attraktiv werden.

"Echo" startet vorsorglich die Lieferkette

Doch Amazon denkt weiter: Ziel ist der "vorrausschauende Versand, der den Kundenwunsch antizipiert". Dahinter steckt die "predictive Analyse" von Kundendaten. Alle Bestellungen, alle im Netz hinterlassenen Spuren von Vorlieben und Wünschen werden so zu immer perfekteren Kundenprofilen, die sich für immer neue Dienstleistungen nutzen lassen.
Der Amazon Echo Dot ist ein Lautsprecher, der auf den Namen "Alexa" hört und als Sprach-Schnittstelle zu Amazon-Produkten fungiert. Über den Amazon Echo Dot lassen sich Waren bestellen und Geräte im Haushalt steuern. 
Amazon Echo: Spion im Wohnzimmer© picture alliance/dpa/Markus C. Hurek
Gipfel der Bemühung um den gläsernen Kunden ist Amazon Echo, ein vasengroßes Gerät mit ständiger Verbindung zum Dienstleister.

Der Spion im Wohnzimmer

Echo ist ein Spion im Wohnzimmer, denn es kann nicht nur Rollläden, Heizungs- oder Musikanlagen steuern, sondern es hört auch alle Gespräche zu Konsumwünschen mit und startet vorsorglich die Lieferkette.
Klagt der Gatte über Kopfschmerzen, wird ihm eine Tabletten-Lieferung vorgeschlagen. Spricht die Gattin über ein neues Buch, so markiert Echo den möglichen Lieferwunsch und schickt das Buch in ein regionales Zwischenlager in der Nähe der Kundin.
Sollte sie das Buch wirklich bestellen, kann Amazon dem Lieferwunsch innerhalb einer halben Stunde entsprechen, was in der zunehmend umkämpften Lieferbranche einen riesigen Wettbewerbsvorteil ausmacht.

Just-in-Time-Leben führt zu Verzicht auf Besitz

Kurz: Das Entstehen von Just-in-Time-Lebensstilen ist mit Blick auf die Verknüpfung des Trends zur Sharing Economy mit dem eCommerce ziemlich wahrscheinlich. In Reinform führte dieser Lebensstil zum völligen Verzicht auf Besitz. Der Nutzen aller Güter des täglichen Lebens würde anteilig bezahlt und konsumiert, verlässlich zeitgerecht angeliefert und wieder entsorgt. Die Folgen wären weitreichend:

Das "Ersparte" wird in weiteren Konsum investiert

Zwar entstünden durch konsequenten Verzicht zunächst gigantische finanzielle und zeitliche Einsparungen, aber die würden aller Erfahrung nach eben nicht zu einem geringeren Gesamtumsatz führen.
Im Gegenteil: Das "Ersparte" würde in weiteren Konsum investiert werden. Das wiederum hätte massive Verkehrszuwächse in der urbanen Lieferbranche zur Folge, die Kunden beliefert, die jeder Hinsicht zu "gläserne Konsumenten" geworden sind.

Lieber mit der analogen Axt in den Wald

Wenn Jeff Bezos sich in Zukunft ein Feuer wünscht, so werden ihm die digitalen Spürnasen diesen Gedanken wahrscheinlich direkt an den Synapsen ablesen können. Und zwar bevor er ihn überhaupt gedacht hat.
Ich gehe lieber mit der analogen Axt in den Wald.

Stephan Rammler ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher und Gründungsdirektor des Instituts für Transportation Design (ITD) sowie Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.


Stephan Rammler ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher.
© Nicolas Uphaus
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