Der Kabarettist als Integrationspolitiker

Von Christian Geuenich |
Der 34-jährige Fatih Cevikkollu ist Kölner mit türkischen Wurzeln. Mit seinem Soloprogramm "Fatihland" möchte er "Einblick in seine persönliche Parallelgesellschaft" geben. Der diesjährige Gewinner des renommierten Kleinkunstpreises "Prix Pantheon" tourt derzeit durch Deutschland.
"Wir Deutschen, wir nennen alle Türken Ali, hat sich so ergeben, sehen alle gleich aus, sollen sich mal nicht so anstellen. Und wir Türken nennen alle Deutschen Hans, sehen alle gleich aus" ... "Ich muss das immer so erklären, weil ich seh aus wie Ali und sprech wie Hans."

Im Gespräch nach seiner fast zweistündigen Show versucht Fatih Cevikkollu, das Wort "Integration" zu vermeiden. Er wünscht sich, dass Ali und Hans einfach selbstverständlich zusammenleben:

"Ich bin der Selbstverständlichkeitsbeauftragte meines Fatihlandes, und ich möchte Selbstverständlichkeit schaffen durch Empathie, durch Mitgefühl. Mitfühlen, nicht Mitleid und Häme und Gedanken, Kopf, sondern einfach an das Herz appellieren, ein emotionales Erlebnis schaffen durch das Programm."

Cevikkollus Integrationspolitik funktioniert ohne erhobenen Zeigefinger – stattdessen setzt der Selbstverständlichkeitsbeauftragte mit den lachenden braunen Augen, den kurzen schwarzen Haaren und dem unnachahmlichen breiten Lächeln ganz auf den Humor seiner Zuschauer:

"Weil das Lachen geht vielleicht ans Herz, und das ist ganz wichtig, weil nur übers Herz kann Empathie entstehen und nicht über den Kopf."

Dafür setzt der 1,75 große energiegeladene Kabarettist auf der Bühne seinen ganzen Körper ein, zieht Grimassen, tanzt und rappt, spielt und lebt jede Rolle überzeugend. Egal, ob er seinen Vater, Italiener, Brasilianer oder deutsche Zollbeamte mimt, seine 10-jährige Schauspielerfahrung merkt man sofort. Er macht sich über den Einbürgerungstest in Baden-Württemberg lustig, nennt ihn einen "Moslem-TÜV" und beklagt den letzten Platz der Türken auf der Skala der beliebtesten Ausländer.

"Es ist einfach ein Imageproblem von vorne bis hinten, guck mal, selbst wenn du Türken wolltest, dann nimmst du den Griechen, weil der Grieche ist der Türke als Christ."

Der Kölner weist mit selbstironischem Blick auf die illusorische Zukunftsvorstellung vieler türkischer Familien hin, die Deutschland immer noch als Zwischenstation bei der Rückkehr in die Heimat sehen.

"So ein ständiges Leben im Stand-by-Modus, so nach dem Motto "Der Vater muss noch mal eben 20 Jahre ranklotzen, dann fahrn wir aber auch gleich los, zieh schon mal die Schuhe an"."

Seine Eltern sind vor ein paar Jahren tatsächlich in die Türkei zurückgekehrt, Fatih Cevikkollu hat dagegen seit letztem Jahr einen deutschen Pass und ist damit der einzige "Hans" in der Familie, wie er lachend erzählt.

Ein paar Tage später im Hinterzimmer des Friseursalons seines älteren Bruders Faik in Köln-Nippes. Fatih Cevikkollu hat den braunen Bühnenanzug und das weiße Hemd gegen eine schwarze stylische Trainingshose und einen grauen Kapuzenpulli getauscht. Er kommt gerade von den Dreharbeiten zu "Alles Atze", der RTL-Sitcom, in der er seit Beginn der Serie 1999 Atzes Azubi Murat spielt.

" "Vordergründig sieht's erstmal so aus, das ist dem Atze sein Ali, dem Hans sein Ali, aber er ist der einzige, der da den Durchblick hat, wie Don Quijote und Sancho Pansa, wo der Knappe seinen Herrn vor dem Untergang rettet."

Dabei ist es eigentlich eher einem Zufall zu verdanken, dass Cevikkollu Schauspieler und Kabarettist geworden ist. Nach dem Abitur überlegt er während unzähliger Aushilfsjobs zwei Jahre lang, welcher Beruf ihm wirklich Spaß machen könnte. Schließlich schließt er sich spontan einem Kölner Jugendtheater an und spielt vier Jahre lang deutschlandweit vor Schulklassen. 1997 wird er als erster Türke an der renommierten Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin angenommen und beginnt eine "grausame, aber sehr, sehr gute Ausbildung", wie er heute resümiert.

"Ich wurde ständig kritisiert, du bist arrogant, du bist distanziert, du bist verschlossen, ich sag ‚seid ihr doof?’ Ich bin nichts von alledem. Und interessant wurde es an dem Punkt, wo ich mir dachte, okay, wenn ich all diese Sachen habe, die die da sagen, und ich die versuche loszuwerden, erster Schock, ich kann das nicht loswerden, und dann ist die zweite Frage, wenn das nicht ich bin, wer bin ich dann, und da bist du schon mitten im Schleudergang drin."

Cevikkollu ist lange unbeugsam, steht kurz davor, von der Schauspielschule geschmissen zu werden und muss sich erst wieder selber finden. Danach spielt er drei Spielzeiten am Düsseldorfer Schauspielhaus, allerdings nicht immer gerne.

"Weil Theater ist ne Maschine und du bist ein kleines Rädchen in dieser Maschine und du funktionierst, Punkt. Mit Arbeitsroutine, morgens proben, abends spielen, es gibt keinen einzigen freien Tag, das heißt du ackerst wie ein Pferd, wirst bezahlt wie ein Pony, und es braucht dich auch auf, es gibt kein privates Leben mehr, ich fand das furchtbar."

Deswegen kündigt er am Theater und wartet anschließend ein Jahr auf gute Drehbücher. Mit seinem Soloprogramm hat sich Cevikkollu endlich unabhängig gemacht und auch wieder mehr Zeit für sein Privatleben. Der 34-Jährige ist seit einem Jahr glücklich mit einer Opernkabarettistin verheiratet und wird bald Vater.

Cevikkollu rappt: "Sei meine Lena, ich bin dein Leonce, wir zwei in Trance, du und ich das hieß Balance."

"Bei der Action, die in meinem Alltag immer drin steckt, ist eigentlich die schönste Freizeit wirklich nichts zu tun, wirklich zu Hause mit der Frau, kuscheln, spazierengehn, wat essen, wieder kuscheln, mal ne DVD holen, abhängen, dicken Eimer Eis dabei löffeln."

Nebenbei moderiert und organisiert er seit einem Jahr im Friseursalon seines Bruders den "No Maganda-Club", den "kein Asi-Club", in dem sich unbekannte Stand-up-Comedians vor Publikum ausprobieren können. Mit dem diesjährigen Gewinn des renommierten "Prix Pantheon" als bester Newcomer hat Cevikkollu im Eiltempo die Kabarettisten-Spitze erklommen und seine Ungeduld und unbändige Energie in die für ihn richtigen Bahnen gelenkt:

"Ich war berufstechnisch noch nie so glücklich wie zurzeit, dass du in Eigenregie, Eigenverantwortung dich solo auf die Bühne stellst, zwei Stunden lang den Menschen einen erzählst, die Pipi in die Hose machen vor lachen, gleichzeitig noch nen Gedankenanstoß mitbekommen, glücklich und zufrieden nach Hause gehen, berührt am besten auch noch, also Dankeschön!"

Service:
Die nächsten Auftritte von Fatih Cevikkollu mit "Fatihland" sind in Köln auf dem Comedy Festival (21.9.), in Lügde im Klostersaal (22.9.) und in Mönchengladbach in der Spindel (23.9.).