Der Kalendercomputer von Antikythera

Ein Klumpen, den Schwammtaucher 1901 aus einem 2000 Jahre alten Schiffswrack vor der griechischen Insel Antikythera bargen, entpuppte sich als ein mechanisches Gerät. Jo Marchant erzählt die langwierige Rekonstruktion des Mechanismus mit unaufgeregter sprachlicher Leichtigkeit als Wissenschaftsabenteuer.
Ein Klumpen, den Schwammtaucher 1901 aus einem 2000 Jahre alten Schiffswrack vor der griechischen Insel Antikythera bergen, entpuppt sich als ein mechanisches Gerät, das seiner Zeit um 1000 Jahre voraus zu sein scheint. Was nach dem Stoff für eine fantastische Erzählung klingt, ist Realität. Wissenschaftsjournalistin Jo Marchant erzählt die langwierige Geschichte der Entschlüsselung des Antikythera-Mechanismus und fasst die neusten Erkenntnisse zusammen.

"Man kann die Einzigartigkeit dieses Fundes kaum überschätzen", schreibt Jo Marchant und schiebt im Laufe ihres Buches noch ein paar Superlative hinterher: Der Antikythera-Mechanismus sei das wichtigste Einzelartefakt aus dem klassischen Griechenland und eine der größten mechanischen Erfindungen aller Zeiten.

Die von Kalkablagerungen überkrusteten Reste des Gerätes wurden neben einer Vielzahl von Amphoren, Kannen, Kessel, Glasgefäßen und Statuen aus Marmor und Bronze von einem Schiff geborgen, das vermutlich 70 bis 60 vor Christus vor der kleinen Insel Antikythera sank. Der Klumpen blieb einige Zeit unbeachtet, bis jemand die feinen Zahnräder an dem Apparat bemerkte und stutzig wurde. Zahnräder aus der Antike? Das passte nicht so recht in die Vorstellung vom Stand der griechischen Technik. Und was war dieser Apparat? Ein Astrolabium, ein Navigationsinstrument, ein Kalendarium oder Planetarium?

Erich von Däniken spekulierte 1969 wild, es handle sich um ein von Außerirdischen inspiriertes Artefakt. Jo Marchant hält sich hingegen an die Fakten und erzählt die langwierige Rekonstruktion des Mechanismus als Wissenschaftsabenteuer. Erst als die wenigen Bruchstücke 100 Jahre nach dem Fund mit modernster Röntgen- und Computertechnik durchleuchtet werden, formt sich ein klares Bild von ihrer Funktionsweise. Das Gerät mit den Ausmaßen eines dicken Buches war ein Kalendercomputer, der auf Zifferblättern auf der Vorder- und Rückseite die Bewegung von Sonne und Mond und deren Finsternisse darstellen konnte. Außerdem zeigte er die Jahre der Olympischen Spiele und vielleicht sogar die Bewegung der bekannten Planeten an. Das astronomische Wissen und die mechanischen Fertigkeiten, die zum Bau eines solchen Apparates nötig sind, sind enorm. Bis heute kennt niemand ein vergleichbares Artefakt aus der Antike.

Mit unaufgeregter sprachlicher Leichtigkeit, umfassend und genau schildert Jo Marchant die Geschichte des Instrumentes von seinem Fund bis in die nahe Gegenwart, stellt die Forscher vor, die sich mit ihm beschäftigten, ihre Irrwege und Durchbrüche und ihren Wettstreit um die Deutungshoheit des Mechanismus. Das Buch endet mit einem Ausblick auf die immer noch ungelösten Fragen. Wer schuf dieses Gerät? Wer hatte das nötige Know-how und die nötigen Fertigkeiten dazu? War es ein Einzelstück? Der Kalendercomputer von Antikythera stellt unser Verständnis der Menschen in der Antike infrage. Jo Marchants Buch räumt diesem in seiner Bedeutung immer noch unterschätzten Artefakt endlich den Raum ein, der ihm gebührt.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Jo Marchant: Die Entschlüsselung des Himmels. Der erste Computer – Ein 2000 Jahre altes Rätsel wird gelöst
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2011,
304 Seiten, 22,95 Euro
Mehr zum Thema