Der Kampf um Ressourcen
Es sind unheimliche Szenarien, die der Sozialpsychologe Harald Welzer in seinem neuen Buch "Klimakriege" ausmalt: Die Konsequenzen des Klimawandels, so prophezeit er, werden Menschen zu radikalen Lösungen greifen lassen, an die sie zuvor nie gedacht hätten. Bei den neuen Gewaltkonflikten des 21. Jahrhunderts geht es laut Welzer vor allem um eines: lebenswichtige Ressourcen.
Harald Welzer empfiehlt dem optimistischen Leser fürsorglich, die Lektüre besser mit dem ersten Schlusskapitel zu beenden – das zweite raube ihm den Optimismus. Dabei hat Welzer auf den Seiten zuvor auch dem Zuversichtlichsten schon den Boden unter den Füßen weggezogen. "Klimakriege" der nahen Zukunft schildert er, und der Untertitel präzisiert in aller Deutlichkeit: "Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird".
Für Welzer ist der Klimawandel kein naturwissenschaftliches, sondern ein kulturelles Problem: Er bedroht das Zusammenleben von Menschen. Steigende Temperaturen verschieben fruchtbare und bewohnbare Zonen. Wüsten rücken vor, Wasser wird knapper oder überflutet das Land. Für die Verursacher, die früh industrialisierten Länder Westeuropas und Nordamerikas, fallen die Veränderungen gering aus. Am meisten leiden die armen Länder unter ihnen – jene, die zugleich die schwächsten Institutionen und die geringsten Kapazitäten haben, um den Katastrophen zu begegnen. Ihre Bürger werden im Überlebenskampf zur Gewalt greifen, denn arme Staaten können ihre Rechte nur unzureichend vertreten.
Umweltveränderungen und Gewalt lassen die Flüchtlingsströme anschwellen. Bis 2050 wird mit ihrer Verzehnfachung gerechnet. Spätestens mit ihnen, sowie wegen der zusammenbrechenden politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, erreichen die Folgen des Klimawandels auch die von ihm vergleichsweise gering betroffenen Länder. Die EU und die USA haben bereits damit begonnen, ihre Grenzen aufwändig abzuschotten, die Verantwortung für Flüchtlinge an die Transitstaaten etwa in Nordafrika zu delegieren und Bürgerrechte zugunsten der Terrorismusbekämpfung einzuschränken. Die Fülle des hierzu von Welzer zusammengetragenen Materials erschreckt.
Der Sozialpsychologe listet keine künftigen Konflikte auf, er präsentiert die bisher eingetretenen Veränderungen des Sozialen so wie Naturwissenschaftler Messergebnisse. Die zweite Ebene seines Buches handelt von der Gewalt. Da Welzer, wie der polnische Philosoph Zygmunt Baumann, den Holocaust nicht für einen Betriebsunfall der Moderne, sondern für deren rationale Konsequenz hält, reflektiert er den bisher erreichten Standard der Gewaltanwendung an den Konflikten des 20. Jahrhunderts: an der nationalsozialistischen Judenvernichtung, am Völkermord an den Tutsi, den Kriegen und ethnischen Säuberungen in Jugoslawien, Darfur und Sudan. Mittlerweile sind zwischenstaatliche Kriege die Ausnahme. Es gibt Gewaltmärkte und Warlords, die mit Gewalt Geld verdienen und an deren Ende kein Interesse haben.
Fatalerweise erkennen Menschen weder die Veränderungen des Klimas noch des Sozialen. Ihre Sicht der Wirklichkeit verändert sich nämlich mit der Wirklichkeit. "Shifting baselines" nennen Umweltpsychologen das Phänomen, dass Menschen immer jenen Zustand für den "natürlichen" halten, der mit ihrer Lebens- und Erfahrungszeit zusammenfällt. Mit sich verschiebenden Referenzrahmen im Sozialen hat Welzer schon in seiner Studie über nationalsozialistische "Täter" aus dem Jahr 2005 versucht zu erklären, "wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden". Noch 1933 wäre die Judenvernichtung unvorstellbar gewesen, atemberaubend wenige Jahre später war sie es nicht mehr. Die "gefühlten Probleme" des Klimawandels, prophezeit Welzer, werden Menschen zu radikalen Lösungen greifen lassen, an die sie zuvor nie gedacht hätten.
"Klimakriege" ist ein Beitrag zur Katastrophensoziologie, der es an Düsterheit mit seinem Gegenstand aufnehmen kann. Lösungen bietet Welzer nicht. Seine einzige Hoffnung ist ein kultureller Wandel: erweiterte, außerparlamentarische "Kommunikations- und Teilhabechancen" sollen den Bürgern erlauben, sich mit ihrer Gesellschaft zu identifizieren und die dringenden Zukunftsprobleme zu lösen. Verglichen mit dem Zukunftsszenario der Klimakriege klingt diese Hoffnung recht wolkig. Doch nach der niederschmetternden Lektüre dürften sie nicht nur Optimisten dankbar aufnehmen.
Rezensiert von Jörg Plath
Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
336 Seiten, EUR 19,90
Für Welzer ist der Klimawandel kein naturwissenschaftliches, sondern ein kulturelles Problem: Er bedroht das Zusammenleben von Menschen. Steigende Temperaturen verschieben fruchtbare und bewohnbare Zonen. Wüsten rücken vor, Wasser wird knapper oder überflutet das Land. Für die Verursacher, die früh industrialisierten Länder Westeuropas und Nordamerikas, fallen die Veränderungen gering aus. Am meisten leiden die armen Länder unter ihnen – jene, die zugleich die schwächsten Institutionen und die geringsten Kapazitäten haben, um den Katastrophen zu begegnen. Ihre Bürger werden im Überlebenskampf zur Gewalt greifen, denn arme Staaten können ihre Rechte nur unzureichend vertreten.
Umweltveränderungen und Gewalt lassen die Flüchtlingsströme anschwellen. Bis 2050 wird mit ihrer Verzehnfachung gerechnet. Spätestens mit ihnen, sowie wegen der zusammenbrechenden politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, erreichen die Folgen des Klimawandels auch die von ihm vergleichsweise gering betroffenen Länder. Die EU und die USA haben bereits damit begonnen, ihre Grenzen aufwändig abzuschotten, die Verantwortung für Flüchtlinge an die Transitstaaten etwa in Nordafrika zu delegieren und Bürgerrechte zugunsten der Terrorismusbekämpfung einzuschränken. Die Fülle des hierzu von Welzer zusammengetragenen Materials erschreckt.
Der Sozialpsychologe listet keine künftigen Konflikte auf, er präsentiert die bisher eingetretenen Veränderungen des Sozialen so wie Naturwissenschaftler Messergebnisse. Die zweite Ebene seines Buches handelt von der Gewalt. Da Welzer, wie der polnische Philosoph Zygmunt Baumann, den Holocaust nicht für einen Betriebsunfall der Moderne, sondern für deren rationale Konsequenz hält, reflektiert er den bisher erreichten Standard der Gewaltanwendung an den Konflikten des 20. Jahrhunderts: an der nationalsozialistischen Judenvernichtung, am Völkermord an den Tutsi, den Kriegen und ethnischen Säuberungen in Jugoslawien, Darfur und Sudan. Mittlerweile sind zwischenstaatliche Kriege die Ausnahme. Es gibt Gewaltmärkte und Warlords, die mit Gewalt Geld verdienen und an deren Ende kein Interesse haben.
Fatalerweise erkennen Menschen weder die Veränderungen des Klimas noch des Sozialen. Ihre Sicht der Wirklichkeit verändert sich nämlich mit der Wirklichkeit. "Shifting baselines" nennen Umweltpsychologen das Phänomen, dass Menschen immer jenen Zustand für den "natürlichen" halten, der mit ihrer Lebens- und Erfahrungszeit zusammenfällt. Mit sich verschiebenden Referenzrahmen im Sozialen hat Welzer schon in seiner Studie über nationalsozialistische "Täter" aus dem Jahr 2005 versucht zu erklären, "wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden". Noch 1933 wäre die Judenvernichtung unvorstellbar gewesen, atemberaubend wenige Jahre später war sie es nicht mehr. Die "gefühlten Probleme" des Klimawandels, prophezeit Welzer, werden Menschen zu radikalen Lösungen greifen lassen, an die sie zuvor nie gedacht hätten.
"Klimakriege" ist ein Beitrag zur Katastrophensoziologie, der es an Düsterheit mit seinem Gegenstand aufnehmen kann. Lösungen bietet Welzer nicht. Seine einzige Hoffnung ist ein kultureller Wandel: erweiterte, außerparlamentarische "Kommunikations- und Teilhabechancen" sollen den Bürgern erlauben, sich mit ihrer Gesellschaft zu identifizieren und die dringenden Zukunftsprobleme zu lösen. Verglichen mit dem Zukunftsszenario der Klimakriege klingt diese Hoffnung recht wolkig. Doch nach der niederschmetternden Lektüre dürften sie nicht nur Optimisten dankbar aufnehmen.
Rezensiert von Jörg Plath
Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
336 Seiten, EUR 19,90