Der Kampf um Troja
Homers Ilias ist eines der ältesten Epen der abendländischen Literatur. Es schildert die letzten Tage der Stadt Troja, die die Griechen zehn Jahre belagerten, um sich für den Raub der Gattin des Menelaos, Helena, zu rächen. Der 1958 geborene Alessandro Baricco erzählt die Geschichte neu.
"Ich war berühmt, weil ich gern schlecht redete von den Königen, von allen Königen. Die Achäer hörten mir zu und lachten. Und deshalb hassten mich die Könige der Achäer. Ich will euch erzählen, was ich weiß, damit auch ihr versteht, was ich verstanden habe: Der Krieg ist eine Obsession der alten Männer, und in den Kampf schicken sie die jungen."
Kein Hexameter, keine geflügelten Worte: Alessandro Baricco versetzt Homer in unsere Zeit. Aus dem 15000 Verse umfassenden Monumentalwerk macht er ein handliches Buch in Prosa. Sein radikalster Eingriff: Er hat alle Auftritte der Götter gestrichen.
Was zunächst befremdet, überzeugt in seiner Konsequenz dann doch. Da hinter den göttlichen Taten letztlich immer ein menschliches Motiv steht, lässt sich dem Geschehen um den Krieg aller Kriege ein solides säkulares Gerüst einziehen. Das heißt für Baricco: "Cherchez la femme". Der Krieg gegen Troja wurde wegen der Entführung einer Frau vom Zaune gebrochen, der oberste Held Achill entzweite sich mit Agamemnon, dem Führer der Griechen, über eine Frau. Achill in seinem Zorn tritt in Streik – mit fatalen Folgen für das Kriegsglück der Griechen.
"Ich sage euch, ich werde ihm nicht zu Hilfe kommen, weder im Kampf noch durch meinen Rat. Auch wenn er mir so viele Geschenke anbieten würde, wie es Sandkörnchen gibt, selbst dann würde es ihm nicht gelingen, meinen Sinn zu beugen."
In Bariccos "Ilias" gibt es keinen allwissenden Erzähler. Die Figuren kommen selbst zu Wort. Als Akteure und Augenzeugen berichten sie vom blutigen Schlachtengetümmel; als Leidtragende und Mitwisser schildern sie die verbissenen Kämpfe in den eigenen Reihen, und sie bekennen Furcht, Leidenschaften und Todesangst.
Inszeniert wird die Geschichte – ungekürzt - mit 21 Schauspielern und Schauspielerinnen aus dem Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters. Auch Nebenfiguren aus beiden Lagern haben ihren Auftritt, wie das von Peter Jordan maliziös gelesene Schandmaul Thersites, dem die griechischen Machthaber am liebsten den Mund verbieten würden, weil er ihnen gnadenlos den Spiegel vorhält. Oder der Troer Pandaros, dessen homertypischem Spagat zwischen Hybris und Selbstzweifel Daniel Lommatzsch einen solch anrührenden Ton verleiht, als wäre er im Augenblick seines Todes ein Teil von uns.
"Die bronzene Spitze drang neben dem Auge ein, ging durch die weißen Zähne, schnitt ganz hinten die Zunge ab und kam beim Hals wieder heraus. Und ich fiel vom Wagen – ich, der Held -, und meine funkelnden, glänzenden Waffen dröhnten. Das Letzte, an das ich mich erinnere, sind die schnellen, furchtbaren Pferde, die nervös auf die Seite springen. Dann verließen mich die Kräfte und mit ihnen das Leben."
Dramatik bezieht das Geschehen auch aus einer subtilen Psychologie, besonders bei Helden wie Achill. Jens Harzer stellt den zornigen jungen Mann, den Kleist seine Penthesilea "Achill, das Vieh" nennen lässt, in seiner ganzen Gebrochenheit dar.
"Ich will nach Hause. So ungeheuer die Reichtümer sein mögen, die hinter den Mauern Trojas verborgen sind, sie sind nicht wert, was das Leben wert ist."
Knallharte Hunde gibt es auf beiden Seiten. Diomedes zum Beispiel, ein Star unter den Griechen, der später verwegen ins trojanische Pferd steigt. Rafael Stachowiak lässt den erbarmungslosen Schlächter schillern zwischen schmieriger Jovialität und Eiseskälte.
"Er meinte, er würde so davonkommen, versteht ihr? ‚Das kannst du vergessen. Du hast uns einen Haufen nützliches Zeug gesagt. Danke. Wenn ich dich laufen lasse, weißt du, was dann passiert? Dann treffe ich dich morgen wieder hier als Spion. Wenn ich dich jetzt aber umbringe, passiert nichts von alledem."
Nicht alle Sprecher in diesem ambitionierten Projekt sind gleichermaßen geeignet, den verschiedenen Personen des Stückes mehr als ihre Stimme zu leihen. Bei manchen tragenden Figuren vermisst man Charakter und Ausdrucksstärke. Erhebliche Niveauunterschiede gibt es auch unter den ohnehin spärlich vertretenen Frauen. Es herrscht eher professionelle Glätte vor, außer bei der gewohnt guten Elisabeth Schwarz, die ihre Figur, die Allegorie auf einen Fluss, in düstere Musikalität taucht.
"Er lief im Wasser, Leichen und Waffen schwammen und drehten sich um ihn herum. Mit einer göttlichen Kraft lief er, aber ich wusste, es würde ihn nicht retten seine Kraft nicht, seine Schönheit, nicht seine leuchtenden Waffen, er würde schlammbedeckt auf dem Grund des Sumpfes enden, und ich würde auf ihn Sand und Kies schütten, und auf immer, auf immer würde ich sein undurchdringliches Grab werden."
Gleichwohl, wer bisher um Homer einen großen Bogen gemacht hat, muss sich nicht mehr vor altertümlicher Sprache, Reimmuster und einer Fülle von Versen fürchten. In Bariccos schlanker Nacherzählung klingt die uralte Sage um den Zorn des Achilles so temporeich und voll von unmittelbarem Grauen, als geschähe alles in unserer nächsten Nähe.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Alessandro Baricco: So sprach Achill. Die Ilias, nacherzählt
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider,
gelesen von Jens Harzer, Elisabeth Schwarz u.v.a
Osterwold Audio im Hörbuch-Hamburg-Verlag, Hamburg 2011
4 CDs, 19,99 Euro
Kein Hexameter, keine geflügelten Worte: Alessandro Baricco versetzt Homer in unsere Zeit. Aus dem 15000 Verse umfassenden Monumentalwerk macht er ein handliches Buch in Prosa. Sein radikalster Eingriff: Er hat alle Auftritte der Götter gestrichen.
Was zunächst befremdet, überzeugt in seiner Konsequenz dann doch. Da hinter den göttlichen Taten letztlich immer ein menschliches Motiv steht, lässt sich dem Geschehen um den Krieg aller Kriege ein solides säkulares Gerüst einziehen. Das heißt für Baricco: "Cherchez la femme". Der Krieg gegen Troja wurde wegen der Entführung einer Frau vom Zaune gebrochen, der oberste Held Achill entzweite sich mit Agamemnon, dem Führer der Griechen, über eine Frau. Achill in seinem Zorn tritt in Streik – mit fatalen Folgen für das Kriegsglück der Griechen.
"Ich sage euch, ich werde ihm nicht zu Hilfe kommen, weder im Kampf noch durch meinen Rat. Auch wenn er mir so viele Geschenke anbieten würde, wie es Sandkörnchen gibt, selbst dann würde es ihm nicht gelingen, meinen Sinn zu beugen."
In Bariccos "Ilias" gibt es keinen allwissenden Erzähler. Die Figuren kommen selbst zu Wort. Als Akteure und Augenzeugen berichten sie vom blutigen Schlachtengetümmel; als Leidtragende und Mitwisser schildern sie die verbissenen Kämpfe in den eigenen Reihen, und sie bekennen Furcht, Leidenschaften und Todesangst.
Inszeniert wird die Geschichte – ungekürzt - mit 21 Schauspielern und Schauspielerinnen aus dem Ensemble des Hamburger Thalia-Theaters. Auch Nebenfiguren aus beiden Lagern haben ihren Auftritt, wie das von Peter Jordan maliziös gelesene Schandmaul Thersites, dem die griechischen Machthaber am liebsten den Mund verbieten würden, weil er ihnen gnadenlos den Spiegel vorhält. Oder der Troer Pandaros, dessen homertypischem Spagat zwischen Hybris und Selbstzweifel Daniel Lommatzsch einen solch anrührenden Ton verleiht, als wäre er im Augenblick seines Todes ein Teil von uns.
"Die bronzene Spitze drang neben dem Auge ein, ging durch die weißen Zähne, schnitt ganz hinten die Zunge ab und kam beim Hals wieder heraus. Und ich fiel vom Wagen – ich, der Held -, und meine funkelnden, glänzenden Waffen dröhnten. Das Letzte, an das ich mich erinnere, sind die schnellen, furchtbaren Pferde, die nervös auf die Seite springen. Dann verließen mich die Kräfte und mit ihnen das Leben."
Dramatik bezieht das Geschehen auch aus einer subtilen Psychologie, besonders bei Helden wie Achill. Jens Harzer stellt den zornigen jungen Mann, den Kleist seine Penthesilea "Achill, das Vieh" nennen lässt, in seiner ganzen Gebrochenheit dar.
"Ich will nach Hause. So ungeheuer die Reichtümer sein mögen, die hinter den Mauern Trojas verborgen sind, sie sind nicht wert, was das Leben wert ist."
Knallharte Hunde gibt es auf beiden Seiten. Diomedes zum Beispiel, ein Star unter den Griechen, der später verwegen ins trojanische Pferd steigt. Rafael Stachowiak lässt den erbarmungslosen Schlächter schillern zwischen schmieriger Jovialität und Eiseskälte.
"Er meinte, er würde so davonkommen, versteht ihr? ‚Das kannst du vergessen. Du hast uns einen Haufen nützliches Zeug gesagt. Danke. Wenn ich dich laufen lasse, weißt du, was dann passiert? Dann treffe ich dich morgen wieder hier als Spion. Wenn ich dich jetzt aber umbringe, passiert nichts von alledem."
Nicht alle Sprecher in diesem ambitionierten Projekt sind gleichermaßen geeignet, den verschiedenen Personen des Stückes mehr als ihre Stimme zu leihen. Bei manchen tragenden Figuren vermisst man Charakter und Ausdrucksstärke. Erhebliche Niveauunterschiede gibt es auch unter den ohnehin spärlich vertretenen Frauen. Es herrscht eher professionelle Glätte vor, außer bei der gewohnt guten Elisabeth Schwarz, die ihre Figur, die Allegorie auf einen Fluss, in düstere Musikalität taucht.
"Er lief im Wasser, Leichen und Waffen schwammen und drehten sich um ihn herum. Mit einer göttlichen Kraft lief er, aber ich wusste, es würde ihn nicht retten seine Kraft nicht, seine Schönheit, nicht seine leuchtenden Waffen, er würde schlammbedeckt auf dem Grund des Sumpfes enden, und ich würde auf ihn Sand und Kies schütten, und auf immer, auf immer würde ich sein undurchdringliches Grab werden."
Gleichwohl, wer bisher um Homer einen großen Bogen gemacht hat, muss sich nicht mehr vor altertümlicher Sprache, Reimmuster und einer Fülle von Versen fürchten. In Bariccos schlanker Nacherzählung klingt die uralte Sage um den Zorn des Achilles so temporeich und voll von unmittelbarem Grauen, als geschähe alles in unserer nächsten Nähe.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Alessandro Baricco: So sprach Achill. Die Ilias, nacherzählt
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider,
gelesen von Jens Harzer, Elisabeth Schwarz u.v.a
Osterwold Audio im Hörbuch-Hamburg-Verlag, Hamburg 2011
4 CDs, 19,99 Euro