"Beide Parteien konstruieren sich ihre eigenen Wirklichkeiten"
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Wie den Ukraine-Russland-Konflikt zu beurteilen ist – diesbezüglich herrsche gerade in Deutschland eine "krasse Spaltung", sagt Philosoph Martin Krohs. Eine wirklicher Gedankenaustausch finde daher kaum mehr statt. Wie kann ein Diskurs wieder gelingen?
Gerade in Deutschland hersche in den sozialen Medien in Bezug auf den Krim-Konflikt und die Rolle Russlands eine starke Polarisierung: Einerseits gibt es Stimmen, die Russlands Präsident Wladimir Putin als Provokateur darstellen, die Annektion der Krim als völkerrechtswidrig anprangern und über russische Troll-Armeen, die im Netz agieren, berichten. Die andere Seite betont, dass Russland die Krim wieder eingegliedert habe und sieht die Nato und die Ukraine als Provokateure.
"Es gibt einen Schein-Disput"
"Das ist eine ganz krasse Spaltung", sagt der Philosoph Martin Krohs. "Da gibt es einen Pol A, einen Pol B und nichts dazwischen. Ich nenne das tatsächlich auch eine Schizophrenie."
Die Spaltung würde so weit gehen, "dass man nicht mehr über dieselben Wirklichkeiten spricht. Beide Parteien konstruieren sich ihre eigenen Wirklichkeiten und gehen eigentlich rhetorisch gesehen aneinander vorbei." Selbst wenn es so aussehe, als würden beide Parteien miteinander streiten: "Es gibt keinen Disput. Es gibt einen Schein-Disput."
Deutschlands Sattelposition zwischen Ost und West
Diese Spaltung sei in Deutschland "besonders krass", sagt Krohs – und sieht als Grund dafür zum einen geografische und historische Faktoren. "Wenn wir uns Deutschland ansehen: diese Sattelposition zwischen Ost und West. Dann haben wir die Wiedervereinigung." Dazu komme die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. "Es wird sofort klar, dass sich eigentlich in Europa kein anderes Land finden lässt, in dem so grundverschiedene Anlagen zu finden sind, in dieser Hinsicht."
Ein weiterer Faktor sei der meta-politische: "Nicht alle, die dem Kreml freundlicher gesonnen sind, sind einfach nur indoktriniert, sondern die haben ein anderes Paradigma dahinter stehen. Die haben eine andere Theorie von der Außenpolitik." Beispielsweise real- und machtpolitische Paradigmen. Und die seien "diskussionswürdig, valide" und "ernstgemeint".
"In dem Fall, wenn ich so ein Realpolitiker bin, dann muss ich die Augen verschließen vor gewissen 'Sperenzchen', sag ich mal, die außenpolitisch vom Kreml veranstaltet werden, weil ich ja auf die Balance of Power achten muss."
Medienberichte auf der Meta-Ebene
Wie der Spaltung in der öffentlichen Diskussion entgegengewirkt werden kann – und wieder ein echter Diskurs gelingen kann? – "Man muss diese Schizophrenie erst einmal erkennen und ihr dann entgegenarbeiten in dem Medien, indem man möglichst häufig versucht, auf ein Meta-Niveau zu gehen", entwickelt Krohs einen Ansatz. "Weg von Berichterstattung und Kommentar, und dazu noch: über das Berichterstatten berichterstatten."
(lk)