Der Kiefern-Versteher
Wie der Russe Vladimir Nabokov und der Schwede Tomas Tranströmer ist auch Fredrik Sjöberg ein Insektenfreund. Vielleicht hat er daher diesen Blick für das Besondere - aus dem auch diesmal wieder ein Universum der Sehnsucht und des Scheiterns entsteht.
Fredrik Sjöberg ist ein Multitalent. 1958 im småländischen Västervik geboren, studierte er Biologie und Geologie, hat sich vor allem aber als Schriftsteller und international anerkannter Schwebfliegensammler einen Namen gemacht. Seine Schwebfliegensammlung wurde 2009 sogar im nordischen Pavillon auf der Biennale in Venedig ausgestellt. Schriftsteller gibt es wie Sand am Meer, obsessive Sammler von Insekten nur wenige. Und so ist Sjöberg, wie sein Dichterfreund, der Nobelpreisträger Tomas Tranströmer, ein eingefleischter Entomologe.
Vielleicht ist es diese für Nichtsammler seltsam anmutende Leidenschaft, die Sjöbergs literarische Texte mit einem eigenbrötlerischen wie exotischen Hauch umgibt. Bereits der erste Teil seiner Trilogie über die "Kunst der Versenkung" von 2004 (dt. 2008) trägt – gefühlt - einen etwas zu lang geratenen Titel: "Die Fliegenfalle. Über das Glück der Versenkung in seltsame Passionen, die Seele des Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur". Inzwischen sind diese Titel nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch zum Suchtmittel für die Sjöberg-Fangemeinde geworden. In ihnen grinst das Erzähler-Ich schelmisch hervor.
Auch angesichts des letzten Teils der Trilogie, dem Band "Die Kunst zu fliehen. Vom Glück sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken", muss vor Sjöbergs Meisterschaft, dem Komplexen ironische Leichtigkeit zu verschaffen, gewarnt werden.
Rein zufällig, also wie gewohnt, stolpert er auch diesmal wieder ins Erzählenmüssen. Plötzlich sieht er sich als Sechzehnjähriger im Wipfel einer lappländischen Kiefer "romantische Weisen" trällern. Das alles wäre noch kein wirkliches Thema. Doch dann folgen typische Sjöberg-Sätze:
"Wenn es etwas gibt auf dieser Welt, wovon ich wirklich etwas verstehe, dann sind es Kiefern."
Das Ich gibt nicht vor, Wissenschaftler zu sein. Ihm geht es um die "Persönlichkeit" der Kiefer, die nicht in abstrakten Fakten und Analysen hervortritt. In der Kunst, vor allem in den Aquarellen des schwedisch-amerikanischen Malers Gunnar Mauritz Widforss (1879-1934), spürt es sie auf. Dabei kreist seine Leidenschaft um ein Aquarell, das von Widforss auf das Jahr 1917 datiert wurde: eine archaisch wirkende Krüppelkiefer am Meer, tituliert mit "Schärenkiefer", 45 x 63 cm groß.
Da Widforss bis heute in Schweden kaum bekannt ist, in Amerika aber als "eine Art Hofmaler der Nationalparks" geschätzt wird, fährt Sjöberg seine narrativen Sensoren aus. Er steigt herab von der lappländischen Kiefer, fährt nach Arizona, um am Grand Canyon auf dem "Widforss Trail" jenen "Widforss Point" einzunehmen, von dem aus er dessen Lebensstationen vor seinem inneren Auge vorbeiziehen lässt. Genial, wie dabei aus einem anfänglichen Sonnenstrahl, der sich zwischen Kiefernadeln bricht, ein Universum der Sehnsucht und des Scheiterns entsteht.
Besprochen von Carola Wiemers
Fredrik Sjöberg, Die Kunst zu fliehen,
Vom Glück, sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
Verlag Galiani, Berlin 2012
208 Seiten, 18,99 Euro
Vielleicht ist es diese für Nichtsammler seltsam anmutende Leidenschaft, die Sjöbergs literarische Texte mit einem eigenbrötlerischen wie exotischen Hauch umgibt. Bereits der erste Teil seiner Trilogie über die "Kunst der Versenkung" von 2004 (dt. 2008) trägt – gefühlt - einen etwas zu lang geratenen Titel: "Die Fliegenfalle. Über das Glück der Versenkung in seltsame Passionen, die Seele des Sammlers, Fliegen und das Leben mit der Natur". Inzwischen sind diese Titel nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch zum Suchtmittel für die Sjöberg-Fangemeinde geworden. In ihnen grinst das Erzähler-Ich schelmisch hervor.
Auch angesichts des letzten Teils der Trilogie, dem Band "Die Kunst zu fliehen. Vom Glück sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken", muss vor Sjöbergs Meisterschaft, dem Komplexen ironische Leichtigkeit zu verschaffen, gewarnt werden.
Rein zufällig, also wie gewohnt, stolpert er auch diesmal wieder ins Erzählenmüssen. Plötzlich sieht er sich als Sechzehnjähriger im Wipfel einer lappländischen Kiefer "romantische Weisen" trällern. Das alles wäre noch kein wirkliches Thema. Doch dann folgen typische Sjöberg-Sätze:
"Wenn es etwas gibt auf dieser Welt, wovon ich wirklich etwas verstehe, dann sind es Kiefern."
Das Ich gibt nicht vor, Wissenschaftler zu sein. Ihm geht es um die "Persönlichkeit" der Kiefer, die nicht in abstrakten Fakten und Analysen hervortritt. In der Kunst, vor allem in den Aquarellen des schwedisch-amerikanischen Malers Gunnar Mauritz Widforss (1879-1934), spürt es sie auf. Dabei kreist seine Leidenschaft um ein Aquarell, das von Widforss auf das Jahr 1917 datiert wurde: eine archaisch wirkende Krüppelkiefer am Meer, tituliert mit "Schärenkiefer", 45 x 63 cm groß.
Da Widforss bis heute in Schweden kaum bekannt ist, in Amerika aber als "eine Art Hofmaler der Nationalparks" geschätzt wird, fährt Sjöberg seine narrativen Sensoren aus. Er steigt herab von der lappländischen Kiefer, fährt nach Arizona, um am Grand Canyon auf dem "Widforss Trail" jenen "Widforss Point" einzunehmen, von dem aus er dessen Lebensstationen vor seinem inneren Auge vorbeiziehen lässt. Genial, wie dabei aus einem anfänglichen Sonnenstrahl, der sich zwischen Kiefernadeln bricht, ein Universum der Sehnsucht und des Scheiterns entsteht.
Besprochen von Carola Wiemers
Fredrik Sjöberg, Die Kunst zu fliehen,
Vom Glück, sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
Verlag Galiani, Berlin 2012
208 Seiten, 18,99 Euro