Der King of Pop auf der Couch

Shmuley Boteach hat in seinem Buch "Die Michael Jackson Tapes" 30 Stunden Mitschnitte verarbeitet, die er als Therapeut in Gesprächen mit dem "King of Pop" aufgezeichnet hat. Weil der Patient den empfohlenen Weg des Therapeuten nicht mitgehen wollte, erscheint das Buch des 44-jährigen US-Rabbis wie eine Art Abrechnung mit Michael Jackson.
Dies ist keine neue Biografie des King of Pop, keine neue Todes-Theorie. Sondern: Im Original drei Monate nach Michael Jacksons Tod vor zwei Jahren erschienen, basiert das Buch auf 30 Stunden Gesprächs-Mitschnitten zwischen August 2000 und April 2001. Gespräche aus einer Zeit, als Jackson einen neuen Karriereschub versuchte.

Warum hat Shmuley Boteach mit der Veröffentlichung gewartet, bis nach Jacksons Ableben das größte öffentliche Interesse da war? Warum macht Boteach, Jacksons damaliger Therapeut, die "intimen Gespräche" überhaupt öffentlich? Nach eigenem Bekunden wollte er den Kindesmissbrauchsprozess 2005 nicht beeinflussen. Und Jackson habe sogar auf einer Veröffentlichung bestanden.

Man kann Shmuley Boteach nicht von vornherein unehrenhaft nennen. Sicher ein Medienprofi und Selbstdarsteller, gehört der 44-Jährige zu den einflussreichen US-Rabbis. Er war elf Jahre in Oxford tätig, schreibt regelmäßig für Radio, Fernsehen und "Wall Street Journal" und ist Autor von bisher 21 Büchern. Im berühmtesten geht es um "Kosher Sex". Auch deswegen ist er bei orthodoxen Juden nicht besonders beliebt.

Wohl aber in der US-Showbranche. Und so wurde er zum Freund von Michael Jackson, sollte und wollte ihn öffentlich rehabilitieren – eine Art spirituelle PR-Connection. Boteach empfahl Michael Jackson "eine moralische Runderneuerung" – und beschreibt ihn zunächst wohlwollend als sanft, klug, zutiefst vergeistigt, nach dem Bruch der Verbindung aber kritischer als gestörten Egomanen mit "Messias-Komplex", als "leere Hülle eines Menschen" mit fehlender Selbstreflexion.

Geredet haben sie über Genozide und Urknalltheorie, über verkorkste Frauengeschichten und verquaste Kinderliebe, viel über Glauben und Religionen. Kurzum: Es geht um Gott und die Welt aus der Sicht eines moralisierenden Medienrabbis und eines "enorm talentierten Jungen mit einer sanften Seele", wie Paul McCartney den King of Pop posthum nannte. Wir erfahren, dass Jackson auf der Bühne "pure göttliche Energie, sein Licht" wahrnahm. Und dass er ernsthaft glaubte, er hätte Hitler innerhalb einer Stunde heilen können.

Futter für Fans und Regenbogenpresse liefern eher die kurzen Beschreibungen von Romanzen: Die mit Brooke Shields und Tatum O’Neal seien nie über romantische Spielchen hinausgegangen. Die mit Madonna auch nicht, weil sich die beiden uneins waren über den Ort für ein Date: Er schlug Disneyland vor, sie einen Strip-Club.

Boteachs Buch mutiert irgendwann zur Abrechnung, weil der Patient den empfohlenen Weg des Therapeuten nicht mitgehen wollte. Mit zum Teil kruden Schlussfolgerungen: "Aus Peter Pan wurde Peter Porn."

Viele Fragen des Therapeuten sind länger als die Antworten, allzu viel Neues erfahren wir nicht. Die Sprache zweier Erleuchteter trieft vor typisch US-amerikanischem Pathos. Das scheint auch durch die Übersetzung hindurch, die sich ansonsten durch kurze Erklärungen kultureller Unterschiede hervorzutun versteht.

Boteachs starker moralischer Ansatz gipfelt in der These, die US-Gesellschaft könnte an dieser Form von Heldenverehrung zugrunde gehen, denn "der Hofnarr ist zum König geworden". Wer möchte darüber nachdenken? Die nächsten Könige sind in der Popwelt längst da.

Besprochen von Martin Risel

Rabbi Shmuley Boteach: Die Michael Jackson Tapes - Intime Gespräche des King of Pop mit seinem Therapeuten.
Aus dem Englischen von Alan Tepper
Hannibal, Innsbruck 2011
303 Seiten, 23,99 Euro

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