Der Kinofilm zu "Feuchtgebiete" zeigt "keinen expliziten Sex"
Mit seinem Debütfilm "Die Kriegerin" hat der Regisseur David Wnendt bereits den Nerv des Kassenschlagers getroffen - diesmal inszeniert Wnendt den Erfolgsroman "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche. Der Film wird schon wegen des umstrittenen Buchs von Erfolg gekrönt sein.
Susanne Burg: Den Regisseur der Verfilmung von Charlotte Roches Erfolgsroman "Feuchtgebiete" begrüße ich jetzt im Studio. Guten Tag, David Wnendt!
David Wnendt: Ja, schönen guten Tag!
Burg: Als der Roman "Feuchtgebiete" 2008 erschien, da hat er ja die Gesellschaft ziemlich gespalten. Sie beginnen Ihren Film mit einem Zitat aus einem Forum der "Bild"-Zeitung, und darin heißt es ungefähr, dass ein solches Buch zum einen nie geschrieben werden darf, zum anderen, dass daraus aber auch nie ein Film werden darf. Warum haben Sie es trotzdem getan, das Verfilmen?
Wnendt: Ein Grund war, lange, bevor es überhaupt darum ging für mich, einen Film darüber zu machen, kannte ich den Roman schon. Ich habe ihn gelesen und ich mochte ihn total. Ich habe da auch immer was ganz anderes drin gesehen, als der ganze Diskurs über dieses Buch eigentlich zu sein schien. Ich habe da sehr viel Humor gesehen. Ich habe da irgendwie eine ganz faszinierende Hauptfigur gesehen. Das waren alles schon so Gründe, warum ich auch dachte: Ach, das ist auch ganz spannend für eine Verfilmung. Das andere ist halt eben so, dass sich das auch nicht so aufdrängt als Verfilmung, dass es auch eine wirkliche Herausforderung ist. Als Buch ist es eigentlich nur ein innerer Monolog, sehr assoziativ. Sie springt von einem zum anderen, die Figuren sind nur so skizziert. Das heißt, das könnte man dann auch sehr, sehr frei adaptieren. Das hat dann auch großen Spaß gemacht.
Burg: Darüber würde ich gerne mit Ihnen auch noch sprechen, aber Sie sagten eben, es ist eine Herausforderung, es zu verfilmen, ja, aber auch vielleicht gerade, weil es so ein Bestseller war. Ich meine, viele Leute haben ihn gelesen, jeder hatte irgendwie ein Bild im Kopf, es ist in 27 Sprachen übersetzt worden - war 2008 das meistverkaufte Buch. Wie schwierig fanden Sie es, ein Buch zu verfilmen, das so bekannt ist?
Wnendt: Das ist ja etwas, wo man bei der täglichen Arbeit nicht jetzt immer dran denkt. Man konzentriert sich dann, man ist irgendwo alleine mit dem Buch und konzentriert sich darauf, erst mal im Drehbuch das umzusetzen, dann später die richtige Schauspielerin zu finden. Das heißt, ich habe täglich kleine Schritte, die man da macht, das heißt. Du denkst nicht immer an die 20 Millionen oder 2,5 Millionen in Deutschland.
Burg: Nun beschreibt Charlotte Roche ja sehr dezidiert intime Dinge – Sie sagen assoziativ –, aber auf den ersten zwei Seiten des Romans geht es gleich um Hämorrhoiden, Analsex und Analrasur. Als Schriftstellerin hat Charlotte Roche ja eine große Freiheit, sie kann schreiben, was sie will. Ein Film hat das nicht. Da gibt es zum Beispiel Pornografie-Gesetze. In dem einleitenden Stück eben war zu hören, dass Sie hin und wieder mit Bildern, mit Erwartungen spielen. Was war Ihre Überlegung? Wie wollten Sie mit der Gefahr umgehen, zu pornografisch zu werden, wenn Sie bestimmte Szenen aus dem Buch direkt auf die Leinwand bringen?
Wnendt: Zunächst mal habe ich halt in dem Buch immer mehr gesehen als irgendwie Pornografie oder dass es nur Provokation ist oder nur Schock sozusagen. Das heißt, das stand irgendwie gar nicht im Vordergrund. Wenn es wirklich nichts anderes als das in dem Buch gegeben hätte, hätte mich das für die Verfilmung auch nicht interessiert. Aber man hat da eben noch eine ganz andere Ebene drin. Das heißt, für die Verfilmung war klar, es soll natürlich jetzt nicht verkrampft oder prüde sein - dass man da so peinlich drum herum schifft oder so was. Man sollte schon das in einer ganz natürlichen Art zeigen, dazu stehen. Aber es sollte gar nicht der Hauptaspekt sein oder in den Vordergrund geraten - weder die Provokation noch das Pornografische. Das war das eine. Das heißt, es war sowieso nur ein kleiner Teil, den es da gibt. So, und es war immer klar, wir wollten einen Film machen, der möglichst viele anspricht. Das heißt, es sollte auch ein Film sein, der ab 16 ist und nicht ab 18 - der ganz normal auch vom normalen Publikum gesehen werden kann. Das heißt, damit sind gewisse Grenzen da. Aber es hat eben auch Spaß gemacht, diese Grenzen auszutesten, zu strapazieren, uns daran entlang zu bewegen.
Burg: Das ist interessant, können Sie da noch ein bisschen mehr sagen, auszutesten? Bis zu welcher Grenze sind Sie gegangen?
Wnendt: Na ja, also zum Beispiel dieses FSK 16 - da gibt es keine feste Definition. Das gab es früher mal, aber es gibt keine Liste mehr wie: Der Penis darf jetzt nur in einem bestimmte Winkel erigiert sein oder so. Das gibt es eben nicht. Man hat da Handlungsspielraum beziehungsweise auch ein Gremium, das entscheidet die Alterseingabe. Bei uns war eine klare Grenze, die wir festgelegt haben am Anfang: Es gibt keinen expliziten Sex. Das heißt, es ist ja nicht ein Film - wie es ja auch Filme gibt, was für andere Filme auch gut ist -, dass Leute echten Sex haben. Da ist eine Grenze. Gleichzeitig wollten wir aber komplette Nacktheit zeigen und damit aber ganz natürlich umgehen. Es gibt halt eine Szene, da ist die Darstellerin bekleidet, es gibt eine andere Szene, da ist sie komplett nackt. Da machen wir gar nicht so viel Aufsehens drum. Gleichzeitig gibt es ein paar Szenen, wo wir vielleicht noch ein bisschen weit gegangen sind, wo es eben Szenen gibt, wo sie spielerisch erzählt, was sie erlebt hat, oder Fantasiegeschichten, die wir dann auch bebildert haben. Da sind wir vielleicht noch einen Schritt weitergegangen, um eben diese Grenze zu pushen. Und es gibt auch andere Beispiele, es gibt auch zum Beispiel "9 Songs", wo man auch alles sieht, der auch ab 16 ist. Das heißt, diese Grenze ist eher als fließend zu sehen. Es kommt immer auf den Kontext an.
Burg: Es geht ja viel um ihre Wunde am Po, die sie hat. Zu sehen ist aber im Krankenhaus dann nur eine schöne Frau, die Schauspielerin Carla Juri. Warum haben Sie hier nicht mehr gezeigt?
Wnendt: Man sieht tatsächlich mit Handyaufnahmen die Wunde. Es ging mir gar nicht darum, voyeuristisch die Wunde an sich in Großaufnahme zu zeigen. Und wir haben auch Carla ausgesucht, nicht, weil sie jetzt die aller-allerschönste in der Welt ist, sondern weil sie wirklich eine sehr, sehr gute Schauspielerin ist. Wir haben ganz intensiv mit ihr gecastet in vielen Runden. Sie hat es wirklich geschafft, diese verschiedenen Aspekte der Rolle und emotionalen Seiten, den Text wirklich rüberzubringen, zu verkörpern, zum Leben zu erschaffen. Da war das letzte Kriterium eigentlich, wie sie aussieht.
Burg: Der Regisseur David Wnendt ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über seinen neuen Film "Feuchtgebiete". Sie haben schon gesagt, man sieht keinen Sex im Film. Das Buch thematisiert ja auch sehr stark Hygienewahn und Helens Rebellion dagegen. Im Film sieht man gleich eingangs ein unglaublich schmutziges Klo in einer öffentlichen Toilette, auf der Helen erst mal über den Klodeckel rutscht. Sie zeigen auch später, wie Helen mit ihrer Freundin Corinna auf dem Klo einen benutzten Tampon tauscht. Was hatten Sie sich überlegt, wie viel Ekel durfte sein im Film?
Wnendt: Das sind ja alles auch Schlüsselszenen des Romans. Deswegen darf man da auch nicht drum herum schiffen, aber uns ging es darum, letztendlich diese auch zu zeigen - aber letztendlich wie so eine schöne Praline, ganz angenehm zu verpacken sozusagen – also, in viel Musik erträglich zu machen. Aber man darf sich eben auch nicht täuschen! Letztendlich hat dann diese Praline eben doch einen giftigen Kern. Aber es ging uns darum, das eher unterhaltsam und auch mit viel Humor zu zeigen, vor dem Ekel nicht zurückzuschrecken, aber gleichzeitig eben diesen in viel Humor einzupacken.
Burg: Man hörte es im Kino trotzdem hin und wieder mal erschreckt kreischen …
Wnendt: Ich glaube, die Leute wären auch enttäuscht, wenn das gar nicht so wäre.
Burg: Ja, weil man muss ja dann schon vielleicht auch ein bisschen die Erwartungen erfüllen, die ein Zuschauer hat, wenn er den Roman gelesen hat.
Wnendt: Es geht eher darum – deswegen auch diese Anfangsszene mit den Knie und Po -, auch ein bisschen mit der Erwartungshaltung zu spielen. Das ist das eigentliche Phänomen für mich: Wie stark die Leute einmal auf das Buch, aber auch überhaupt auf das Thema, auf Charlotte Roche, auch auf dem Film reagieren. Das ist auch so ein bisschen losgelöst von dem, was man tatsächlich sieht - trifft es auf jeden Fall immer noch irgendwo einen Nerv in den Leuten, weil die entweder begeistert sind oder sich wahnsinnig aufregen und den Untergang des Abendlandes verkündigen. Und das ist eigentlich ein ziemliches Phänomen.
Burg: Sie hatten ja eingangs gesagt, Sie persönlich hat eben auch noch eine andere Ebene interessiert an dem Roman. Im Buch muss man ja sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Hinter der Rebellion von Helen steckt eben auch eine durchaus traurige Kindheit: Die Eltern waren nicht immer fürsorglich, die Mutter wollte mit dem Bruder von Helen Selbstmord begehen, das ist ein Trauma in Helens Leben. Im Buch ist es manchmal so ein Halbsatz, meist ganz beiläufig erzählt. Wie schwierig war es, dann diese Beiläufigkeit in Bilder, in einen Film zu übersetzen?
Wnendt: Es gibt auch Figuren, die im Roman nur ganz beiläufig vorkommen. Und das ist bei dem Film viel weniger möglich gewesen. Das war dann einfach so eine ganz klare Entscheidung, den größeren Figuren mehr Größe, mehr Raum geben zu lassen, eben nicht so beiläufige, sondern sie zu richtigen Figuren zu machen. Aber das sehe ich jetzt nicht als Nachteil, sondern das ist einfach Teil der Adaption. Das heißt, das sind Sachen, die man ändern muss und das heißt, dadurch werden auch manche Beziehungen, manche Vorgeschichten dann einfach deutlicher, weil man die einfach auch tatsächlich richtig sieht. Was ich an dem Roman immer toll fand, war, dass da auch schon viel drinsteckt, man zwar viel verstehen kann von der Figur, aber nicht alles reduzierbar ist zum Beispiel auf ihre Kindheit. Der Roman liefert ganz viele Puzzleteile. Am Ende hat man so ein gesamtes Bild. Da ist dann immer ein Puzzleteil, was dann doch nicht ganz reinpasst. Das wollten wir im Film erhalten. Das ist, denke ich, auch gelungen.
Burg: Sie wurden mit Ihrem Film zum Filmfestival in Locarno eingeladen. Der Film läuft im Wettbewerb. Wie aufregend ist es, mit einem zweiten Film im Wettbewerb von Locarno zu sein am A-Festival?
Wnendt: Dabei sein ist alles in dem Fall. Ich freue mich total, in Locarno zu sein, im Wettbewerb zu sein - wie gesagt, überhaupt teilzunehmen. Ich gehe gar nicht mit der Erwartung hin, dass wir da jetzt gewinnen, sondern das ist einfach schon für uns eine Auszeichnung, dass wir da ausgewählt wurden, und als einzigen deutschen Film im Wettbewerb auch Deutschland repräsentieren.
Burg: Der Regisseur David Wnendt hat Charlotte Roches Erfolgsroman "Feuchtgebiete" verfilmt. Der Film läuft heute beim Festival in Locarno und kommt am 22. August in die deutschen Kinos. Vielen Dank für Ihren Besuch, Herr Wnendt!
Wnendt: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr über Charlotte Roche in Deutschlandradio Kultur:
Charlotte Roches zweiter Streich
Charlotte Roche: "Schoßgebete", Piper Verlag, München 2011, 282 Seiten
Ekelprosa mit sekretfixierter Heldin
Charlotte Roche: "Feuchtgebiete". DuMont Verlag, Köln 2008. 220 Seiten
David Wnendt: Ja, schönen guten Tag!
Burg: Als der Roman "Feuchtgebiete" 2008 erschien, da hat er ja die Gesellschaft ziemlich gespalten. Sie beginnen Ihren Film mit einem Zitat aus einem Forum der "Bild"-Zeitung, und darin heißt es ungefähr, dass ein solches Buch zum einen nie geschrieben werden darf, zum anderen, dass daraus aber auch nie ein Film werden darf. Warum haben Sie es trotzdem getan, das Verfilmen?
Wnendt: Ein Grund war, lange, bevor es überhaupt darum ging für mich, einen Film darüber zu machen, kannte ich den Roman schon. Ich habe ihn gelesen und ich mochte ihn total. Ich habe da auch immer was ganz anderes drin gesehen, als der ganze Diskurs über dieses Buch eigentlich zu sein schien. Ich habe da sehr viel Humor gesehen. Ich habe da irgendwie eine ganz faszinierende Hauptfigur gesehen. Das waren alles schon so Gründe, warum ich auch dachte: Ach, das ist auch ganz spannend für eine Verfilmung. Das andere ist halt eben so, dass sich das auch nicht so aufdrängt als Verfilmung, dass es auch eine wirkliche Herausforderung ist. Als Buch ist es eigentlich nur ein innerer Monolog, sehr assoziativ. Sie springt von einem zum anderen, die Figuren sind nur so skizziert. Das heißt, das könnte man dann auch sehr, sehr frei adaptieren. Das hat dann auch großen Spaß gemacht.
Burg: Darüber würde ich gerne mit Ihnen auch noch sprechen, aber Sie sagten eben, es ist eine Herausforderung, es zu verfilmen, ja, aber auch vielleicht gerade, weil es so ein Bestseller war. Ich meine, viele Leute haben ihn gelesen, jeder hatte irgendwie ein Bild im Kopf, es ist in 27 Sprachen übersetzt worden - war 2008 das meistverkaufte Buch. Wie schwierig fanden Sie es, ein Buch zu verfilmen, das so bekannt ist?
Wnendt: Das ist ja etwas, wo man bei der täglichen Arbeit nicht jetzt immer dran denkt. Man konzentriert sich dann, man ist irgendwo alleine mit dem Buch und konzentriert sich darauf, erst mal im Drehbuch das umzusetzen, dann später die richtige Schauspielerin zu finden. Das heißt, ich habe täglich kleine Schritte, die man da macht, das heißt. Du denkst nicht immer an die 20 Millionen oder 2,5 Millionen in Deutschland.
Burg: Nun beschreibt Charlotte Roche ja sehr dezidiert intime Dinge – Sie sagen assoziativ –, aber auf den ersten zwei Seiten des Romans geht es gleich um Hämorrhoiden, Analsex und Analrasur. Als Schriftstellerin hat Charlotte Roche ja eine große Freiheit, sie kann schreiben, was sie will. Ein Film hat das nicht. Da gibt es zum Beispiel Pornografie-Gesetze. In dem einleitenden Stück eben war zu hören, dass Sie hin und wieder mit Bildern, mit Erwartungen spielen. Was war Ihre Überlegung? Wie wollten Sie mit der Gefahr umgehen, zu pornografisch zu werden, wenn Sie bestimmte Szenen aus dem Buch direkt auf die Leinwand bringen?
Wnendt: Zunächst mal habe ich halt in dem Buch immer mehr gesehen als irgendwie Pornografie oder dass es nur Provokation ist oder nur Schock sozusagen. Das heißt, das stand irgendwie gar nicht im Vordergrund. Wenn es wirklich nichts anderes als das in dem Buch gegeben hätte, hätte mich das für die Verfilmung auch nicht interessiert. Aber man hat da eben noch eine ganz andere Ebene drin. Das heißt, für die Verfilmung war klar, es soll natürlich jetzt nicht verkrampft oder prüde sein - dass man da so peinlich drum herum schifft oder so was. Man sollte schon das in einer ganz natürlichen Art zeigen, dazu stehen. Aber es sollte gar nicht der Hauptaspekt sein oder in den Vordergrund geraten - weder die Provokation noch das Pornografische. Das war das eine. Das heißt, es war sowieso nur ein kleiner Teil, den es da gibt. So, und es war immer klar, wir wollten einen Film machen, der möglichst viele anspricht. Das heißt, es sollte auch ein Film sein, der ab 16 ist und nicht ab 18 - der ganz normal auch vom normalen Publikum gesehen werden kann. Das heißt, damit sind gewisse Grenzen da. Aber es hat eben auch Spaß gemacht, diese Grenzen auszutesten, zu strapazieren, uns daran entlang zu bewegen.
Burg: Das ist interessant, können Sie da noch ein bisschen mehr sagen, auszutesten? Bis zu welcher Grenze sind Sie gegangen?
Wnendt: Na ja, also zum Beispiel dieses FSK 16 - da gibt es keine feste Definition. Das gab es früher mal, aber es gibt keine Liste mehr wie: Der Penis darf jetzt nur in einem bestimmte Winkel erigiert sein oder so. Das gibt es eben nicht. Man hat da Handlungsspielraum beziehungsweise auch ein Gremium, das entscheidet die Alterseingabe. Bei uns war eine klare Grenze, die wir festgelegt haben am Anfang: Es gibt keinen expliziten Sex. Das heißt, es ist ja nicht ein Film - wie es ja auch Filme gibt, was für andere Filme auch gut ist -, dass Leute echten Sex haben. Da ist eine Grenze. Gleichzeitig wollten wir aber komplette Nacktheit zeigen und damit aber ganz natürlich umgehen. Es gibt halt eine Szene, da ist die Darstellerin bekleidet, es gibt eine andere Szene, da ist sie komplett nackt. Da machen wir gar nicht so viel Aufsehens drum. Gleichzeitig gibt es ein paar Szenen, wo wir vielleicht noch ein bisschen weit gegangen sind, wo es eben Szenen gibt, wo sie spielerisch erzählt, was sie erlebt hat, oder Fantasiegeschichten, die wir dann auch bebildert haben. Da sind wir vielleicht noch einen Schritt weitergegangen, um eben diese Grenze zu pushen. Und es gibt auch andere Beispiele, es gibt auch zum Beispiel "9 Songs", wo man auch alles sieht, der auch ab 16 ist. Das heißt, diese Grenze ist eher als fließend zu sehen. Es kommt immer auf den Kontext an.
Burg: Es geht ja viel um ihre Wunde am Po, die sie hat. Zu sehen ist aber im Krankenhaus dann nur eine schöne Frau, die Schauspielerin Carla Juri. Warum haben Sie hier nicht mehr gezeigt?
Wnendt: Man sieht tatsächlich mit Handyaufnahmen die Wunde. Es ging mir gar nicht darum, voyeuristisch die Wunde an sich in Großaufnahme zu zeigen. Und wir haben auch Carla ausgesucht, nicht, weil sie jetzt die aller-allerschönste in der Welt ist, sondern weil sie wirklich eine sehr, sehr gute Schauspielerin ist. Wir haben ganz intensiv mit ihr gecastet in vielen Runden. Sie hat es wirklich geschafft, diese verschiedenen Aspekte der Rolle und emotionalen Seiten, den Text wirklich rüberzubringen, zu verkörpern, zum Leben zu erschaffen. Da war das letzte Kriterium eigentlich, wie sie aussieht.
Burg: Der Regisseur David Wnendt ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über seinen neuen Film "Feuchtgebiete". Sie haben schon gesagt, man sieht keinen Sex im Film. Das Buch thematisiert ja auch sehr stark Hygienewahn und Helens Rebellion dagegen. Im Film sieht man gleich eingangs ein unglaublich schmutziges Klo in einer öffentlichen Toilette, auf der Helen erst mal über den Klodeckel rutscht. Sie zeigen auch später, wie Helen mit ihrer Freundin Corinna auf dem Klo einen benutzten Tampon tauscht. Was hatten Sie sich überlegt, wie viel Ekel durfte sein im Film?
Wnendt: Das sind ja alles auch Schlüsselszenen des Romans. Deswegen darf man da auch nicht drum herum schiffen, aber uns ging es darum, letztendlich diese auch zu zeigen - aber letztendlich wie so eine schöne Praline, ganz angenehm zu verpacken sozusagen – also, in viel Musik erträglich zu machen. Aber man darf sich eben auch nicht täuschen! Letztendlich hat dann diese Praline eben doch einen giftigen Kern. Aber es ging uns darum, das eher unterhaltsam und auch mit viel Humor zu zeigen, vor dem Ekel nicht zurückzuschrecken, aber gleichzeitig eben diesen in viel Humor einzupacken.
Burg: Man hörte es im Kino trotzdem hin und wieder mal erschreckt kreischen …
Wnendt: Ich glaube, die Leute wären auch enttäuscht, wenn das gar nicht so wäre.
Burg: Ja, weil man muss ja dann schon vielleicht auch ein bisschen die Erwartungen erfüllen, die ein Zuschauer hat, wenn er den Roman gelesen hat.
Wnendt: Es geht eher darum – deswegen auch diese Anfangsszene mit den Knie und Po -, auch ein bisschen mit der Erwartungshaltung zu spielen. Das ist das eigentliche Phänomen für mich: Wie stark die Leute einmal auf das Buch, aber auch überhaupt auf das Thema, auf Charlotte Roche, auch auf dem Film reagieren. Das ist auch so ein bisschen losgelöst von dem, was man tatsächlich sieht - trifft es auf jeden Fall immer noch irgendwo einen Nerv in den Leuten, weil die entweder begeistert sind oder sich wahnsinnig aufregen und den Untergang des Abendlandes verkündigen. Und das ist eigentlich ein ziemliches Phänomen.
Burg: Sie hatten ja eingangs gesagt, Sie persönlich hat eben auch noch eine andere Ebene interessiert an dem Roman. Im Buch muss man ja sehr viel zwischen den Zeilen lesen. Hinter der Rebellion von Helen steckt eben auch eine durchaus traurige Kindheit: Die Eltern waren nicht immer fürsorglich, die Mutter wollte mit dem Bruder von Helen Selbstmord begehen, das ist ein Trauma in Helens Leben. Im Buch ist es manchmal so ein Halbsatz, meist ganz beiläufig erzählt. Wie schwierig war es, dann diese Beiläufigkeit in Bilder, in einen Film zu übersetzen?
Wnendt: Es gibt auch Figuren, die im Roman nur ganz beiläufig vorkommen. Und das ist bei dem Film viel weniger möglich gewesen. Das war dann einfach so eine ganz klare Entscheidung, den größeren Figuren mehr Größe, mehr Raum geben zu lassen, eben nicht so beiläufige, sondern sie zu richtigen Figuren zu machen. Aber das sehe ich jetzt nicht als Nachteil, sondern das ist einfach Teil der Adaption. Das heißt, das sind Sachen, die man ändern muss und das heißt, dadurch werden auch manche Beziehungen, manche Vorgeschichten dann einfach deutlicher, weil man die einfach auch tatsächlich richtig sieht. Was ich an dem Roman immer toll fand, war, dass da auch schon viel drinsteckt, man zwar viel verstehen kann von der Figur, aber nicht alles reduzierbar ist zum Beispiel auf ihre Kindheit. Der Roman liefert ganz viele Puzzleteile. Am Ende hat man so ein gesamtes Bild. Da ist dann immer ein Puzzleteil, was dann doch nicht ganz reinpasst. Das wollten wir im Film erhalten. Das ist, denke ich, auch gelungen.
Burg: Sie wurden mit Ihrem Film zum Filmfestival in Locarno eingeladen. Der Film läuft im Wettbewerb. Wie aufregend ist es, mit einem zweiten Film im Wettbewerb von Locarno zu sein am A-Festival?
Wnendt: Dabei sein ist alles in dem Fall. Ich freue mich total, in Locarno zu sein, im Wettbewerb zu sein - wie gesagt, überhaupt teilzunehmen. Ich gehe gar nicht mit der Erwartung hin, dass wir da jetzt gewinnen, sondern das ist einfach schon für uns eine Auszeichnung, dass wir da ausgewählt wurden, und als einzigen deutschen Film im Wettbewerb auch Deutschland repräsentieren.
Burg: Der Regisseur David Wnendt hat Charlotte Roches Erfolgsroman "Feuchtgebiete" verfilmt. Der Film läuft heute beim Festival in Locarno und kommt am 22. August in die deutschen Kinos. Vielen Dank für Ihren Besuch, Herr Wnendt!
Wnendt: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr über Charlotte Roche in Deutschlandradio Kultur:
Charlotte Roches zweiter Streich
Charlotte Roche: "Schoßgebete", Piper Verlag, München 2011, 282 Seiten
Ekelprosa mit sekretfixierter Heldin
Charlotte Roche: "Feuchtgebiete". DuMont Verlag, Köln 2008. 220 Seiten