Buch von Saint-Exupéry
Der kleine Prinz auf einem Wandbild in Lyon, aufgenommen 2023. Die südfranzösische Stadt hat ihren Flughafen nach seinem Schöpfer Antoine de Saint-Exupéry benannt. © picture alliance / Hans Lucas / Antoine Boureau
Der unsterbliche Prinz
135:58 Minuten
Eine Schatzkammer voller Zitate, ein Märchen voller Metaphysik und moralischer Appelle: das Buch "Der kleine Prinz" ist in den 81 Jahren seit seinem Erscheinen zum Mythos geworden. Sein Autor Antoine de Saint-Exupéry wollte den Sternen nahe kommen.
Das Buch "Der kleine Prinz" gilt als das weltweit meistverkaufte Werk nach der Bibel und dem Koran. Es wurde in fast 500 Sprachen und Dialekte übersetzt, natürlich auch ins Lateinische ("Principulus"). Die Popularität seines Helden kann es mit der von Asterix, Harry Potter und Winnetou aufnehmen, aber im Unterschied zu jenen anderen Ikonen der Populärkultur fand "Der kleine Prinz" keine Fortsetzung.
Sein Schöpfer, der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, starb ein Jahr nach Erscheinen des Buches, am 31. Juli 1944. Vielleicht hätte der bald einsetzende globale Erfolg ihn zu einem zweiten Teil verführt, aber so blieb es bei dem überschaubaren Büchlein in 27 meist hingetupften Kapiteln. Wahrscheinlich macht es einen Teil des Mythos aus, dass der Text so kurz ist - und damit offen für alle möglichen Interpretationen philosophischer, religiöser und politischer Lesart.
Über allem schwebt beim "Kleinen Prinzen" die Botschaft: Seid friedfertig und freundlich zueinander, seht den Wert jeder Kreatur.
Inhalt
Wer war Antoine de Saint-Exupéry?
Die Biografie von Joseph Hanimann nennt ihn einen „melancholischen Weltenbummler“, seine Ehefrau Consuelo liebkoste ihn als „fliegenden Fisch“ und „Zauberkästchen“. Ein gutes Jahrzehnt, von 1931 bis zu seinem Tod 1944, war Antoine de Saint-Exupéry nicht nur in Frankreich eine literarische Berühmtheit, sondern auch in den USA, wo seine Fliegerromane wie „Wind, Sand und Sterne“ oder „Nachtflug“ ebenso reißenden Absatz fanden. Aber er sah sich nicht als Berufsschriftsteller, sondern als passionierten Flieger, der nebenher schrieb.
Bereits als Kind trieb er sich auf einem Flugfeld herum; seine „Lufttaufe“ erlebte er als Zwölfjähriger, den Pilotenschein machte er 1921. Saint-Exupéry arbeitete zunächst für eine der ersten Luftfahrtgesellschaften der Welt und transportierte Briefpost auf der Strecke Toulouse-Casablanca. In den 30er-Jahren ging er nach Argentinien, wo er ein Luftpostnetz aufbauen sollte, aber vor allem seine temperamentvolle Geliebte und Muse kennenlernte. 1935 stürzte Saint-Exupéry bei einem Flug in Richtung Saigon nachts in der Sahara ab – ein Erlebnis, das Eingang in den „Kleinen Prinzen“ fand.
Sein bekanntestes Buch schrieb er ganz „down to earth“ in New York und auf Long Island. Einige Monate nach der deutschen Invasion 1940 hatte Saint-Exupéry Frankreich verlassen und war in die USA emigriert, wo er dank seines jüngsten Bucherfolgs ohne Geldsorgen leben konnte. Die Figur des Kleinen Prinzen hatte er bereits über Jahre gezeichnet und immer wieder in Briefen an Freunde auf die Reise geschickt – im Anfang war ihm das Bild, nicht das Wort. Deswegen war es für ihn klar, dass niemand anders als er selbst das Buch mit seinen schönen Aquarellen illustrieren würde. Sein New Yorker Verleger Curtice Hitchcock war begeistert! Im April 1943 wurde „Le Petit Prince“ zeitgleich mit der englischen Übersetzung veröffentlicht; der Verkauf war zunächst nicht berauschend, was sicher dem Krieg geschuldet war. Das Geschehen in Europa ließ auch Saint-Exupéry nicht los: Er kehrte nach Frankreich zurück und ließ sich als Pilot für Aufklärungsflüge rekrutieren. Im Cockpit starb er am 31. Juli 1944, als er bei Marseille ins Mittelmeer stürzte, vermutlich von einem deutschen Flieger abgeschossen.
Ist "Der kleine Prinz" gute Literatur oder Kitsch?
Die Meinungen sind durchaus geteilt, die mitunter polemische Debatte hält seit 80 Jahren an, auch wenn "Le Petit Prince" durch die Aufnahme in die maßgebliche Klassiker-Ausgabe der Éditions de la Pléiade geadelt wurde. Für seine spätere, gnadenlose Vermarktung - mit Merchandising-Artikeln aller Art und der Verwurstung der immer gleichen Zitate - kann der Text nichts. Die Frage, ob manche Passagen nicht bereits 1943 heilloser Kitsch waren, lässt sich im Fall der Blume und auch der symbolträchtigen Rose leider nur bejahen. Auch die langatmige Abschiedsszene ist harte Arbeit für jede Leserin, die sich nicht in den Kleenex-Alarm treiben lassen will.
Aber das sind nur wenige Kapitel in einem erstaunlich vielfältigen Märchen, das mehrere Stilebenen stapelt und einige brillante Einfälle bietet. Da ist das kafkaeske Rätsel um die Arbeit des Weichenstellers, der chaplineske Auftritt des Laternenanzünders, der spannende Vortrag des Geographen. Auch die Passagen, die den prinzlichen Planeten B 612 betreffen, sind sehr liebenswert (die Vulkane als Kochplatte, die Affenbrotbäume) und machen Spaß.
Was oft vergessen wird: Der Erzähler ist der Pilot, der eine Bruchlandung erlitt und zwischendrin an seinem Flugzeugwrack herumschraubt, was die oft fabelhafte Erzählung immer wieder erdet. Skeptisch darf man schließlich bei der Zivilisationskritik sein: Dass die "sonderbaren großen Leute" nur mit Zählen, Malochen und Befehlen beschäftigt seien, ist eine kindliche Perspektive, die recht simpel bedient wird. Von einem Krieg ist übrigens nirgendwo die Rede - in diesem Sinne schrieb Saint-Exupéry 1943 auch ein eskapistisches Buch.
Die bekanntesten Zitate des "Kleinen Prinzen"
Gleich der erste Satz, den der Prinz sagt, ist ein Erkennungszeichen für alle Fans des Buches: "Bitte zeichne mir ein Schaf." Und das, obwohl hier keine tiefere Weisheit gesucht werden kann wie bei den vielen anderen Sinnsprüchen. Der Witz besteht in der Situationskomik, dass doch kein Mensch ein Schaf oder eine Zeichnung desselben braucht, wenn er in der Wüste steht und womöglich Durst oder Hunger hat. Aber den Prinzen dürstet es eben nach Poesie und einem Freund, denn er fühlt sich einsam.
Zentral ist das Fuchs-Kapitel und die Erklärung, was es mit der "Zähmung" eines Tieres auf sich hat: "Es bedeutet, sich vertraut miteinander machen." Würde der Prinz den Fuchs zähmen, dann würden sie einander brauchen und wären einzigartig füreinander "in der ganzen Welt" - eine Quelle des Glücks, wie der Fuchs deutlich macht. Er ist der Lehrmeister des kleinen Prinzen und vermittelt ihm tiefe Einsichten. Zum Beispiel jene (bestreitbare) Behauptung über die Hierarchie der Wahrnehmungsorgane, die das populärste Zitat aus dem Buch überhaupt ist: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Diese romantisch anmutende Kritik an einem Rationalismus, der an der Oberfläche klebt und blind für die Individualität eines Wesens ist, wird durch die Erlebnisse des Prinzen mit den "großen Leuten" auf anderen Planeten bestätigt. Im Moment seines Sterbens tröstet der kleine Prinz den Piloten mit dem Versprechen, dass er für ihn am Nachthimmel zu sehen sein werde: "Dann wird es für dich so sein, als ob alle Sterne lachten, weil ich auf einem von ihnen lache." Diesen Spruch findet man häufig auf Todesanzeigen, und es ist zu vermuten, dass er das heute gängige Wort von den (früh gestorbenen) "Sternenkindern" inspirierte.
Welche Fortschreibungen des "Kleinen Prinzen" gibt es?
Dass der kleine Prinz trotz des Schlangenbisses erneut leibhaftig auf die Erde zurückkehrte und zwar ausgerechnet nach Deutschland, entsprang der Fantasie von Martin Baltscheit. Der Düsseldorfer Autor und Illustrator veröffentlichte 2018 das Buch „Der kleine Prinz feiert Weihnachten“ und trieb darin einige Elemente des Klassikers auf die Spitze. Auf seinem Asteroiden B 612 war seit der Rückkehr des Hausherrn einiges schiefgegangen: Das Schaf befreite sich vom Maulkorb und fraß die Rose, zur Strafe wurde das Schaf ins All geworfen, woraufhin die Affenbrotbäume so stark wuchsen, dass der prinzliche Planet explodierte. Voller Kummer und Schuldgefühlen sucht nun der kleine Prinz den Piloten, doch er landet versehentlich in einer deutschen Stadt, wo gerade alle im Weihnachtsstress sind. Der Prinz erlebt dort eine Ellbogen-Gesellschaft, in der niemand Zeit für ihn hat. Nur das Christkind in der Krippe hört ihm zu – später kommt der kleine Prinz ins Gefängnis und sogar in eine Irrenanstalt, bevor er seinen Freund Antoine endlich findet.
2019 erschien „Die dicke Prinzessin Petronia“, eine Kreatur der Zeichnerin Katharina Greve. Petronia ist die schlaue, mies gelaunte Cousine des kleinen Prinzen, die eigentlich alles besser kann als er, aber keine Beachtung findet. Alle lieben nur ihren komischen Cousin, und sie hat obendrein den schlechteren Planeten zugeteilt bekommen – „da muss man einfach schlechte Laune kriegen“. Petronia ist die feministische Antwort auf den kleinen Prinzen, den Greve „schon extrem abgedroschen“ findet. Als Kind habe sie ihn toll gefunden, aber heute gehört sie zu der Fraktion, die das Buch für „absoluten Kitsch“ hält. Ihre Heldin Petronia hasst den zartfühlenden Burschen und macht sich über seinen berühmtesten Satz lustig, nämlich dass man „nur mit dem Herzen“ gut sehe. Petronia sagt hingegen: „Man sieht nur mit der Lupe gut.“ Während der kleine Prinz ständig den Rationalismus der „großen Leute“ verurteilt, steht Petronia auf wissenschaftliche Analyse und die Erforschung des Weltalls. Wohin das führen kann, erzählt der 2024 erschienene zweite Teil der Petronia-Saga: „Das Brimborium schlägt zurück“.
Warum ist der "Kleine Prinz" einfach unsterblich?
Das Buch kreist um die großen Fragen der Menschheit: Wozu leben wir, wie finden wir Sinn, warum müssen wir sterben, gibt es ein Leben nach dem Tod? Das macht es in alle Richtungen anschlussfähig. Das Buch sei "eine kindliche Philosophie für Erwachsene“ , sagt die Jugendbuch-Expertin Roswitha Budeus-Budde. Die Mischung aus halb kindlich und halb erwachsen mache den besonderen Reiz aus: "Dieses ganz aufs Wesentliche Angelegte, das ist einfach genial – wenn ich kein Schaf zeichnen kann, muss ich es halt in einer Kiste zeichnen.“ Es habe immer wieder die Kritik gegeben, "Der kleine Prinz" sei nur schräge Romantik oder ein Buch wie für ein Poesiealbum. Ein Kritiker schrieb sogar, der Prinz sei "der Schmalzheilige der 50er-Jahre“. Das allein würde aber nicht genügen, dieses Buch bis heute zu einem der bekanntesten und meistgelesenen literarischen Werke zu machen.
Worin genau das Geheimnis seines Erfolges besteht, ist nicht klar zu sagen – die eigenartige Authentizität des Textes spielt dabei ebenso eine Rolle wie der frühe Tod des Verfassers, der auf ähnlich geheimnisvolle Weise verschwand wie der kleine Prinz. „Dieses Buch ist eine seltsame Mischung", sagt Roswitha Budeus-Budde, "und vielleicht macht diese Mischung das Buch unsterblich.“