Disneys Remake-Wahn kennt kein Ende
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Die neue Version vom "König der Löwen" ist so atemberaubend realistisch animiert, dass er mehr von einer Tierdoku als einem Disney-Film hat. Jeder Grashalm sitzt, jedes Sandkorn staubt in Formation. Anna Wollner vermisst trotzdem etwas.
Wer die ersten Takte von "Nants ingonyama bagithi Baba" hört, hat sofort die passenden Bilder im Kopf: Die Eröffnungssequenz vom "König der Löwen". Die aufgehende Sonne über der Steppe, ein langer Kameraflug über die spektakuläre Landschaft, die Tiere, die sich um den Pride Rock versammeln um einen Blick auf den neuen Thronfolger zu werfen, das Löwenbaby Simba.
Es ist eine dramaturgische Abfolge, die sich in der Version 2019 nicht unterscheidet vom Original. Einzig und allein die Qualität der Bilder ist eine andere, denn "Der König der Löwen" ist – ähnlich wie schon "Das Dschungelbuch", beide von Regisseur Jon Favreau – ein technisches Meisterwerk. Ein Film, so fotorealistisch, dass er mehr wie eine echte Tierdoku aussieht als ein Animationsfilm aus dem Hause Disney.
Für Regisseur Jon Favreau ist das ein Kompliment: "Die Technologie, die dahinter steckt, ist natürlich reine Animation. Wir arbeiten mit digitalen Storyboards, jedes einzelne Bild, jeder einzelne Frame sind Stück für Stück bearbeitet und gerendert worden", erklärt er. "Wir arbeiten viel mit Virtual Reality. Deswegen hat es diesen realen Look. Denn durch diese neuartige Technologie können wir Kamerastandpunkte in der virtuellen Welt auswählen und zum Beispiel Kameraschwenks machen. Das assoziieren die Leute mehr mit echten Spielfilmen als mit animierten Filmen."
Neue Technik, alte Geschichte
Im "König der Löwen" sitzt jedes Tierhaar, jeder Grashalm in der Savanne bewegt sich im richtigen Winkel und jedes Sandkörnchen vibriert an der richtigen Stelle, wenn ein Löwe vorbeirennt und seinen Fußabdruck hinterlässt. Doch so spektakulär und neu die Bilder sind, so altbekannt ist die Geschichte. Favreau erzählt nahezu originalgetreu den Klassiker nach, seine Version ist kein Remake, sondern eher ein Cover. Eine für ihn bewusste Entscheidung.
"Anders als noch bei 'Das Dschungelbuch' glaube ich, dass die Leute zu vertraut mit der ursprünglichen Geschichte sind, um da wirklich etwas zu verändern. Egal ob sie den Film kennen oder das Musical. Wir haben ein paar ikonische Szenen wirklich Bild für Bild, Satz für Satz, Einstellung für Einstellung übernommen. In anderen Momenten hatten wir mehr Freiheiten, aber wir wollten immer nah am Original bleiben."
Nah am Original bleiben, die Nostalgiewelle ausnutzen und die Vormachtstellung in Hollywood weiter ausbauen. Das ist die momentane Strategie vom Filmstudio Disney, das zum größten Player in Hollywood geworden ist, zu einer reinen Gelddruckmaschine. Star Wars, Pixar, das Marvel-Universum mit seinen zahllosen Superhelden und jetzt eben auch noch den eigenen Katalog neu auflegen. Egal ob "Cinderella", "Die Schöne und das Biest", "Mary Poppins" oder "Aladdin" – die Realverfilmungen der Zeichentrickklassiker sind ein lukratives Geschäft.
Für Jon Favreau gehört es einfach zur Tradition Hollywoods, Geschichten mit neuer Technologie noch einmal zu erzählen: "Ich bin zum Beispiel mit 'Die zehn Gebote' groß geworden. Von Cecil B. DeMille gedreht in den 1950er-Jahren. Durch den Film bin ich auf das Original aus den 1920ern aufmerksam geworden. Der eine war in Farbe, der andere ein Stummfilm. Es ist doch spannend zu sehen, wie über die Jahrzehnte Geschichten neu erzählt werden und sich verändern. 'Der König der Löwen' von 1994 wird immer der Film sein, mit der eine ganze Generation groß geworden ist. Aber die nächste Generation wird vielleicht mit meinem groß werden. Sie wollen einen anderen Look, einen anderen visuellen Ansatz. Und den haben Sie jetzt."
Perfektion ohne Herz
Für Disney ist es die Möglichkeit, noch einmal Geld zu verdienen. Nicht nur mit dem Film an sich, sondern auch den Lizenzen für DVDs, Streamingportale und Merchandise. Dabei beginnt inhaltlich langsam ein Umdenken. Kein reines Nacherzählen, sondern auch ein Neu-Interpretieren. Im Remake von "Arielle die Meerjungfrau" löste jedoch die Besetzung der schwarzen Sängerin Halle Bailey in der Hauptrolle einen Shitstorm überwiegend weißer Menschen unter dem Hashtag #notmyarielle aus. Absolut überflüssig, findet Favreau:
"Es ist eine Möglichkeit eine Geschichte dem Zeitgeist anzupassen und in den gegenwärtigen Kontext des Entstehungsprozesses zu integrieren. Immerhin haben wir das Jahr 2019. Solange wir der Geschichte treu bleiben, den erzählerischen Mythen auf denen sie basiert, sollten wir jede Chance nutzen, uns zu öffnen und von alten Traditionen zu lösen. Vor und hinter der Kamera."
Bei "Der König der Löwen" hat Disney allerdings eine Chance liegen lassen. Denn der Film hat atemberaubende Technik, aber kein Herz.