Heimspiele wird es in Morschenich bald nicht mehr geben
Wieder einmal ist das Heimspiel des SV Morschenich in Dürens Kreisliga C abgesagt. Der Grund: die Proteste im Hambacher Forst. Doch was heißt eigentlich "Heimspiel" in einem sterbenden Ort? - Auch um Sportplatz und Sportlerheim machen die Bagger keinen Bogen.
Als ob für immer Ferien wären – in Morschenich, einem kleinen Dorf nördlich der verlegten Autobahn 4 in der Gemeinde Merzenich zwischen Köln und Aachen. Viele der ursprünglich 450 Einwohner haben abgeschlossen. Mit ihrem Haus und mit Morschenich, denn der Ort wird weggebaggert vom Braunkohletagebau. Keinen Kilometer entfernt vom Sportplatz sieht man den riesigen Bagger.
Dass das schlichte Vereinsheim abgerissen wird, kann sich Lieselotte Hansen vom Vorstand des SV Morschenich noch gar nicht vorstellen: "Wir haben lange damit gekämpft, es steckt sehr viel Ehrenamt drin und auch sehr viele Arbeitsstunden stecken hier drin. Die kann man eigentlich schon gar nicht mehr nachzählen. Es ist ja angefangen mit dem Aufbau dieses Heims. Es gibt einige, ich hab' nachgeschaut, einer hat zum Beispiel 1450 Arbeitsstunden hier reingesteckt. Und für denjenigen ist es sehr schwer, dass das jetzt abgerissen wird."
In wenigen Wochen werden die Bäume am Sportplatz gefällt. Ob der SV Morschenich überhaupt noch einmal ein Heimspiel am alten Standort austragen wird, ist ungewiss. Zuschauer bleiben ohnehin aus, seit die Umsiedlung des Dorfes begonnen hat. Für 90 Minuten wieder in die alte Heimat, das bringt mancher nicht übers Herz. Das Vereinsleben leidet. "Früher kamen viele Leute sonntagnachmittags zum Heimspiel, liefen spazieren, haben sich 'nen Spiel angeguckt, sind 'n bisschen dageblieben. Wir haben gesellig zusammengesessen. Das fällt jetzt weg, aber wir hoffen, dass das im neuen Ort wiederbelebt wird."
"Viele sehen es nicht gerne"
Sieben Kilometer entfernt, in Morschenich- Neu, hat die Gemeinde Merzenich die Umsiedlung zu einer Neuordnung der Vereine genutzt. Am Ortseingang entstehen ein Rasenplatz, ein Kunstrasenplatz und ein Mehrzweckhaus für Kleinkaliberschützen, die Schützenbruderschaft, zwei Fußballvereine und die Feuerwehr. Gesamtkosten: knapp unter fünf Millionen.
Gerade für die Älteren in den Vereinen ist es oft nach der Nachkriegszeit wie ein zweiter Neuanfang, weiß Bürgermeister Georg Gelhausen: "Teilweise sind die Altersstrukturen in den Vereinen so, dass alle die, die heute auch noch – ich sag' mal – in Amt und Würden und die Entscheidungsträger sind, auch diesen Aufbauprozess mitgemacht haben. Aber letztendlich haben wir es geschafft, diesen emotionalen Prozess so hinzubekommen, dass eigentlich alle mit der neuen Lösung glücklich sind."
Die emotionale Seite der Geschichte
Oder aber einsehen, dass ein Kreisligist wie der SV Morschenich mit knapp einhundert Mitgliedern, zwei Trainingseinheiten die Woche und alle vierzehn Tage ein Heimspiel keinen Neubau für sich allein beanspruchen kann.
"Viele sehen es nicht gerne. Weil die sagten, dass ist unser Heim, unser Clubheim, unser Verein und der hätte auch wieder alleine bleiben müssen. Aber es geht nicht anders."
Die emotionale Seite ist von Bedeutung. Obwohl sich die Bewohner durch die Umsiedlung materiell in der Regel nicht verschlechtert haben und viele von ihnen beim Erwerb ihrer alten Grundstücke schon wussten, dass diese eines Tages abgerissen würden.
Die Menschen wollen die soziale Gemeinschaft erhalten
"Wir sind im Moment mit den Vereinen dabei, die Grundsteine der alten Vereinsgebäude herauszulösen und in das neue Vereinsgebäude sichtbar einzupflanzen. Quasi wie 'ne Herztransplantation, ja. Aber das ist halt sehr wichtig. Und Menschen, die sich in Vereinen engagieren, die auch wollen, dass die soziale Gemeinschaft in einem kleinen Ort, dass die erhalten bleibt – und das sind so Zeichen, dass das genau die Dinge sind, worauf man achten muss."
Morschenich-Neu, das aussieht wie eine ganz gewöhnliche Neubausiedlung, wächst unterdessen am Reißbrett. Die ersten Ein- und Zweifamilienhäuser stehen bereits. Die Erinnerung an den alten Ort soll aber keine Privatsache sein oder auf Fotoalben beschränkt, betont Bürgermeister Georg Gelhausen:
"Die Schützen haben im vergangenen Jahr die alte Traditions-Schützenfahne während des Schützenfestes von Alt-Morschenich nach Neu-Morschenich gebracht. Wir haben auch in diesem Jahr in einer Zeremonie das Ehrendenkmal nach Morschenich-Neu gebracht. Die Vereine sind schon das verbindende Glied, was letztendlich eine Dorfgemeinschaft ausmacht."
Vielleicht bekommt Morschenich-Neu einen Wassersport-Verein
Für Lieselotte Hansen hat das Nebeneinander von fünf Vereinen in Morschenich-Neu auch etwas Praktisches: "Die gleichen Leute sind ja in allen Vereinen im Prinzip. Wer in den Schützen ist, ist auch im Fußballverein und jede Veranstaltung ist praktisch eine Familienfeier."
In optisch noch nicht vorstellbarer Zukunft kommt in Morschenich-Neu möglicherweise ja noch ein Wassersport-Verein hinzu. Denn das Gebiet des alten Dorfes wird nach dem Abbau der Braunkohle geflutet und Teil eines Sees von dreißig Quadratkilometern Fläche und vierhundert Metern Tiefe sein.