Der Koloss von Lissabon

Das erste Nashorn in Europa seit der Antike

Nashorn im Krüger-Nationalpark in Südafrika
Nashörner gehören nicht unbedingt nach Europa - doch spätestens seit der Römerzeit kamen immer wieder mal welche hierher. © imago/Anka Agency International
Von Irene Meichsner |
Halb Lissabon war auf den Beinen, als dort am 20. Mai 1515 zum ersten Mal seit den Zeiten der Alten Römer wieder ein lebendes Nashorn europäischen Boden berührte. In seinem berühmten Holzschnitt "das Rhinozeros" verewigte Albrecht Dürer das Geschenk eines indischen Sultans an den portugiesischen König.
Zitat Valentim Fernandes:
"Am 20. dieses Monats Mai 1515 kam hier in Lissabon, der alleredelsten Stadt in ganz Portugal, ein Tier an, das von den Griechen Rhinozeros und von den Indern Ganda genannt wird."
Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile über den ganzen Kontinent. Zum ersten Mal seit der Zeit der alten Römer hatte ein Nashorn europäischen Boden betreten. Es war ein Geschenk, mit dem Sultan Muzafar II., der Herrscher über das indische Königreich Gujarat, den portugiesischen König Manuel I. für sich einnehmen wollte.
"Von diesem Rhinozeros heißt es, es ... sei der Feind des Elefanten", schrieb der deutsche Buchdrucker und Handels¬vertreter Valentim Fernandes einem Kaufmann in Nürnberg unter Hinweis auf den römischen Geschichtsschreiber Plinius:
"Und wenn es kämpfen muss, so sagt man, schärfe es sein Horn an einem Fels und im Streit versuche es, seinem Feind den Bauch aufzuschlitzen."
Wilde Tiere als Zeichen politischer Macht
Dem tonnenschweren Koloss, einem indischen Panzernashorn, ging es erstaunlich gut - trotz der Strapazen einer 120 Tage langen Schiffsreise, auf der es mit Heu, Stroh und gekochtem Reis gefüttert worden war. Wilde Tiere aus Afrika oder Asien waren damals auch Zeichen politischer Macht, die dem Volk stolz zur Schau gestellt wurden. Manuel I. besaß bereits Löwen, Gazellen, Antilopen, Affen, einen gezähmten Jagdleoparden - und mehrere Elefanten, von denen er einen gegen das Nashorn antreten lassen wollte, weil er sich davon ein blutiges Schauspiel wie im alten Rom erhoffte.
Doch die Menschenmassen, die festlich gekleidet herbeiströmten, sahen sich enttäuscht:
"Ich sah, dass der besagte Elefant in dem Moment, als er ... das Nashorn erblickte, angstvoll zur Flucht ansetzte; er lief auf ein Fenster zu, das mit großen eisernen Stangen, so dick wie der Arm eines Mannes, verriegelt war, und er nahm diese zwischen den Zähnen mit sich und zerfetzte sie."
Was tun mit dem Rhinozeros? Manuel I. beschloss, es Papst Leo X. zu schenken, dem er - als Zeichen der Ehrerbietung - zwei Jahre zuvor schon einen jungen Elefanten hatte zukommen lassen. Portugals König habe den päpstlichen Segen gebraucht, um sich die exklusiven Rechte an den eben erst eroberten Gebieten im Orient und die Vorherrschaft gegenüber den Spaniern auf den Weltmeeren zu sichern, erklärt der Münsteraner Historiker Christoph Dartmann:
Absurdes Geschenk an den Papst
"Man konnte darauf hoffen, unter anderem durch ein gutes Geschenk oder durch eine weiter geplante diplomatische Offensive, eine Entscheidung herbeizuführen, die relativ günstig für ihn ausfiel. Und das ist der diplomatische Hintergrund dieses absurden Geschenks."
Außer dem Nashorn ließ Manuel I. auf einem Schiff Gold und Silber sowie zentnerweise Pfeffer, Nelken, Zimt, Ingwer, Muskatnüsse und andere exotische Gewürze verstauen. Doch die kostbare Fracht kam nie ans Ziel. Bei einem Sturm zerschellte das Schiff im Januar 1516 an den Klippen vor der ligurischen Küste. Das mit einer Kette aus vergoldetem Eisen ans Deck gefesselte Nashorn ertrank. Sein Kadaver wurde wenig später an der französischen Riviera an Land gespült, ausgestopft - und erneut auf die Reise nach Rom geschickt. Der König befahl dem portugiesischen Botschafter in Rom, dem Papst sein tiefes Bedauern über den Verlust der ihm zugedachten Gaben auszudrücken:
"Sie waren so ungewöhnlich und aus so fernen Ländern, dass Seine Heiligkeit Freude an ihnen gehabt hätte. Nun bitten wir in aller Bescheidenheit, der Hei¬lige Vater möge wenigstens unsere Zuneigung akzeptieren und die große Freude, die wir dabei hatten, ihm diese Dinge zu schicken, und dass wir ihm stets und in jeder Weise zu Diensten sein werden."
Angespült und ausgestopft
Wo das ausgestopfte Nashorn letztendlich abgeblieben ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Aber wie es ungefähr ausgesehen haben könnte – das weiß heute fast jeder. Noch im Jahr seiner Ankunft in Lissabon hatte Albrecht Dürer das Tier in seinem berühmten Holzschnitt "Das Rhinozeros" verewigt, obwohl er selber es nur vom Hörensagen oder groben Skizzen kannte. Dazu der Frankfurter Kunsthistoriker Jochen Sander:
"Das zeigt eben in der Tat genau seine künstlerische Größe. Dass er aus der Imagination heraus, nur nach Beschreibungen, ein Tier imaginiert ... Was aber dennoch so plausibel in sich ist, so überzeugend, dass es tatsächlich für Generationen die Vorstellung dieses exotischen Tiers absolut bestimmt hat."
Mehr zum Thema