Der Komponist entsteigt dem Bade

Das Buch von Jean Echenoz über den franzöischen Komponisten Maurice Ravel sei "alles andere als eine Biographie", behauptet der Klappentext: Und das stimmt insofern, als nicht etwa Stationen des Lebens nach einander abgeklappert, sondern einzelne Episoden hervorgehoben werden - von denen gerade die persönlichen weitgehend erfunden sein müssen. Damit ist Echenoz ein wahrhaftes Meisterwerk geglückt.
Ein Jahr lautet der Titel des Romans, mit dem Jean Echenoz zuletzt 2005 dem deutschen Publikum präsentiert wurde. Seinerzeit waren acht Jahre zwischen der Originalausgabe und der deutschen Übersetzung verstrichen, und die geringe Begeisterung, mit der das Büchlein hierzulande aufgenommen wurde, bestätigte die Zögerlichkeit der Verlage. Von ähnlich geringem Umfang präsentiert sich nun Echenoz’ neuer Roman Ravel, der allerdings 2006 in Frankreich ein ebenso breites wie positives Echo fand, und hier ist gerade die Kürze das einzige, was man dem Autor nach der Lektüre vorwerfen möchte, denn von diesem Lesestoff hätte man gern mehr.

Ein wahrhaftes Meisterwerk ist dem Goncourt-Preisträger ( Ich gehe jetzt, deutsch 2000) hier geglückt, und Hinrich Schmidt-Henkel hat es so überzeugend ins Deutsche übertragen, dass er für den Preis der Leipziger Buchmesse 2007 in der Kategorie Übersetzung nominiert wurde.

Dieses Buch sei "alles andere als eine Biographie", behauptet der Klappentext, und das stimmt insofern, als nicht etwa Stationen des Lebens nach einander abgeklappert, sondern einzelne Episoden hervorgehoben werden, von denen gerade die persönlichen weitgehend erfunden sein müssen.

So der wunderbare Auftakt, in dem es um die unangenehme Prozedur geht, einer angenehm warmen Badewanne entsteigen zu müssen. Besser, greifbarer könnte uns der Protagonist nicht präsentiert werden, zumal diese Szene in völligem Kontrast dazu steht, dass der badende Komponist sich im Aufbruch zu einer Amerikareise befindet – im Jahre 1927 wahrlich kein geringes Unterfangen. Gerade diese intime Schilderung der Figur macht den besonderen Reiz des Romans aus, verstärkt vermutlich durch ein gewisses voyeuristisches Moment, da wir dem damals Hochberühmten in seinen privatesten Augenblicken zuschauen dürfen.

Größer ist sicher noch das Vergnügen an der sprachlichen Form, die Jean Echenoz seiner Beschreibung dieses diffizilen Charakters gibt. Da ist kein Wort zuviel, aber dennoch können wir uns genau einfühlen und sogar Verständnis für die ausgeprägten Marotten der Figur entwickeln. Soviel Introspektion muss bei aller biographischen Forschung doch der Imagination des Autors entstammen, aber der überzeugt uns Leser geschickt, indem er seinem Text dank einer Vielzahl offensichtlich penibel recherchierter Details größte Glaubwürdigkeit verleiht, so dass wir an keiner Stelle auch nur den Versuch unternehmen, zwischen Fiktion und historischer Wahrheit unterscheiden zu wollen.

Zwar werden sich mit Ausnahme einiger Oldtimer-Fans die wenigsten etwas unter den jeweils mit Marke und Typ bezeichneten Automobilen vorstellen können, auch mag der Hinweis nicht wirklich relevant erscheinen, dass der vierte Schornstein der France, des Dampfers, auf dem Ravel nach Amerika reist, nur der Zierde dient, doch gelingt es Echenoz mittels dieser und anderer Einzelheiten, seiner Figur einen plastischen Rahmen zu verleihen und aus einzelnen Splittern ein Bild einer vergangenen Welt aufleuchten zu lassen.

Rezensiert von Carolin Fischer


Jean Echenoz: Ravel
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Berlin Verlag 2007, 110 Seiten, 18 Euro