Der Komponist Guillaume de Machaut

Avantgarde des 14. Jahrhunderts

Die Kathedrale von Reims
Die Kathedrale von Reims - eine der architektonisch bedeutendsten gotischen Kirchen Frankreichs. © AFP
Gast: Michael Stegemann |
Krieg, Pest, Kirchenspaltung: Das 14. Jahrhundert war ein Zeitalter des Schreckens. Doch die Künste blühten auf: Gotische Kathedralen entstehen, Dante schreibt die „Göttliche Komödie“, und mit Guillaume de Machaut betritt der erste biografisch greifbare Komponist die Bühne der Musikgeschichte.
Musik des Mittelalters? Singende Mönche in Kathedralen, Spielleute auf Marktplätzen und Minnesänger auf Burgen. Im Zeitalter der Gotik verlässt die Musik die einstimmige Bahn der Gregorianik, und man kann nur staunen, wie schnell die frühe Mehrstimmigkeit zu komplexen Klängen geführt hat – so komplex, dass diese "Ars nova" auch heute noch überraschend neu klingt.
Der größte Komponist, den wir aus dieser Zeit kennen, ist Guillaume de Machaut. Um 1300 wurde er in Nordfrankreich geboren, 1377 starb er in Reims. Es war eine abenteuerliche Epoche: 1311 wurde die Kathedrale von Reims vollendet – ein musikalisches Zentrum jener Jahre. 1320 beendete Dante die "Göttliche Komödie", 1333 besichtigte Petrarca das, was damals vom Kölner Dom schon zu sehen war, 1337 begann der Hundertjährige Krieg und 1348 raffte die Pest ein Drittel der europäischen Bevölkerung hinweg. Machaut – Musiker, Dichter und Kleriker – reiste in höfischen Diensten quer durch Europa und ließ sich schließlich in Reims nieder.
Seine wohl um 1360 entstandene "Messe de Nostre-Dame" gilt als die erste vollständige Vertonung der lateinischen Messe, die sich einem Komponisten zuordnen lässt, aber nicht nur deswegen ging sie als Meilenstein in die Musikgeschichte ein. Machauts Messe zeugt von größtem Erfindungsreichtum; ihre dichte Textur und die brillant ineinander verschachtelten Rhythmen erzeugen einen Farbenrausch, der dem Strahlen gotischer Kirchenfenster in nichts nachsteht.
Auch wenn es kaum Hinweise zur Aufführungspraxis des Spätmittelalters gibt – oder gerade deswegen – fasziniert Machauts Musik seit langer Zeit Chor- und Ensembleleiter ebenso wie Komponisten, die diese Musik aus heutiger Sicht bearbeiten. Jede Interpretation versteht sich dabei als Annäherung an ein historisch sehr fernes Werk, das denn auch entsprechend unterschiedlich zum Klingen gebracht wird. Im Gespräch mit dem Musikwissenschaftler und Publizisten Michael Stegemann werden zu Machauts Messe, seinen Motetten und Chansons Aufnahmen aus 60 Jahren Interpretationsgeschichte vorgestellt.
Moderation: Olaf Wilhelmer
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