Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert

Von Sebastian Schoepp · 29.06.2012
Lateinamerika hat sich vorgenommen, seine neue Stärke zu nutzen und den Krieg gegen die Drogenmafia zu beenden, weil er die Entwicklung des Kontinents blockiere, meint der Journalist Sebastian Schoepp. Anders ausgedrückt: Der reiche, aber krisengeschüttelte Norden der Welt soll sein Problem mit dem Drogenkonsum allein lösen.
Unter all den sinnlosen Kriegen, die im vergangenen halben Jahrhundert ausgefochten wurden, ist der Krieg gegen die Drogen der wohl sinnloseste. US-Präsident Richard Nixon erklärte diesen Krieg 1971, als er feststellte, dass ein guter Teil der Soldaten, die in Vietnam gekämpft hatten, Junkies waren.

Seitdem haben die Schauplätze des Drogenkrieges mehrfach gewechselt. Milliarden wurden in die Vernichtung von Mohnplantagen in Afghanistan oder von Kokafeldern in Kolumbien gesteckt. Tausende Menschen sind gestorben. Und das Ergebnis? Drogenkonsum ist populär wie nie, er hat nur sein Gesicht verändert.

In Mexiko beherrschen die Narco-Kartelle ganze Landstriche. Mit militärischen Mitteln ist ihnen nicht beizukommen. 50.000 Tote hat der Drogenkrieg in den letzten Jahren in Mexiko gefordert. Doch die Mafia wird nicht schwächer, im Gegenteil, sie fordert mit immer grausigeren Massenmorden ganze Staaten heraus. Eine Weltregion liegt darnieder wie ein Kokser im Depressionstal nach dem Kick. Keine Frage: Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert.

Aus Lateinamerika kommen daher die lautesten Stimmen, die fordern, die weltweite Drogenpolitik zu liberalisieren. Die, die das verlangen, sind keine Hippies, es sind Politiker, die sich selbst an den Narcos die Zähne ausgebissen haben. Juan Manuel Santos ist einer von ihnen. Kolumbiens Präsident war früher Verteidigungsminister, er stand an vorderster Front im Drogenkrieg und weiß, wovon er spricht, wenn er die USA auffordert, vom Weg der reinen Repression abzuweichen.

Denn in den USA sitzen noch immer die meisten Konsumenten, ohne die es den Drogenhandel nicht gäbe. Santos und andere lateinamerikanische Präsidenten fordern, Süchtige sollten wie Kranke und nicht mehr wie Kriminelle behandelt werden; die Milliarden, die sinnloserweise in den Drogenkrieg gepumpt würden, sollten lieber in Prävention, Kontrolle und Behandlung fließen. Dahinter steht nichts anderes als die Forderung, das Undenkbare zu denken – und Drogen kontrolliert freizugeben.

Ist diese Forderung abwegig? Sicher nicht, wenn man sich ansieht, wie die Gewinne der Kartelle zustande kommen. Die Produktion einer Tonne Kokain kostet etwa 3000 Dollar. Auf dem Schwarzmarkt erbringt die gleiche Menge Stoffs dreißig bis fünfzig Millionen. Der Gewinn entsteht also durch die Illegalität. Entzöge man den Bossen ihre Gewinne, würden sie ihre Geschäftsgrundlage verlieren – und damit ihre Macht.

Was würde es für uns bedeuten, sollte man die Forderung aus Lateinamerika in die Tat umsetzen? Würden brave Bürger plötzlich in Massen Heroin spritzen oder Koks schnupfen anstatt abends ihr Bierchen zu zischen? Wohl kaum.

Eines steht außer Frage: Die, die Drogen wollen, kommen problemlos an den Stoff, so oder so. Würde der Staat ihn kontrolliert abgeben, würde er nicht nur die entkriminalisieren, die sich den Stoff sowieso besorgen - er könnte den Überblick über den Handel behalten und sogar noch daran verdienen, ähnlich wie bei Alkohol und Tabak.

Die Drogenprohibition, wie wir sie kennen, folgt einem heuchlerischen moralischen Modell, das nie funktioniert hat. Es hat die Sucht nicht eingedämmt, sondern etwa in den USA dazu geführt, dass heute zwanzigmal so viele Menschen wegen Drogendelikten in den Gefängnissen sitzen wie 1981.

Brasiliens Ex-Präsident, der Soziologe Fernando Enrique Cardoso, hat diese Situation vor kurzem mit den 1920er Jahren verglichen, als die USA versuchten, Alkoholkonsum durch Prohibition zu unterbinden: Damals machte der Alkoholschmuggel eine riesige Mafia stark, Gangsterbanden kontrollierten ganze Städte wie Chicago – und gesoffen wurde wie eh und je.

Als die Prohibition aufgehoben wurde, hatte die Mafia plötzlich keine Einnahmen mehr. Der Spuk von Al Capone und seinen Spießgesellen verschwand, wie er gekommen war – quasi über Nacht.


Sebastian Schoepp, Journalist, Jahrgang 1964, ist seit 2005 außenpolitischer Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" und als solcher für Spanien und Lateinamerika zuständig. Außerdem ist er Dozent für Journalistik an der Universität Barcelona. Er arbeitete für verschiedene spanische und lateinamerikanische Publikationen. 2011 erschien sein Buch: "Das Ende der Einsamkeit. Was die Welt von Lateinamerika lernen kann."
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