Der Krieg hat Timbuktu vergiftet
Perle der Sahara, Heimstadt der 333 Heiligen, Zentrum von Wissenschaft und Kultur – jahrhundertelang lebte die Bevölkerung der Wüstenstadt Timbuktu mit ihrem berühmten Erbe. Heute regiert Misstrauen und Angst die Stadt - und große Not.
Ein Kontrollposten der malischen Armee am Stadtrand von Timbuktu: Mürrische Soldaten prüfen unseren Passierschein, durchsuchen unseren Kofferraum – und winken uns durch.
Mitten auf der Hauptstraße stehen zwei zerschossene Pick-Up-Geländewagen, ehemaliges Kriegsgerät der Dschihadisten. Aus Timbuktu sind sie offiziell vertrieben. Das malische Militär ist in der Stadt, französische Einheiten sind draußen am Flughafen stationiert. Doch von Aufatmen und Freude bei den Menschen keine Spur, es ist sehr still in der Stadt, viel zu still.
Mitten auf der Hauptstraße stehen zwei zerschossene Pick-Up-Geländewagen, ehemaliges Kriegsgerät der Dschihadisten. Aus Timbuktu sind sie offiziell vertrieben. Das malische Militär ist in der Stadt, französische Einheiten sind draußen am Flughafen stationiert. Doch von Aufatmen und Freude bei den Menschen keine Spur, es ist sehr still in der Stadt, viel zu still.
"Hier gilt die Scharia"
Wer nach Timbuktu kommt, wird noch immer im Namen der selbst ernannten Heiligen Krieger begrüßt, auf Arabisch und Französisch. "Timbuktu, der Leuchtturm des Islam", steht auf dem riesigen schwarz-weißen Schild am Ortseingang. Weiter heißt es: "Hier gilt die Scharia. Wer das islamische Recht respektiert, ist willkommen." Das Schild wurde bis heute nicht abgerissen – warum nicht, das fragt sich auch Ali Baba, der früher ab und zu Touristen durch die Stadt geführt hat.
"Hier gab es sicher weit mehr als eintausend Islamisten. Alle möglichen Gruppen waren hier, Ansar Dine, Al Kaida, Boko Haram aus Nigeria, Dschihadisten aus Ägypten, Libyen, Tunesien, Mauretanien – aber natürlich auch aus Mali. Alle kamen sie, um zu kämpfen – angeblich im Namen des Islam."
Timbuktu habe für die Islamisten eine besondere Bedeutung gehabt, erzählt Ali Baba. Die Stadt sei voll gewesen mit tarnfarbenen Jeeps und schweren Maschinengewehren auf den Ladeflächen, die schwarze Fahne der Islampolizei wehte überall. Die großen Terroristen, die Führer des Wüsten-Dschihad seien hier gewesen: Abu Zeid, der so genannte "Emir von Timbuktu".
Der Chef von Al Kaida im Islamischen Maghreb ließ sich in weißem Gewand und in einem schwarzen Mercedes durch die Stadt fahren. Und natürlich habe auch "Mister Marlboro" Timbuktu besucht - Mokhtar Belmokhtar, der Mann mit der Augenklappe, der einmal ein wichtiger Kopf von Al Kaida war und zuletzt mit der spektakulären Geiselnahme auf dem algerischen Gasfeld In Amenas Schlagzeilen machte.
Beide sollen inzwischen bei Gefechten im Norden Malis getötet worden sein – von tschadischen und französischen Soldaten.
"Hier gab es sicher weit mehr als eintausend Islamisten. Alle möglichen Gruppen waren hier, Ansar Dine, Al Kaida, Boko Haram aus Nigeria, Dschihadisten aus Ägypten, Libyen, Tunesien, Mauretanien – aber natürlich auch aus Mali. Alle kamen sie, um zu kämpfen – angeblich im Namen des Islam."
Timbuktu habe für die Islamisten eine besondere Bedeutung gehabt, erzählt Ali Baba. Die Stadt sei voll gewesen mit tarnfarbenen Jeeps und schweren Maschinengewehren auf den Ladeflächen, die schwarze Fahne der Islampolizei wehte überall. Die großen Terroristen, die Führer des Wüsten-Dschihad seien hier gewesen: Abu Zeid, der so genannte "Emir von Timbuktu".
Der Chef von Al Kaida im Islamischen Maghreb ließ sich in weißem Gewand und in einem schwarzen Mercedes durch die Stadt fahren. Und natürlich habe auch "Mister Marlboro" Timbuktu besucht - Mokhtar Belmokhtar, der Mann mit der Augenklappe, der einmal ein wichtiger Kopf von Al Kaida war und zuletzt mit der spektakulären Geiselnahme auf dem algerischen Gasfeld In Amenas Schlagzeilen machte.
Beide sollen inzwischen bei Gefechten im Norden Malis getötet worden sein – von tschadischen und französischen Soldaten.
Die Islamisten sind weg - das Leid blieb
Das sagenumwobene, magische Timbuktu: Das war einmal, sagt Ali Baba. Die Islamisten haben die meisten Mausoleen der Heiligen zerstört und Teile der berühmten Manuskript-Sammlung verbrannt. Doch ein Jahr lang haben sie auch die Menschen terrorisiert. Mit Verboten, Amputationen und Steinigungen.
"Die erste Bestrafung fand hier auf dem Platz der Sankoré-Moschee statt. Ein unverheiratetes Paar wurde ausgepeitscht – die Islamisten sagten uns, diese Leute hätten Unzucht begangen und unehelich ein Kind gezeugt. Der Mann bekam vor unseren Augen 100 Schläge mit der Peitsche, die Frau 95. Später wurde hier ein Araber geschlagen, der angeblich gestohlen hatte. Ein Mann wurde zu Tode gesteinigt – wir mussten alles mit ansehen, aber: Was hätten wir tun sollen? Am Anfang haben wir noch versucht zu protestieren, zu demonstrieren – aber keine Chance… Jetzt haben wir endlich Frieden – aber ich kann die Bilder nicht vergessen. Sie tun mir weh. Sehr weh."
Nun sind die Islamisten weg, zumindest offiziell. Doch das Leiden geht weiter. Anfang Februar, als Frankreichs Präsident François Hollande als Befreier nach Timbuktu kam, als tausende Menschen ihm zujubelten, ihm aus tiefer Dankbarkeit sogar ein Kamel schenkten – da lag die Stadt in einem Freudentaumel. Doch davon ist nicht viel mehr übrig als ein paar französische Fahnen in den sandigen Gassen.
Still ist es in Timbuktu, viel zu still.
"Soyez bienvenu chez nous" – Seien Sie herzlich willkommen bei uns, das höre ich alle paar Minuten. Hände werden oft und besonders lang geschüttelt, die Menschen suchen den Augenkontakt, sind froh über Besuch – denn bislang traut sich kaum ein weißer Zivilist in den Norden Malis.
"Timbuktu ist eine traumatisierte Stadt. Nichts wird mehr so sein wie früher. Hier kannten sich alle untereinander, alle waren hilfsbereit, gastfreundlich – jetzt denkt jeder nur an sich, um zu überleben. Die Not ist groß, viele Menschen essen vielleicht nur noch einmal am Tag, wenn überhaupt."
Auf dem Markt von Timbuktu: Händler bieten ihre Waren an – doch keiner kauft. Auch die Orangen von Bintou Maiga rotten in der Hitze vor sich hin.
"Ich musste die Preise erhöhen, weil ich selbst teuer einkaufen muss - vor allem Obst, Gemüse, aber auch Zucker und Öl – das kostet alles fast doppelt so viel wie vor dem Krieg! Die Versorgung funktioniert nicht – die Straßen sind schlecht und auch noch gefährlich, wegen der Minen. Und die Grenzen nach Algerien und Mauretanien sind dicht. Die Menschen haben keine Arbeit und kein Geld."
"Die erste Bestrafung fand hier auf dem Platz der Sankoré-Moschee statt. Ein unverheiratetes Paar wurde ausgepeitscht – die Islamisten sagten uns, diese Leute hätten Unzucht begangen und unehelich ein Kind gezeugt. Der Mann bekam vor unseren Augen 100 Schläge mit der Peitsche, die Frau 95. Später wurde hier ein Araber geschlagen, der angeblich gestohlen hatte. Ein Mann wurde zu Tode gesteinigt – wir mussten alles mit ansehen, aber: Was hätten wir tun sollen? Am Anfang haben wir noch versucht zu protestieren, zu demonstrieren – aber keine Chance… Jetzt haben wir endlich Frieden – aber ich kann die Bilder nicht vergessen. Sie tun mir weh. Sehr weh."
Nun sind die Islamisten weg, zumindest offiziell. Doch das Leiden geht weiter. Anfang Februar, als Frankreichs Präsident François Hollande als Befreier nach Timbuktu kam, als tausende Menschen ihm zujubelten, ihm aus tiefer Dankbarkeit sogar ein Kamel schenkten – da lag die Stadt in einem Freudentaumel. Doch davon ist nicht viel mehr übrig als ein paar französische Fahnen in den sandigen Gassen.
Still ist es in Timbuktu, viel zu still.
"Soyez bienvenu chez nous" – Seien Sie herzlich willkommen bei uns, das höre ich alle paar Minuten. Hände werden oft und besonders lang geschüttelt, die Menschen suchen den Augenkontakt, sind froh über Besuch – denn bislang traut sich kaum ein weißer Zivilist in den Norden Malis.
"Timbuktu ist eine traumatisierte Stadt. Nichts wird mehr so sein wie früher. Hier kannten sich alle untereinander, alle waren hilfsbereit, gastfreundlich – jetzt denkt jeder nur an sich, um zu überleben. Die Not ist groß, viele Menschen essen vielleicht nur noch einmal am Tag, wenn überhaupt."
Auf dem Markt von Timbuktu: Händler bieten ihre Waren an – doch keiner kauft. Auch die Orangen von Bintou Maiga rotten in der Hitze vor sich hin.
"Ich musste die Preise erhöhen, weil ich selbst teuer einkaufen muss - vor allem Obst, Gemüse, aber auch Zucker und Öl – das kostet alles fast doppelt so viel wie vor dem Krieg! Die Versorgung funktioniert nicht – die Straßen sind schlecht und auch noch gefährlich, wegen der Minen. Und die Grenzen nach Algerien und Mauretanien sind dicht. Die Menschen haben keine Arbeit und kein Geld."
Keiner vertraut mehr dem anderen
Viele Menschen seien aus Timbuktu geflohen, aus Angst vor den Kämpfen, erklärt Kioskbesitzer Amadou Cissé. Viele würden nicht mehr zurückkehren. Ob er selbst sich denn sicher fühle in seiner Stadt, frage ich - jetzt, wo sie doch befreit sei? Amadou lacht nur, und er quält sich dabei.
"Ça va à la Malienne", sagt er: "Es geht schon irgendwie - auf malische Art." Soll heißen: Es geht eigentlich gar nicht. Die Not ist groß, aber auch die Angst vor Anschlägen, keiner vertraut mehr dem anderen. Die Geschäfte im arabischen Viertel der Stadt sind alle verwüstet und geplündert. Hellhäutige Mitbürger stehen unter Generalverdacht. Werden als Waffen- und Drogenhändler gebrandmarkt, als Selbstmordattentäter, Kollaborateure der Islamisten.
Unbescholtene Araber und Tuareg werden von der Armee abgeholt – und später tot aufgefunden, verscharrt in den Dünen vor der Stadt. Auch Ali Ould Mohamed Kabadi ist Opfer der Lynchjustiz geworden. Sein verzweifelter Sohn Ibrahim, sechzehn Jahre alt, muss sich nun allein um seine zwei kleinen Brüder kümmern.
"Ich will die Wahrheit wissen. Ich kann nicht mehr schlafen und nicht mehr essen. Jeder in Timbuktu kannte meinen Vater – er gehörte zu dieser Stadt, er glaubte an Mali. Jetzt ist er tot. Ich muss wissen, was genau passiert ist."
Ibrahims Nachbar Mouloud Banya hat im Viertel Geld für die Kinder des Ermordeten gesammelt. Mouloud gehört zur Volksgruppe der Songhay, aber das ist ihm in diesen Zeiten egal – alle seien Malier, sagt er, alle seien Bürger der Stadt Timbuktu – auch die unschuldigen Opfer aus den Reihen der Tuareg und der Araber hätten ein Recht auf Schutz gehabt. Mouloud Banya ist schockiert, dass der Kommandant der malischen Truppen in Timbuktu alle Vorwürfe zurückweist. Allen im Araberviertel ist klar – die Übergriffe der malischen Sicherheitskräfte werden wohl nie aufgeklärt werden.
"In Timbuktu wissen alle, dass dieser alte Mann nie etwas mit den Islamisten zu tun hatte! Und ich sage das allen, die es hören wollen - die Armee ist hier, um sich zu rächen und alte Rechnungen zu begleichen. Ich habe den Eindruck, nach dem Rückzug der Islamisten ist in Timbuktu nun erst richtig Panik ausgebrochen!"
Der Krieg scheint Timbuktu vergiftet zu haben – das Zentrum des mystischen Islam, in dem so viele Volksgruppen jahrhundertelang friedlich zusammengelebt hatten. Die Stadt der 333 Heiligen – sie hat ein großes Stück ihrer Seele verloren.
"Ça va à la Malienne", sagt er: "Es geht schon irgendwie - auf malische Art." Soll heißen: Es geht eigentlich gar nicht. Die Not ist groß, aber auch die Angst vor Anschlägen, keiner vertraut mehr dem anderen. Die Geschäfte im arabischen Viertel der Stadt sind alle verwüstet und geplündert. Hellhäutige Mitbürger stehen unter Generalverdacht. Werden als Waffen- und Drogenhändler gebrandmarkt, als Selbstmordattentäter, Kollaborateure der Islamisten.
Unbescholtene Araber und Tuareg werden von der Armee abgeholt – und später tot aufgefunden, verscharrt in den Dünen vor der Stadt. Auch Ali Ould Mohamed Kabadi ist Opfer der Lynchjustiz geworden. Sein verzweifelter Sohn Ibrahim, sechzehn Jahre alt, muss sich nun allein um seine zwei kleinen Brüder kümmern.
"Ich will die Wahrheit wissen. Ich kann nicht mehr schlafen und nicht mehr essen. Jeder in Timbuktu kannte meinen Vater – er gehörte zu dieser Stadt, er glaubte an Mali. Jetzt ist er tot. Ich muss wissen, was genau passiert ist."
Ibrahims Nachbar Mouloud Banya hat im Viertel Geld für die Kinder des Ermordeten gesammelt. Mouloud gehört zur Volksgruppe der Songhay, aber das ist ihm in diesen Zeiten egal – alle seien Malier, sagt er, alle seien Bürger der Stadt Timbuktu – auch die unschuldigen Opfer aus den Reihen der Tuareg und der Araber hätten ein Recht auf Schutz gehabt. Mouloud Banya ist schockiert, dass der Kommandant der malischen Truppen in Timbuktu alle Vorwürfe zurückweist. Allen im Araberviertel ist klar – die Übergriffe der malischen Sicherheitskräfte werden wohl nie aufgeklärt werden.
"In Timbuktu wissen alle, dass dieser alte Mann nie etwas mit den Islamisten zu tun hatte! Und ich sage das allen, die es hören wollen - die Armee ist hier, um sich zu rächen und alte Rechnungen zu begleichen. Ich habe den Eindruck, nach dem Rückzug der Islamisten ist in Timbuktu nun erst richtig Panik ausgebrochen!"
Der Krieg scheint Timbuktu vergiftet zu haben – das Zentrum des mystischen Islam, in dem so viele Volksgruppen jahrhundertelang friedlich zusammengelebt hatten. Die Stadt der 333 Heiligen – sie hat ein großes Stück ihrer Seele verloren.
Fast ein Jahr hatten die Islamisten in der Stadt gewütet
Der Innenhof des Ahmed-Baba-Zentrums von Timbuktu ist übersät mit grünen Kartons aus Pappe. Sie sind leer. Von den vielen hundert Manuskripten, die darin gelagert waren, sind nur noch ein paar verkohlte Umschläge aus uraltem Ziegen- und Kamelleder übrig – und jede Menge Asche. Der Wind weht ein paar kleine Fetzen von Papier durch die Luft, Ali Baba hält ein zwei-Euro-großes Stück beschriebenes Papier in der Hand.
"Das hier ist die Asche von Manuskripten aus dem 14., 15. und 16. Jahrhundert. In diesen Texten ging es nicht nur um den Islam, sondern auch um Philosophie, Poesie, um das Rechtswesen, um Mathematik, Astronomie und Medizin. Jemand, der von sich sagt, er sei ein guter Moslem, kann doch solche Bücher nicht einfach anzünden. Es tut sehr weh – schau Dir das an, so viel wurde zerstört…"
Fast ein Jahr lang hatten die Islamisten in Timbuktu gewütet – das Ahmed-Baba-Institut war eines ihrer Hauptquartiere. Zuvor war es gerade erst als modernes Forschungszentrum für die weltberühmte Manuskriptsammlung neu eröffnet worden - mit viel internationaler Hilfe, vor allem aus Südafrika. Die Arbeitsräume, in denen Wissenschaftler einen Teil der Schriften mühsam restauriert hatten, sind heute verwüstet. Alle Computer wurden gestohlen, auf vielen Festplatten befinden sich digitalisierte Kopien der Manuskripte. In skurrilem Rosa haben französische Spezialeinheiten "OK" auf die Bürotüren gesprüht – aus den Räumen mussten zuvor Sprengfallen der Islamisten entfernt werden.
Als die Dschihadisten von den französischen und malischen Truppen vertrieben wurden, sollen sie nach Schätzungen rund 3000 Manuskripte vernichtet haben. Einige tausend sind jedoch unversehrt in einem Keller des Instituts versteckt, einige auf privaten Dachböden, und den größten Teil der Sammlung haben mutige Historiker heimlich in die Hauptstadt Bamako bringen können – sie lagern an einen geheimen Ort. Die meisten der insgesamt rund 45.000 Schriften konnten also gerettet werden.
Doch für den Imam Al Mahadi Ben Essayouti, den Hüter der Manuskripte von Timbuktu, ist jede einzelne verbrannte Seite ein schmerzhafter Verlust, der ihn noch gebeugter gehen lässt.
"Das hier ist die Asche von Manuskripten aus dem 14., 15. und 16. Jahrhundert. In diesen Texten ging es nicht nur um den Islam, sondern auch um Philosophie, Poesie, um das Rechtswesen, um Mathematik, Astronomie und Medizin. Jemand, der von sich sagt, er sei ein guter Moslem, kann doch solche Bücher nicht einfach anzünden. Es tut sehr weh – schau Dir das an, so viel wurde zerstört…"
Fast ein Jahr lang hatten die Islamisten in Timbuktu gewütet – das Ahmed-Baba-Institut war eines ihrer Hauptquartiere. Zuvor war es gerade erst als modernes Forschungszentrum für die weltberühmte Manuskriptsammlung neu eröffnet worden - mit viel internationaler Hilfe, vor allem aus Südafrika. Die Arbeitsräume, in denen Wissenschaftler einen Teil der Schriften mühsam restauriert hatten, sind heute verwüstet. Alle Computer wurden gestohlen, auf vielen Festplatten befinden sich digitalisierte Kopien der Manuskripte. In skurrilem Rosa haben französische Spezialeinheiten "OK" auf die Bürotüren gesprüht – aus den Räumen mussten zuvor Sprengfallen der Islamisten entfernt werden.
Als die Dschihadisten von den französischen und malischen Truppen vertrieben wurden, sollen sie nach Schätzungen rund 3000 Manuskripte vernichtet haben. Einige tausend sind jedoch unversehrt in einem Keller des Instituts versteckt, einige auf privaten Dachböden, und den größten Teil der Sammlung haben mutige Historiker heimlich in die Hauptstadt Bamako bringen können – sie lagern an einen geheimen Ort. Die meisten der insgesamt rund 45.000 Schriften konnten also gerettet werden.
Doch für den Imam Al Mahadi Ben Essayouti, den Hüter der Manuskripte von Timbuktu, ist jede einzelne verbrannte Seite ein schmerzhafter Verlust, der ihn noch gebeugter gehen lässt.
Die Schriften sind ein bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte
Der greise Mann mit blütenweißem Gewand und einem ebenso weißen langen Bart empfängt seinen Besucher in Timbuktu in einem abgedunkelten Salon. Hier schützt er seine uralten Schriften vor dem aggressiven Sonnenlicht. Der Imam setzt sich auf ein großes Kissen und legt ehrfürchtig drei Bücher nebeneinander auf einen alten, kostbaren Teppich. Es ist vollkommen still, wie bei einem Gebet. Plötzlich ist es, als ob der Geist einer längst vergessenen orientalischen Welt über den Manuskripten schwebt. Sanft streicht der Imam über einen dunkelgrünen Ledereinband und schlägt eine Seite auf.
"Hier sieht man, wie diese Leute damals gearbeitet haben. Meistens haben sie Federkiele an Holzstöckchen befestigt und Zeile für Zeile gemalt – alles einheitlich und ohne eine einzige Korrektur! Das ist die hohe Kunst der Kalligraphie. Dieses Manuskript hier, es ist mit Blattgold verziert. Ein juristischer Text, aus dem 16. Jahrhundert. Tausende Seiten, eine so perfekt wie die andere, aufgeschrieben von einer einzigen Person! Das ist das Unglaubliche an diesen Schätzen – so was gibt es nicht nochmal auf der Welt!"
Mit Sorge hat Imam Ben Essayouti erfahren, dass Schmuggler schon kistenweise Manuskripte außer Landes bringen wollten und im Norden Malis gerade noch gestoppt wurden. Seine größte Hoffnung ist es nun, dass die Manuskripte so gut wie möglich geschützt und vor allem übersetzt werden – als bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte.
"Der Wert dieser Manuskripte ist eigentlich nicht von dieser Welt und daher auch nicht zu beziffern. Diese Bücher sind keine Ware, also man könnte nicht einfach ein Preisschild dran kleben. Selbst ihrem Besitzer gehören die Manuskripte nicht wirklich: Sie gehören der gesamten Menschheit. Mit einem Manuskript Geld zu machen und es zu verkaufen – das würde bedeuten, die Geschichte zu verändern."
Für Samuel Sidibé, den Direktor des Nationalmuseums in Bamako, hat sich durch den Einfluss der Islamisten schon viel verändert: Die Islampolizei von Ansar Dine, Al Kaida und Mujao habe nicht nur über die Einhaltung der Scharia gewacht. Sie sei auch eine totalitäre Gedankenpolizei gewesen, sagt er. Die Zerstörung des Weltkulturerbes in Timbuktu hat den Kulturwissenschaftler Sidibé bis ins Mark getroffen.
"Für mich war es so, als würden die Dschihadisten nicht nur Mausoleen zerstören und Papier verbrennen. Es war, als ob diese Leute unsere Identität auslöschen wollten. Es war eine Art Mordanschlag auf unsere kulturelle Würde. Als ginge es darum, Malis Gesellschaft zu zerstören und an ihre Stelle etwas anderes zu setzen – einen anderen Menschen, einen radikalen Islam, der mit uns nichts mehr zu tun haben würde. Es war, als wollten sie unsere Seele töten."
"Hier sieht man, wie diese Leute damals gearbeitet haben. Meistens haben sie Federkiele an Holzstöckchen befestigt und Zeile für Zeile gemalt – alles einheitlich und ohne eine einzige Korrektur! Das ist die hohe Kunst der Kalligraphie. Dieses Manuskript hier, es ist mit Blattgold verziert. Ein juristischer Text, aus dem 16. Jahrhundert. Tausende Seiten, eine so perfekt wie die andere, aufgeschrieben von einer einzigen Person! Das ist das Unglaubliche an diesen Schätzen – so was gibt es nicht nochmal auf der Welt!"
Mit Sorge hat Imam Ben Essayouti erfahren, dass Schmuggler schon kistenweise Manuskripte außer Landes bringen wollten und im Norden Malis gerade noch gestoppt wurden. Seine größte Hoffnung ist es nun, dass die Manuskripte so gut wie möglich geschützt und vor allem übersetzt werden – als bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte.
"Der Wert dieser Manuskripte ist eigentlich nicht von dieser Welt und daher auch nicht zu beziffern. Diese Bücher sind keine Ware, also man könnte nicht einfach ein Preisschild dran kleben. Selbst ihrem Besitzer gehören die Manuskripte nicht wirklich: Sie gehören der gesamten Menschheit. Mit einem Manuskript Geld zu machen und es zu verkaufen – das würde bedeuten, die Geschichte zu verändern."
Für Samuel Sidibé, den Direktor des Nationalmuseums in Bamako, hat sich durch den Einfluss der Islamisten schon viel verändert: Die Islampolizei von Ansar Dine, Al Kaida und Mujao habe nicht nur über die Einhaltung der Scharia gewacht. Sie sei auch eine totalitäre Gedankenpolizei gewesen, sagt er. Die Zerstörung des Weltkulturerbes in Timbuktu hat den Kulturwissenschaftler Sidibé bis ins Mark getroffen.
"Für mich war es so, als würden die Dschihadisten nicht nur Mausoleen zerstören und Papier verbrennen. Es war, als ob diese Leute unsere Identität auslöschen wollten. Es war eine Art Mordanschlag auf unsere kulturelle Würde. Als ginge es darum, Malis Gesellschaft zu zerstören und an ihre Stelle etwas anderes zu setzen – einen anderen Menschen, einen radikalen Islam, der mit uns nichts mehr zu tun haben würde. Es war, als wollten sie unsere Seele töten."
Die Hoffnung: Dass so etwas nie wieder vorkommt
Die UN-Kulturorganisation UNESCO will nun beim Wiederaufbau Timbuktus helfen. Sobald die Lage in der Wüstenstadt einigermaßen sicher ist, sollen Experten die Schäden begutachten. Außerdem hat die UNESCO einen Aktionsplan für die Sanierung von Kulturgütern aufgelegt – mit zehn Millionen Dollar. Ali Daou, Projektleiter bei der UNESCO in Bamako, fürchtet, dass das keinesfalls reichen wird. Allein fünf Millionen Dollar würden mindestens benötigt, um die zerstörten Mausoleen Timbuktus wieder aufzubauen. Wie so vielen Maliern bleibt Ali Daou nichts anderes übrig, als zu hoffen - dass bei den künftigen Geberkonferenzen für Mali die Kultur nicht zu kurz kommt. Und vor allem: Dass so etwas in Mali nie wieder passiert.
"Die Kultur ist eine der tragenden Säulen unserer Existenz. Mali ist eine Kulturnation. In den Mausoleen steckt unser Glaube, in den Manuskripten steckt unser Gedächtnis, das Gedächtnis Afrikas. Deswegen müssen wir alles daran setzen, dieses Erbe zu retten. Natürlich geht es auch um den Tourismus, der sich wieder entwickeln muss - viele Menschen kamen ja aus aller Welt, um dieses Erbe zu sehen – das ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber noch wichtiger ist es, dass wir als Malier begreifen, wie wichtig dieses Erbe ist, wie wertvoll, jenseits von bezifferbarem Marktwert. Und wir müssen begreifen, dass wir nun die Hüter unserer eigenen Geschichte sind."
"Die Kultur ist eine der tragenden Säulen unserer Existenz. Mali ist eine Kulturnation. In den Mausoleen steckt unser Glaube, in den Manuskripten steckt unser Gedächtnis, das Gedächtnis Afrikas. Deswegen müssen wir alles daran setzen, dieses Erbe zu retten. Natürlich geht es auch um den Tourismus, der sich wieder entwickeln muss - viele Menschen kamen ja aus aller Welt, um dieses Erbe zu sehen – das ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber noch wichtiger ist es, dass wir als Malier begreifen, wie wichtig dieses Erbe ist, wie wertvoll, jenseits von bezifferbarem Marktwert. Und wir müssen begreifen, dass wir nun die Hüter unserer eigenen Geschichte sind."