Der Künstler als Killer

Von Johannes Halder |
Mit nur 29 Jahren schied der Maler Uwe Lausen 1970 durch Freitod aus dem Leben. Seine von der Popart inspirierten Bilder waren von gesellschaftskritischen Gewaltphantasien durchdrungen. Aus historischer Distanz wagt jetzt die Frankfurter Schirn einen Rückblick auf ein spannendes Kapitel bundesdeutscher Kunstgeschichte.
So ähnlich muss er wohl gehaust haben, auf einem Bauernhof in einem kleinen Kaff zwischen München und Rosenheim, damals Mitte der sechziger Jahre. Eine schummrige Wohnhöhle hat man in den Ausstellungsräumen nachgebaut: die bunt lackierte Tür so tief, das man sich ducken muss, die Wände dunkelgrün gestrichen, ein Flokatiteppich, Kugellampen mit gedimmtem Licht, eine Ledercouch mit Chromgestell. Hier kann man sich mit einem Kopfhörer hineinversetzen in die Lebens- und Gedankenwelt des Uwe Lausen:

"Mein Name: Uwe Lausen. Geburtsjahr 1941. Sternzeichen: Steinbock. Körpergröße: 179 bis 180 cm. Gewicht: 66,5 bis 68,5 kg. Pulsschläge pro Minute in der Ruhe: 60 bis 70. Atemzüge pro Minute in der Ruhe: 10 bis 12. Rasse: 75 Prozent germanisch, 25 Prozent slawisch."

Die Selbstbeschreibung in diesem Text von 1968 lässt es ahnen: Lausen war ein schwieriger Mensch. Er galt als abweisend, arrogant und aggressiv, aber auch als zart und sensibel; ein hochbegabter Mensch, der sich hinter der Maske seiner Malerei verbarg und sich immer wieder entzog.

Der Vater war SPD-Abgeordneter, der Sohn ein Rebell von Anfang an; hellwach, mit einem nüchternen Gespür für gesellschaftliche Zwänge und die Enge künstlerischer Konventionen.

Innerhalb von knapp zehn Jahren ist sein Werk entstanden, ganz am Pulsschlag der Zeit, und in der frühen Findungsphase ziemlich frech zusammengeklaut: Gerhard Richter, Asger Jorn, Francis Bacon, David Hockney, Allen Jones und Hundertwasser werden da ganz offen plagiiert. Heute würde man von Sampling sprechen – Lausen, der Autodidakt, hat das Prinzip schon früh vorweggenommen.

Anfangs dominieren noch gestisch verknäulte und verquälte Farbformen, später treffen wir auf schwankende Räume in psychedelisch-plakativer Farbigkeit, die zunehmend von gewalttätigen Akteuren besetzt werden. Eine Poppigkeit, die täuscht, sagt Kuratorin Selima Niggl:

"Pop ist die Oberfläche, ist die kühle Machart, das Grafische auch, gerade in seinen späteren Werken. Das ist für mich Pop. Die Inhalte sind nicht Pop."

Das sind sie keineswegs. Zielscheiben tauchen auf, Gewehrläufe, ein Kopf mit Einschusslöchern, anonyme Fleischklumpen und amputierte Körperteile, Uniformierte, und immer wieder Wohnzimmer mit Sessel und Sofa als Metapher des gesetzten Bürgertums. "Ende schön alles schön" heißt so ein Bild von 1967.

"Da sieht man einen Killer mit Maschinengewehr, der gerade schon einen Menschen erschossen hat und gerade dabei ist, sein Maschinengewehr nachzuladen oder zu entsichern."

1965 schon schließt sich Lausen der "Situationistischen Internationale" um den Kapitalismuskritiker Guy Debord an, mit Bildtiteln wie "Der deutsche Killer", "Jagd auf das letzte Fleisch" oder "Töte" beschwört der radikalisierte Maler das Ende der deutschen Wirtschaftswundergemütlichkeit. Doch wer da wen bekämpft, wird nie ganz deutlich. Der mobilisierte Mob, der offene Straßenkampf, der Terror gar, wie er sich später dann im "Deutschen Herbst" manifestierte, war Lausens Sache nicht, auch wenn er solche Stimmungen vorweggenommen hat.

Dafür war er, der eigentlich Literat werden wollte, viel zu sehr mit sich selbst und seiner zunehmend entgleisenden Psyche beschäftigt. 1968 stellt er das Malen ein.

"Es gab immer Phasen, wo er sich wieder verstärkt dem Schreiben zugewendet hat. Und der Text von 1968, 'Hier und jetzt', darin erwähnt er ja auch, dass er nur gemalt hat, um richtig zu sehen, und jetzt will er schreiben, um richtig zu denken."

Was danach entsteht, ist Flucht und Verzweiflung. Mit dem Musiker Hans Poppel macht er wilde Sessions, teilweise auf selbstgebauten Instrumenten, aus denen nichts als Lebensekel spricht.

"Diddnda, diddnda, diddnda
Schlafen, essen, kacken – ääh
Essen, schlafen, kacken – bääh
Sitzen, stehen, gehen – bääh, bääh, bääh ..."

Das klingt ziemlich bekifft, und in der Tat hatte Lausen ein Drogenproblem. Im Rausch der Realität, die er nur schwer ertrug, in seiner Sucht, das Unbekannte zu erkunden, nahm er alles, was an Drogen zu bekommen war: Haschisch, LSD und Mescalin, auch Heroin.

Auf dem Kunstmarkt hatte er durchaus Erfolg. Lausen galt als Jungstar, auch namhafte Museen kauften seine Bilder an. Zum Leben reichte es dennoch kaum. Private Probleme – er hatte mit der Fotografin Heide Stolz zwei kleine Töchter – mischten sich mit den Drogen zu einem tödlichen Cocktail. Andeutungen, wohin das führen würde, hatte er in einem seiner aphorismenhaften Texte schon lange zuvor gemacht.

"Endgültig. Wer End-gültiges will, will den Tod. Wer End-gültiges will, soll sich umbringen."

Im September 1970 schneidet sich Lausen in seinem Elternhaus bei Stuttgart die Pulsadern auf. Zurückgeblieben ist ein Werk, das auch heute noch erstaunlich aktuell erscheint und das die Zeit, in der es entstanden ist, authentisch erfahrbar macht, sagt Selima Niggl.

"Er hat das gelitten, was er auf seinen Bildern zeigt. In seiner Dramatik ist es, finde ich, sehr glaubhaft. Auch wenn man über diese coole Oberfläche zunächst ein tolles Bild sieht, ein ästhetisch sehr gelungenes Bild. Und das ist eben dieser Bruch, der Lausen auch spannend macht."

Service:
Die Ausstellung Uwe Lausen - Ende schön, alles schön ist in der Schirn Kunsthalle Frankfurt bis zum 13. Juni 2010 zu sehen, danach im Museum Villa Stuck in München (25. Juni bis 3. Oktober 2010) sowie in der Sammlung Falckenberg in Hamburg (22. Oktober 2010 bis 23. Januar 2011).