Der Kultur-Nomade

Von Mirko Heinemann |
Stefan Kaegi arbeitet nicht mit Schauspielern, sondern er stellt echte Menschen auf die Bühne und lässt sie von sich erzählen. Der Regisseur hat bereits auf fast allen Kontinenten gearbeitet. In seinem jüngsten Projekt stellte er in Kairo vier Muezzine auf die Bühne. Im März soll das Stück im Berliner HAU-Theater gezeigt werden.
"Also ein Minarett darf in Ägypten nicht dreckig sein, sondern es darf nur staubig sein. Außerdem dürfen israelische Fluglinien nicht erwähnt werden in einem Theaterstück hier, sonst ..."

Er hat das auch extra gesagt um zu sehen, wie wir darauf reagieren werden.

"Und weil seine Moschee tatsächlich neben der israelischen Fluglinie liegt."

"Von mir aus: Riskiere es heute. Von mir aus: Geh das Risiko ein."

Stefan Kaegi sitzt im Bühnenraum des Kulturzentrums "Al Sawi" in Kairo und diskutiert mit seiner Übersetzerin eventuell anstößige Formulierungen im Text. Denn zur Premiere seines Theaterstücks "Radio Muezzin" wird ein besonderer Gast erwartet, ein Vertreter des ägyptischen Religionsministeriums. Er wird am Ende entscheiden, ob die Mitwirkenden nach Deutschland reisen dürfen.

Stefan Kaegi hat vier Muezzine aus Kairo engagiert, die Teile ihrer Lebensgeschichte vor Publikum erzählen. Sie werden den "Asan" vortragen, den muslimischen Gebetsruf, sie werden vom Islam sprechen und erklären, warum sie religiös sind. Sie werden viel erzählen, aber längst nicht alles, was sie bewegt.

Kaegi: "”Es ist sehr viel Ungesagtes auf dieser Bühne. Es ist sehr viel da, wo ich aus kulturellem Respekt sagen musste, okay, wenn du das nicht sagen willlst, dann bleibt es halt sehr vage. Ich glaube, dass das ägyptische Publikum das lesen können wird, ich glaube, für die wird sich sehr viel über kleine Sprachnuancen, die in den Untertiteln nie wiederzugeben sind, vermitteln.

Und ich hoffe, dass, wenn wir in Berlin noch mal zwei Wochen proben, die Muezzine ein wenig lockerer werden und sagen, was sie aus Angst vor irgendeiner Autorität hier verschwiegen haben.""

Für den Regisseur ist dieses Ausmaß an Selbstzensur eine neue Erfahrung. Stefan Kaegi, braune Locken, groß, schlaksig, kantiges Kinn, schaut nachdenklich durch seine Hornbrille auf den Nil, der am Kulturzentrum vorbeifließt.

Der gebürtige Schweizer hat mit seiner Gruppe "Rimini Protokoll" einen neuen Theaterstil entwickelt. Anstatt mit Schaupielern ein Stück zu inszenieren, inszeniert er das Leben selbst. Stefan Kaegi stellt echte Menschen auf die Bühne und lässt sie von sich erzählen. Der Regisseur als Dokumentarist.

Kaegi: "”Es gibt ja auch viele Regisseure, die sich eher so als Diktatoren oder als große Erzähler verstehen oder als Menschen, die Schauspieler dahin kneten, dass sie auf der Bühne das hauchen, was sie da so für mythische Welten im Kopf haben. Ich benütz das Theater lieber als Fernglas, als kleines Labor, wo ich Realität mir so lange angucken kann, bis ich damit ein bisschen weiterkomme. Ich glaube, Biografien sind einfach sehr gute Stücktexte.""

Stefan Kaegi hat mit Call-Center-Mitarbeitern gearbeitet, mit Stewardessen und mit Lastwagenfahrern. Globalisierung ist ein Grundmotiv seiner Arbeit, auch seines Lebens.

Kaegi: "”Ich bin immer gerne gereist, ich glaube, wenn man Strecken zurücklegt, dann entsteht so ein ganz guter Durchzug im Kopf. Ein Heimatbegriff lässt sich bei mir nicht mehr richtig feststellen. Da wüsste ich nicht, was sagen, wenn man mich fragt, wo die liegt.""

Berlin, New York, Sao Paulo, Delhi, Dubai, jetzt Kairo … Stefan Kaegi ist seit acht Jahren unterwegs, er spricht sieben Sprachen. Ehrgeizig, wie er ist, bleibt er nirgendwo stehen. Das gilt auch für seinen Werdegang. Der 36-Jährige aus dem schweizerischen Solothurn hat in Zürich Kunst und in Gießen Theater studiert. Er war bildender Künstler, Schriftsteller und Journalist.

Kaegi: "”Neugierde ist wahrscheinlich der Urmotor meiner Arbeit, die aber ein bisschen weiter zu treiben als das, was man auf einer Drei-Tage-Kairo-Reise sehen kann. Es gibt vielleicht auch weniger großes Interesse an Geschichte, die zurückliegt und ein sehr großes Interesse, Menschen zu treffen und deren genaue Geschichte nachzuverfolgen und da anhand eines Lebenslaufes zu merken, wie jemand so ist. Wie hat ihn das, was er gemacht hat, verformt, verändert? Wie sind Stimmen von Muezzinen so geworden, oder wie sind Stimmen von Call-Center-Mitarbeitern geworden, wie sie heute am Telefon plärren?""

Natürlich kann Stefan Kaegi seine Produktionen nicht allein stemmen. Sein aktuelles Theaterstück hat das Goethe-Institut unterstützt. Mit der deutschen Kulturorganisation arbeitet Kaegi öfter zusammen. Als wandernder Kultur-Nomade sieht er sich allerdings langsam am Ende einer Ära angekommen.

Kaegi: "Ich habe jetzt acht Jahre ganz ohne Wohnung gelebt und immer alles im Koffer dabei gehabt, und da hab ich jetzt genug davon. Ich habe ab nächsten Monat eine eigene Wohnung in Berlin, wo ich ein bisschen mehr besitzen kann als die drei Bücher, die ich gerade am Lesen bin oder die zwei Hosen, die ich trage."

In solchen Momenten wirkt Stefan Kaegi wie ein müder Wandersmann, der seine Schuhe gerne mal ausziehen würde. Allerdings nicht mehr in seiner Heimat, der Schweiz. Die scheint ihm zu eng geworden zu sein.