Der kulturfähige Steinzeitmensch
Der Archäologe Dirk Husemann räumt in "Die Neandertaler – Genies der Eiszeit" auf mit dem Vorurteil vom Keulen schwingenden Urmenschen. Mit Wortwitz entwirft Husemann ein komplett neues Bild: Die Frühmenschen besaßen eine Sprache und kümmerten sich um kranke und alte Angehörige.
In diesem Jahr feiert die Entdeckung des ersten Neandertalerskeletts ihr 150. Jubiläum: Im Jahre 1856 schaufelten Arbeiter in einer Höhle im Neandertal bei Düsseldorf die Knochen dieses Frühmenschen aus einer Lehmschicht frei. Rechtzeitig zu diesem Jubiläum hat der Campus Verlag ein Buch über unseren steinzeitlichen Verwandten herausgebracht, in dem der Autor Dirk Husemann die Geschichte dieses spektakulären Fundes spannend nacherzählt. Gleichzeitig entwirft der Archäologe ein völlig neues Bild vom Leben des Neandertalers: Er räumt auf mit dem Vorurteil vom grobschlächtigen und Keulen schwingenden Urmenschen, der ausgestorben ist, weil er dem modernen Menschen nicht gewachsen war.
Dirk Husemann spannt einen weiten Bogen um die Geschichte des Neandertalers. Geschickt bettet er die zeitlichen Umstände seiner Entdeckung zu Beginn des Buchs in den Kontext der damals vorherrschenden Meinung über die Herkunft des Menschen. Erst 1859, also drei Jahre nach dem Skelettfund, veröffentlichte Charles Darwin seine Theorie über die Entstehung der Arten. Dass der Mensch sich aus einem affenähnlichen Vorfahren heraus entwickelt haben könnte, erschien den Gelehrten der damaligen Zeit, vor allem der Kirche, völlig absurd.
Der Streit, der um den Ursprung und die Bedeutung des Neandertalers entbrannte, und den der Autor in seinem Buch skizziert, liest sich wie eine spannende Geschichte. 40 Jahre lang legte der Berliner Forscher Rudolf Virchow den beiden Entdeckern des Skeletts, Johann Carl Fuhlrott und Hermann Schaafhausen, Steine in den Weg und verhinderte, dass der Neandertaler als Frühmensch anerkannt wurde. Auch zwischen Virchow und dem Naturforscher Ernst Haeckel entzündete sich ein Disput über die Herkunft der sterblichen Überreste unseres Vetters aus der Steinzeit.
Ausgehend von den Interpretationen der damaligen Zeit entwickelt Husemann eine anschauliche Theorie darüber, wie der Neandertaler zu seinem Image vom Keulen schwingenden Steinzeittrampel gekommen ist. Beispielsweise galt ein Skelettfund, bei dem die Knochen wegen einer Krankheit unnatürlich gekrümmt waren, jahrzehntelang als Standardmodell des Neandertalers. Angebliche Belege für einen Kannibalismus unter den Frühmenschen entpuppten sich später als Fehldeutungen von Knochenfunden.
Durch die ausführlichen Schilderungen der Umstände, die zu den Irrtümern der Forscher geführt haben, bekommt der Leser eine Vorstellung davon, wie leicht archäologische Funde falsch interpretiert werden können. Anhand neuer Forschungsergebnisse entkräftet der Autor die Vorurteile über die Frühmenschen und entwirft ein komplett neues Bild des Neandertalers: Sie waren Meister in der Anpassung an ihre Umwelt, besaßen eine Sprache und kümmerten sich um kranke und alte Angehörige. Warum sie trotzdem ausstarben, bleibt unklar.
Dieses Bild vom kulturfähigen Steinzeitmenschen lässt der Autor unaufdringlich und sachlich entstehen: Husemann trennt die wissenschaftlich bewiesenen Tatsachen sauber von Spekulationen. Zudem versteht der Autor es, wissenschaftliche Fakten verständlich und spannend zu vermitteln. Auch an seinem Sprachstil und Wortwitz entdeckt man Husemanns wissenschaftsjournalistische Ader.
Zahlreiche Abbildungen illustrieren anschaulich den Text – leider oftmals erst ein paar Seiten später, wenn es schon um ein anderes Thema geht. Zudem hätte eine zeitliche Übersicht über die verschiedenen Eiszeiten und Kulturepochen dem Leser einiges hin und herblättern erspart. Trotz dieser kleinen Mängel ist das Werk ein sehr gut gelungenes Sachbuch über die Geschichte des Neandertalers.
Dirk Husemann: Die Neandertaler – Genies der Eiszeit
Campus Verlag
263 Seiten
Dirk Husemann spannt einen weiten Bogen um die Geschichte des Neandertalers. Geschickt bettet er die zeitlichen Umstände seiner Entdeckung zu Beginn des Buchs in den Kontext der damals vorherrschenden Meinung über die Herkunft des Menschen. Erst 1859, also drei Jahre nach dem Skelettfund, veröffentlichte Charles Darwin seine Theorie über die Entstehung der Arten. Dass der Mensch sich aus einem affenähnlichen Vorfahren heraus entwickelt haben könnte, erschien den Gelehrten der damaligen Zeit, vor allem der Kirche, völlig absurd.
Der Streit, der um den Ursprung und die Bedeutung des Neandertalers entbrannte, und den der Autor in seinem Buch skizziert, liest sich wie eine spannende Geschichte. 40 Jahre lang legte der Berliner Forscher Rudolf Virchow den beiden Entdeckern des Skeletts, Johann Carl Fuhlrott und Hermann Schaafhausen, Steine in den Weg und verhinderte, dass der Neandertaler als Frühmensch anerkannt wurde. Auch zwischen Virchow und dem Naturforscher Ernst Haeckel entzündete sich ein Disput über die Herkunft der sterblichen Überreste unseres Vetters aus der Steinzeit.
Ausgehend von den Interpretationen der damaligen Zeit entwickelt Husemann eine anschauliche Theorie darüber, wie der Neandertaler zu seinem Image vom Keulen schwingenden Steinzeittrampel gekommen ist. Beispielsweise galt ein Skelettfund, bei dem die Knochen wegen einer Krankheit unnatürlich gekrümmt waren, jahrzehntelang als Standardmodell des Neandertalers. Angebliche Belege für einen Kannibalismus unter den Frühmenschen entpuppten sich später als Fehldeutungen von Knochenfunden.
Durch die ausführlichen Schilderungen der Umstände, die zu den Irrtümern der Forscher geführt haben, bekommt der Leser eine Vorstellung davon, wie leicht archäologische Funde falsch interpretiert werden können. Anhand neuer Forschungsergebnisse entkräftet der Autor die Vorurteile über die Frühmenschen und entwirft ein komplett neues Bild des Neandertalers: Sie waren Meister in der Anpassung an ihre Umwelt, besaßen eine Sprache und kümmerten sich um kranke und alte Angehörige. Warum sie trotzdem ausstarben, bleibt unklar.
Dieses Bild vom kulturfähigen Steinzeitmenschen lässt der Autor unaufdringlich und sachlich entstehen: Husemann trennt die wissenschaftlich bewiesenen Tatsachen sauber von Spekulationen. Zudem versteht der Autor es, wissenschaftliche Fakten verständlich und spannend zu vermitteln. Auch an seinem Sprachstil und Wortwitz entdeckt man Husemanns wissenschaftsjournalistische Ader.
Zahlreiche Abbildungen illustrieren anschaulich den Text – leider oftmals erst ein paar Seiten später, wenn es schon um ein anderes Thema geht. Zudem hätte eine zeitliche Übersicht über die verschiedenen Eiszeiten und Kulturepochen dem Leser einiges hin und herblättern erspart. Trotz dieser kleinen Mängel ist das Werk ein sehr gut gelungenes Sachbuch über die Geschichte des Neandertalers.
Dirk Husemann: Die Neandertaler – Genies der Eiszeit
Campus Verlag
263 Seiten