Der Kunst-Schamane und seine Jünger
Kein deutscher Künstler hat im späten 20. Jahrhundert so viel Aufmerksamkeit erregt wie Joseph Beuys. Filzhut und Anglerweste waren Markenzeichen des Szenestars, der mit seinen künstlerischen Objekten und Aktionen die Gesellschaft verändern wollte.
"Ja-Ja, Nee-Nee"
Der da singt, ist Joseph Beuys, der Mann mit dem Hut, die Avantgarde-Legende mit Kunst aus Filz und Fett. Der Gesang aus Ja–Ja und Nee–Nee lässt die polarisierende Wirkung seiner Vorstöße in schöpferisches Neuland erahnen. Als der kompromisslose Kultur- und Lebensreformer am 23. Januar 1986 starb, hatte der weltweite Ruhm die Debatte um seine pittoreske Person noch nicht in ruhige Bahnen gelenkt. Ein Scharlatan war der missionarische Selbstdarsteller in den Augen der Kritiker, während ihn die Verehrer wegen der universalen Dimension seiner Lehre für den Leonardo da Vinci des 20. Jahrhunderts hielten. Die provozierendste Beuys-These, dass jeder Mensch ein Künstler ist, sorgt bis heute für Hohn und Spott, obwohl Beuys selbst das so wortwörtlich gar nicht gemeint hatte:
"Wenn ich sage, jeder Mensch ist ein Künstler, sage ich ja nicht, jeder Mensch ist ein Maler, ein Bildhauer, ein Architekt, ein Tänzer, ein Komponist, sondern ich sage, jede menschliche Tätigkeit kann den Anspruch der Kunst haben, kann also auf dem Niveau der Kunst liegen und muss eigentlich als Kunst gesehen werden, denn sonst wäre es nicht richtig, den Menschen als ein schöpferisches Wesen schlechthin zu bezeichnen."
Ausweitung des kreativen Tuns, also die viel zitierte Erweiterung des Kunstbegriffs auf alle Lebensbereiche, war das Prinzip, dem der 1921 in Krefeld geborene, in Kleve aufgewachsene Künstler sein plastisches Lebenswerk widmete. Unter dem Einfluss der Anthroposophie Rudolf Steiners suchte er nach neuen Rezepten, die Trennung von Kunst, Wissenschaft und Natur zu überwinden. Als Folge des ganzheitlichen Denkens kamen ungewohnte Werkstoffe für die Belebung der Materie zum Einsatz: Kupfer als leitendes Element wurde zum Sender seiner Botschaft, wärmender Filz und nährendes Fett dienten als Speicher der geistigen Energie. Den Anstoß für solche Praktiken gab ein eigenes Urerlebnis: Im Zweiten Weltkrieg hatten Krimtataren den abgestürzten Stukka-Flieger Beuys' mit Rindertalg und Filzdecken vor dem Erfrieren gerettet. Doch verursachte der folgenreiche Mythos auch peinliche Missverständnisse. So wurde in der Düsseldorfer Akademie eine Fettplastik versehentlich von einer Putzfrau zerstört. Die damalige Direktorin Irmin Kamp erinnert sich an den Eklat des Jahres 1986:
"Das war eine Fettecke, und sie war angebracht in etwa fünf Meter Höhe – sie war gelblich und war vom Ton der Wand nicht ohne weiteres von Laien zu unterscheiden."
Die bescheidene, ungewollt vernichtete Skulptur war eher die Ausnahme im imposanten Oeuvre aus plastischen Inszenierungen, gezeichneten Projekten, spektakulären Aktionen und politischen Aktivitäten. Einen Riesenskandal verursachte 1972 die fristlose Entlassung des Düsseldorfer Akademieprofessors Beuys durch den Wissenschaftsminister Johannes Rau nach der Besetzung des Sekretariats mit abgewiesenen Studenten.
Der zum Guru der aufbegehrenden Hochschuljugend avancierte Lehrer war der Multimedia-Star seiner Zeit, erklärte wie ein Schamane mit weiß gekälktem Gesicht einem toten Hasen seine Bilder und ließ sich von seinem Lieblingsjünger Anatol Herzfeld als Kunst-Messias im Einbaum über den Rhein rudern. Die populärste Aktion des grünen Parteigängers und vielfachen Documenta-Teilnehmers war die Bewaldung der Stadt Kassel mit 7000 Eichen:
"Wenn jetzt hier während der Documenta im Zusammenhang mit der Kunst jeder einzelne Baum ein Monument wird, so wird das dadurch ausgedrückt durch einen daneben stehenden Stein aus eben Säulenbasalt. Also das Verhältnis von einem ständig in gleicher Form und unveränderbar sich befindenden Naturwesen Stein und dem sich alle Sekunden weiter entfaltenden Lebewesen Baum – das soll eine Einheit jeweils wie ein Denkmal hier ausgedrückt werden."
Als letzter Visionär der Moderne schrieb der Magier, Weltverbesserer und Menschheitsbeglücker Joseph Beuys mit seinem Appell an die Kreativität eines jeden Menschen Kunstgeschichte.
Auf die Frage eines Reporters, ob er unsterblich werden wollte, gab er zur Antwort:
"Ich bin es bereits.”
Der da singt, ist Joseph Beuys, der Mann mit dem Hut, die Avantgarde-Legende mit Kunst aus Filz und Fett. Der Gesang aus Ja–Ja und Nee–Nee lässt die polarisierende Wirkung seiner Vorstöße in schöpferisches Neuland erahnen. Als der kompromisslose Kultur- und Lebensreformer am 23. Januar 1986 starb, hatte der weltweite Ruhm die Debatte um seine pittoreske Person noch nicht in ruhige Bahnen gelenkt. Ein Scharlatan war der missionarische Selbstdarsteller in den Augen der Kritiker, während ihn die Verehrer wegen der universalen Dimension seiner Lehre für den Leonardo da Vinci des 20. Jahrhunderts hielten. Die provozierendste Beuys-These, dass jeder Mensch ein Künstler ist, sorgt bis heute für Hohn und Spott, obwohl Beuys selbst das so wortwörtlich gar nicht gemeint hatte:
"Wenn ich sage, jeder Mensch ist ein Künstler, sage ich ja nicht, jeder Mensch ist ein Maler, ein Bildhauer, ein Architekt, ein Tänzer, ein Komponist, sondern ich sage, jede menschliche Tätigkeit kann den Anspruch der Kunst haben, kann also auf dem Niveau der Kunst liegen und muss eigentlich als Kunst gesehen werden, denn sonst wäre es nicht richtig, den Menschen als ein schöpferisches Wesen schlechthin zu bezeichnen."
Ausweitung des kreativen Tuns, also die viel zitierte Erweiterung des Kunstbegriffs auf alle Lebensbereiche, war das Prinzip, dem der 1921 in Krefeld geborene, in Kleve aufgewachsene Künstler sein plastisches Lebenswerk widmete. Unter dem Einfluss der Anthroposophie Rudolf Steiners suchte er nach neuen Rezepten, die Trennung von Kunst, Wissenschaft und Natur zu überwinden. Als Folge des ganzheitlichen Denkens kamen ungewohnte Werkstoffe für die Belebung der Materie zum Einsatz: Kupfer als leitendes Element wurde zum Sender seiner Botschaft, wärmender Filz und nährendes Fett dienten als Speicher der geistigen Energie. Den Anstoß für solche Praktiken gab ein eigenes Urerlebnis: Im Zweiten Weltkrieg hatten Krimtataren den abgestürzten Stukka-Flieger Beuys' mit Rindertalg und Filzdecken vor dem Erfrieren gerettet. Doch verursachte der folgenreiche Mythos auch peinliche Missverständnisse. So wurde in der Düsseldorfer Akademie eine Fettplastik versehentlich von einer Putzfrau zerstört. Die damalige Direktorin Irmin Kamp erinnert sich an den Eklat des Jahres 1986:
"Das war eine Fettecke, und sie war angebracht in etwa fünf Meter Höhe – sie war gelblich und war vom Ton der Wand nicht ohne weiteres von Laien zu unterscheiden."
Die bescheidene, ungewollt vernichtete Skulptur war eher die Ausnahme im imposanten Oeuvre aus plastischen Inszenierungen, gezeichneten Projekten, spektakulären Aktionen und politischen Aktivitäten. Einen Riesenskandal verursachte 1972 die fristlose Entlassung des Düsseldorfer Akademieprofessors Beuys durch den Wissenschaftsminister Johannes Rau nach der Besetzung des Sekretariats mit abgewiesenen Studenten.
Der zum Guru der aufbegehrenden Hochschuljugend avancierte Lehrer war der Multimedia-Star seiner Zeit, erklärte wie ein Schamane mit weiß gekälktem Gesicht einem toten Hasen seine Bilder und ließ sich von seinem Lieblingsjünger Anatol Herzfeld als Kunst-Messias im Einbaum über den Rhein rudern. Die populärste Aktion des grünen Parteigängers und vielfachen Documenta-Teilnehmers war die Bewaldung der Stadt Kassel mit 7000 Eichen:
"Wenn jetzt hier während der Documenta im Zusammenhang mit der Kunst jeder einzelne Baum ein Monument wird, so wird das dadurch ausgedrückt durch einen daneben stehenden Stein aus eben Säulenbasalt. Also das Verhältnis von einem ständig in gleicher Form und unveränderbar sich befindenden Naturwesen Stein und dem sich alle Sekunden weiter entfaltenden Lebewesen Baum – das soll eine Einheit jeweils wie ein Denkmal hier ausgedrückt werden."
Als letzter Visionär der Moderne schrieb der Magier, Weltverbesserer und Menschheitsbeglücker Joseph Beuys mit seinem Appell an die Kreativität eines jeden Menschen Kunstgeschichte.
Auf die Frage eines Reporters, ob er unsterblich werden wollte, gab er zur Antwort:
"Ich bin es bereits.”