Der lange Marsch zur Autonomie
Der Roman "Salz auf unserer Haut" machte Benoîte Groult international berühmt. Jetzt ist ihre Autobiografie "Meine Befreiung" auf Deutsch erschienen. In Berlin stellte sie das Buch vor.
Benoîte Groult liest aus ihrer Autobiografie. Erst mit 25 Jahren hätte sie das Wahlrecht erlangt. Und erst 1988 wurde in Frankreich das Versprechen, dem Ehemann zu gehorchen, aus dem Ehegelübde gestrichen. Groult erwähnt viele Männer, denen sie oder ihr Umfeld begegnet ist, die die Frauen am liebsten weiterhin in ihrer Unmündigkeit und am Herd gesehen hätten. So hat man schon ein mulmiges Gefühl, wenn man als Mann diese feministische Autorin zum Interview treffen soll. Und dann empfängt einen eine ebenso rüstige wie herzliche Frau und strahlt einen mit ihren hellblauen Augen und einem geradezu perfekten Mund an. Perfekt war der Mund, in den Augen ihrer Mutter, nicht immer:
"Ich hatte den Mund immer etwas geöffnet. Und da ich einen recht dicken Mund für ein kleines Mädchen hatte, forderte mich meine Mutter unaufhörlich auf, in den Salons, überall, die Wörter 'pomme, prune, pouce' zu sagen, weil so die Lippen einen Mund mit Herzform bilden, wie es damals ein Mädchen haben sollte, um den Männern zu gefallen und sich zu verheiraten. Das hat mich sehr verletzt. Denn wenn meine Mutter 'pomme, prune, pouce' sagte, sahen mich die umherstehenden Leute an, als wäre ich zurückgeblieben oder seltsam."
Noch tat Benoîte Groult alles, was ihre Eltern, besonders die Mutter, eine erfolgreiche Pariser Modedesignerin, von ihr verlangten, war ein geradezu willenloses Mädchen, das sich für alte Sprachen interessierte und bei den Männern nicht ankam. Das sollte sich aber bald ändern. Sie arbeitete als Radiojournalistin, entdeckte Anfang der 70er-Jahre den Feminismus als ihre Sache, schrieb gemeinsam mit ihrer Schwester Bücher und schließlich allein jenes Buch, das zu einem Millionenbestseller wurde: den Roman "Salz auf unserer Haut", eine freizügig erzählte Liebesgeschichte zwischen einem gebildeten Pariser Mädchen und einem Fischer aus der Bretagne:
"Ich wollte diese Liebesgeschichte erzählen, ohne auf Metaphern zurückzugreifen, deren sich die Frauen bedienen, wenn sie über ihre Sexualorgane und ihre Lust sprechen. Ich wollte die Dinge beim Namen nennen. Nun wirken die Namen für die weiblichen Sexualorgane aber irgendwie obszön, unappetitlich, gerade nicht poetisch, wie ich es wollte. Nehmen Sie das unerträgliche Wort 'Vagina'. In der Metro habe ich eine Werbung für das Theaterstück 'Vagina-Monologe' gesehen und war schockiert. Zu Hause habe ich meinen Töchtern davon erzählt. 'Aber Mama, du bist doch Feministin! Hätte da 'Phallus-Monologe' gestanden, hättest du gedacht: 'Mensch, das klingt aber interessant!''"
Der Roman "Salz auf unserer Haut" ist sicher manchem etwas zu seicht und sprachlich, trotz des Strebens nach Poesie, keine Höchstleistung. Aber die Geschichte einer Liebe, die auf sexuellem Verlangen fußt und an Moralvorstellungen rührt, ist gut erzählt und eroberte allein in Deutschland Millionen Leser, meist Leserinnen. Anspruchsvoller ist dagegen Groults Autobiografie, die die Autorin selbst als einen langen Marsch zur eigenen Autonomie beschreibt. Darin lüftet sie das Geheimnis, wer das Vorbild für jenen bretonischen Fischer abgab, in den sich ihre Romanfigur verliebte. Groults Geliebter war kein Fischer, sondern ein Pilot. Unterhaltsam ist die Autobiografie auch, weil Groult, selbst wenn sie über ernste Themen spricht, dies nie ganz ohne Humor tut.
"Ich bin immerhin 89 Jahre alt, geradezu ein unerhörtes Alter. Jeden Tag erlebe ich etwas Neues, aber nie etwas Gutes. Ich bin in einem Alter, das Angst macht. Anderseits habe ich Glück: Ich kann immer noch mit dem Fahrrad durch Paris fahren, um meine Töchter zu besuchen. Ich laufe, ich sehe klar, ich gehe nicht am Stock. Deshalb sage ich gerne: Solange ich lebendig bin, kriegt mich der Tod nicht. Aber so langsam glaube ich doch, dass ich sterblich bin. Mit 75 hatte ich mir noch eingeredet: 'Ich werde dem Tod schon entkommen.'"
Da ist es wieder, ihr ansteckendes Lächeln. Am liebsten würde Benoîte Groult, die bis zu dessen Tod mit dem Schriftsteller Paul Guimard in dritter Ehe verheiratet war, auch junge Frauen mit ihrer Begeisterung für den Feminismus anstecken. Aber das ist nicht so leicht.
Benoîte Groult: Meine Befreiung
Bloomsbury Berlin
271 Seiten, 19,90 Euro
"Ich hatte den Mund immer etwas geöffnet. Und da ich einen recht dicken Mund für ein kleines Mädchen hatte, forderte mich meine Mutter unaufhörlich auf, in den Salons, überall, die Wörter 'pomme, prune, pouce' zu sagen, weil so die Lippen einen Mund mit Herzform bilden, wie es damals ein Mädchen haben sollte, um den Männern zu gefallen und sich zu verheiraten. Das hat mich sehr verletzt. Denn wenn meine Mutter 'pomme, prune, pouce' sagte, sahen mich die umherstehenden Leute an, als wäre ich zurückgeblieben oder seltsam."
Noch tat Benoîte Groult alles, was ihre Eltern, besonders die Mutter, eine erfolgreiche Pariser Modedesignerin, von ihr verlangten, war ein geradezu willenloses Mädchen, das sich für alte Sprachen interessierte und bei den Männern nicht ankam. Das sollte sich aber bald ändern. Sie arbeitete als Radiojournalistin, entdeckte Anfang der 70er-Jahre den Feminismus als ihre Sache, schrieb gemeinsam mit ihrer Schwester Bücher und schließlich allein jenes Buch, das zu einem Millionenbestseller wurde: den Roman "Salz auf unserer Haut", eine freizügig erzählte Liebesgeschichte zwischen einem gebildeten Pariser Mädchen und einem Fischer aus der Bretagne:
"Ich wollte diese Liebesgeschichte erzählen, ohne auf Metaphern zurückzugreifen, deren sich die Frauen bedienen, wenn sie über ihre Sexualorgane und ihre Lust sprechen. Ich wollte die Dinge beim Namen nennen. Nun wirken die Namen für die weiblichen Sexualorgane aber irgendwie obszön, unappetitlich, gerade nicht poetisch, wie ich es wollte. Nehmen Sie das unerträgliche Wort 'Vagina'. In der Metro habe ich eine Werbung für das Theaterstück 'Vagina-Monologe' gesehen und war schockiert. Zu Hause habe ich meinen Töchtern davon erzählt. 'Aber Mama, du bist doch Feministin! Hätte da 'Phallus-Monologe' gestanden, hättest du gedacht: 'Mensch, das klingt aber interessant!''"
Der Roman "Salz auf unserer Haut" ist sicher manchem etwas zu seicht und sprachlich, trotz des Strebens nach Poesie, keine Höchstleistung. Aber die Geschichte einer Liebe, die auf sexuellem Verlangen fußt und an Moralvorstellungen rührt, ist gut erzählt und eroberte allein in Deutschland Millionen Leser, meist Leserinnen. Anspruchsvoller ist dagegen Groults Autobiografie, die die Autorin selbst als einen langen Marsch zur eigenen Autonomie beschreibt. Darin lüftet sie das Geheimnis, wer das Vorbild für jenen bretonischen Fischer abgab, in den sich ihre Romanfigur verliebte. Groults Geliebter war kein Fischer, sondern ein Pilot. Unterhaltsam ist die Autobiografie auch, weil Groult, selbst wenn sie über ernste Themen spricht, dies nie ganz ohne Humor tut.
"Ich bin immerhin 89 Jahre alt, geradezu ein unerhörtes Alter. Jeden Tag erlebe ich etwas Neues, aber nie etwas Gutes. Ich bin in einem Alter, das Angst macht. Anderseits habe ich Glück: Ich kann immer noch mit dem Fahrrad durch Paris fahren, um meine Töchter zu besuchen. Ich laufe, ich sehe klar, ich gehe nicht am Stock. Deshalb sage ich gerne: Solange ich lebendig bin, kriegt mich der Tod nicht. Aber so langsam glaube ich doch, dass ich sterblich bin. Mit 75 hatte ich mir noch eingeredet: 'Ich werde dem Tod schon entkommen.'"
Da ist es wieder, ihr ansteckendes Lächeln. Am liebsten würde Benoîte Groult, die bis zu dessen Tod mit dem Schriftsteller Paul Guimard in dritter Ehe verheiratet war, auch junge Frauen mit ihrer Begeisterung für den Feminismus anstecken. Aber das ist nicht so leicht.
Benoîte Groult: Meine Befreiung
Bloomsbury Berlin
271 Seiten, 19,90 Euro