Der letzte Rest Heimat
Als das alte Haus am Meer im süditalinienischen Apulien verkauft werden soll, kommen bei Großvater, Vater und Sohn die Gefühle hoch. Denn schon lange lebt die Einwandererfamilie fern der Heimat - in Mailand. Ein schöner, leiser, melancholischer Männerroman über gescheiterte Hoffnungen auf ein besseres Leben.
Die Familie Russo lebt in Mailand, aber das Haus der Familie steht in der kleinen Küstenstadt Barletta in Apulien. Von dort kam in den 1960er-Jahren der Großvater Leonardo, ein Bauer ohne Land, Kommunist und Analphabet, um Fabrikarbeiter in der aufstrebenden Industrieregion des Nordens zu werden.
Seine Frau und die vier halbwüchsigen Kinder kamen mit. Sein Sohn Riccardo holte das Abitur nach, gründete früh selbst eine Familie und wurde Chemotechniker. Dessen Sohn Nicola wurde in Mailand geboren, hat studiert und ist ein arbeitsloser Junglehrer von 27 Jahren, der noch bei den Eltern wohnt.
Im Lauf dieser zwei Generationen hat sich vieles verändert: Die Familie, die von einem festen, um den Patriarchen gescharten Verband zu einem verstreuten und teilweise zerstrittenen Haufen Verwandter geworden ist, das Bildungsniveau und die Sprache. Das reine Apulisch, in dem die Großelterngeneration noch denkt, ist vom Hochitalienischen abgelöst worden, das die Alten wie eine Fremdsprache sprechen. Nicola versteht den Dialekt noch, sprechen kann er ihn nicht mehr.
Marco Balzano setzt den Fluchtpunkt seiner Geschichte einer Migrantenfamilie in die heruntergekommene Wohnung am Meer: Sie soll verkauft werden, da sich niemand mehr darum kümmert. So fahren die drei Russo-Männer in die alte Heimat und begegnen dort – jeder auf seine Weise - Fragmenten ihrer Biografie.
Dabei sprechen sie nur wenig miteinander, und nicht immer Freundliches. Aber Balzano versteht es, mit einem ausgeprägten Sinn für Zwischentöne, mit Konzentration auf bestimmte Gesten und Handlungen die verborgenen Gefühle hervortreten zu lassen.
Da ist Wehmut im Spiel - vor allem bei Nicola, der seine Kindheitssommer dort verbracht hat - und Abschiedsschmerz, auch Bitterkeit und Resignation beim Vater und noch mehr beim Großvater, dem die Liebe des Erzählers vor allem gilt. Die Suche nach den bleibenden Wurzeln, nach dem letzten Rest von Heimat machen sich vor allem an dieser Gestalt fest: dem Bauern, der nie eigenes Land hatte.
Dass hier ein Familienroman aus ausschließlich männlicher Sicht erzählt wird, ist eine willkommene Abwechslung in dem traditionell von Frauengestalten bevölkerten Genre. Und auch das Verfahren, drei Generationen parallel zu betrachten, ist interessant: Es wirft nämlich wie von selbst die Frage auf, um die in Wirklichkeit das ganze Buch kreist, ohne dass sie je gestellt werden muss: Wozu diese ganze Emigration eigentlich gut war.
Denn Nicolas berufliche Zukunft sieht nicht viel besser aus als die seines Großvaters vor fast 50 Jahren. Der Einzige, dessen Lebensweg wie ein kleiner Aufstieg aussieht, ist Riccardo. Und der ist der Bitterste und Müdeste, der Gebeugteste der Drei.
Balzano ist ein schöner, leiser, melancholischer Männerroman gelungen. Etwas ziemlich Seltenes also.
Besprochen von Katharina Döbler
Marco Balzano: Damals, am Meer
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Verlag Antje Kunstmann, München 2011
224 Seiten, 17,90 Euro
Seine Frau und die vier halbwüchsigen Kinder kamen mit. Sein Sohn Riccardo holte das Abitur nach, gründete früh selbst eine Familie und wurde Chemotechniker. Dessen Sohn Nicola wurde in Mailand geboren, hat studiert und ist ein arbeitsloser Junglehrer von 27 Jahren, der noch bei den Eltern wohnt.
Im Lauf dieser zwei Generationen hat sich vieles verändert: Die Familie, die von einem festen, um den Patriarchen gescharten Verband zu einem verstreuten und teilweise zerstrittenen Haufen Verwandter geworden ist, das Bildungsniveau und die Sprache. Das reine Apulisch, in dem die Großelterngeneration noch denkt, ist vom Hochitalienischen abgelöst worden, das die Alten wie eine Fremdsprache sprechen. Nicola versteht den Dialekt noch, sprechen kann er ihn nicht mehr.
Marco Balzano setzt den Fluchtpunkt seiner Geschichte einer Migrantenfamilie in die heruntergekommene Wohnung am Meer: Sie soll verkauft werden, da sich niemand mehr darum kümmert. So fahren die drei Russo-Männer in die alte Heimat und begegnen dort – jeder auf seine Weise - Fragmenten ihrer Biografie.
Dabei sprechen sie nur wenig miteinander, und nicht immer Freundliches. Aber Balzano versteht es, mit einem ausgeprägten Sinn für Zwischentöne, mit Konzentration auf bestimmte Gesten und Handlungen die verborgenen Gefühle hervortreten zu lassen.
Da ist Wehmut im Spiel - vor allem bei Nicola, der seine Kindheitssommer dort verbracht hat - und Abschiedsschmerz, auch Bitterkeit und Resignation beim Vater und noch mehr beim Großvater, dem die Liebe des Erzählers vor allem gilt. Die Suche nach den bleibenden Wurzeln, nach dem letzten Rest von Heimat machen sich vor allem an dieser Gestalt fest: dem Bauern, der nie eigenes Land hatte.
Dass hier ein Familienroman aus ausschließlich männlicher Sicht erzählt wird, ist eine willkommene Abwechslung in dem traditionell von Frauengestalten bevölkerten Genre. Und auch das Verfahren, drei Generationen parallel zu betrachten, ist interessant: Es wirft nämlich wie von selbst die Frage auf, um die in Wirklichkeit das ganze Buch kreist, ohne dass sie je gestellt werden muss: Wozu diese ganze Emigration eigentlich gut war.
Denn Nicolas berufliche Zukunft sieht nicht viel besser aus als die seines Großvaters vor fast 50 Jahren. Der Einzige, dessen Lebensweg wie ein kleiner Aufstieg aussieht, ist Riccardo. Und der ist der Bitterste und Müdeste, der Gebeugteste der Drei.
Balzano ist ein schöner, leiser, melancholischer Männerroman gelungen. Etwas ziemlich Seltenes also.
Besprochen von Katharina Döbler
Marco Balzano: Damals, am Meer
Aus dem Italienischen von Maja Pflug
Verlag Antje Kunstmann, München 2011
224 Seiten, 17,90 Euro