Der "Löwe von Münster"

Von Peter Hertel |
Der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, ist nicht zum Widerständler geboren. Doch 1936 wandelte er sich im Gegensatz zu vielen anderen Kirchenführern zum bedeutendsten katholischen Feind des NS-Regimes. Vor 70 Jahren hielt von Galen in Münster die erste seiner drei berühmten Predigten gegen den Nationalsozialismus.
März 1946 in Münster, zehn Monate nach der Befreiung Deutschlands. Clemens August Graf von Galen, der katholische Bischof, ist aus Rom zurückgekehrt, geehrt vom Papst, zum Kardinal erhoben - wegen seiner unerschrockenen, festen Haltung in der Nazizeit. Im Kardinalspurpur gekleidet wird er auf dem münsterschen Domplatz in einer gespenstischen Trümmerlandschaft empfangen.

"Wie eine westfälische Eiche schreitet er nun oben auf das Podium zu ... "

"Der liebe Gott hatte mir eine Stellung gegeben, die mich zum verantwortlichen Leiter von Hunderten und Tausenden machten, die gleich mir es schwer empfanden, es bitter trugen und größten Schmerz nur hinnahmen, wie Menschenwürde und Menschenrecht beiseitegesetzt, zertreten, zu Boden geworfen wurden."

Schon 1936, im sogenannten "Oldenburger Kreuzkampf", hatte sich von Galen gegen das Naziregime durchgesetzt. Seit diesem Zeitpunkt rechnete der Bischof fest mit seiner Verhaftung. Schriftlich legte er fest, was dann in seiner Diözese zu geschehen habe:

"Allgemeines Trauergeläut und anschließend Verbot jeden Glockengeläuts."

Fünf Jahre danach wurde Graf Galen weltbekannt – durch drei Predigten gegen die Nazis, die er an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen hielt. In der ersten, am 13. Juli 1941, attackierte er scharf die Gestapo, die Geheime Staatspolizei:

"Wie viele deutsche Menschen schmachten in Polizeihaft, in Konzentrationslagern, sind niemals von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden."

Galen hob hervor, dass er nicht einfach ein "konfessionell-katholisches Anliegen" vortrage. Ausdrücklich solidarisierte er sich mit dem evangelischen Pastor Martin Niemöller, dem Initiator des Pfarrernotbundes und der Bekennenden Kirche. Niemöller war als persönlicher Gefangener Hitlers in Festungshaft genommen worden und kam 1941 ins KZ Dachau:

"Wir alle haben die größte Hochachtung vor der Tapferkeit und dem Bekennermut dieses edlen deutschen Mannes."

Auch jetzt trauten sich die Nazis nicht, den beliebten Bischof von Münster zu verhaften. Sie wollten ihn aufhängen, sobald ihr "Endsieg" gekommen sei. Denn spätestens seit seiner dritten Predigt galt Galen den Parteigrößen der NSDAP und der Gestapo als Staatsfeind und Landesverräter. In dieser schärfsten und schockierendsten der drei Kanzelreden verurteilte er das "Euthanasie-Programm" der Nazis, in dem angeblich "lebensunwerte" Menschen ermordet wurden. Unter Berufung auf seine Pflicht als Staatsbürger erstattete er bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Verbrechen und gab dies von der Kanzel herab bekannt.

"Es gibt heilige Gewissensverpflichtungen, von denen niemand befreien kann, die wir erfüllen müssen, koste es uns selbst das Leben: Nie, unter keinen Umständen darf der Mensch, außerhalb des Krieges und der gerechten Notwehr einen Unschuldigen töten."

Die drei Predigten gingen in Abschriften wie ein Lauffeuer durch ganz Deutschland, ja, um die Welt. Zustimmende Dankesbriefe erreichten den Kirchenführer. Darin stand beispielsweise:

"Sie haben die Ehre der Kirche gerettet. Ich wünschte, dass unsere Kirche noch mehr solcher Männer als ihre Führer besäße."

In vielen Schreiben klang Erleichterung darüber an, dass wenigstens ein Bischof allgemein hörbar den Mund aufgetan habe. Denn die katholische Bischofskonferenz beschränkte sich auf schriftliche Proteste, die von den Nazis still abgelegt wurden. Doch Galen hat gezeigt, dass ein Bischof durch öffentlichen, lauten Protest durchaus etwas erreichen konnte. Große Teile des Kirchenvolkes stellten sich hinter ihn, die Nazis schäumten vor Wut und waren, auch wenn 29 Priester in der Diözese Münster verhaftet wurden, aufs Ganze gesehen doch machtlos. Nicht zuletzt wegen Galens Predigten ließ Hitler noch 1941 das Euthanasieprogramm abbrechen, in dem bis dahin schon mehr als 80.000 Menschen ermordet worden waren.