Marcel Beyer ist vielfach ausgezeichneter Lyriker, Erzähler und Romancier, Hörspiel-Autor und Opern-Librettist, Essayist und Herausgeber. Seit über 20 Jahren lebt er in Dresden.
Warum Trump so gern Grönland kaufen würde
02:26 Minuten
Es klang wie ein Witz: Donald Trump sagte seine Reise nach Dänemark ab, weil Regierungschefin Mette Frederiksen Grönland nicht verkaufen will. Was in dem Kopf des US-Präsidenten vor sich ging? Ein lyrischer Kommentar von Marcel Beyer.
Grönland
Und als der längste Rammsteinsommer,
den es jemals gab, zu Ende ging,
verspürte ich ein seltsames Verlangen.
Ich hatte die Nase einfach voll
von euren Klagen, von eurem elenden
Festlandgewinsel jeden Tag. An
einem freien Wochenende fühlte ich
mich mit einem Mal so insellos, wie
nackt unter Golfern. Mir wurde klar, ich
brauche eine eigene Insel, nur für
mich. Ich brauch ein richtig großes
Inselding. Und ich entschied und sagte
es mir vor dem Badezimmerspiegel offen
ins Gesicht: Ich möchte Grönland
haben. Ich sagte: Nimm das Glück in
deine Hand. Ich sagte: Hilf dir selbst,
dann wird dir geholfen. Früher, ja, früher
bekamen die Großen ihre Inseln noch
geschenkt, Inseln, so groß, man konnte
sich dort wochenlang verlaufen. Denkt
mal an Napoleon auf Sankt Helena. Ich
muß mir alles selber kaufen. Ich
brauche Kälte. Schnee. Ich brauche Eis.
Ich brauche endlich den Beweis, daß
man in meterhohem Schnee mit weißen
Bällen golfen kann. Ich fühl mich
insellos, das ist nicht fair, ich will ganz
viele penguins und einen echten,
großen, starken polar bear. Ich möchte
zusehen, wie der Eisbär einen
Pinguin verspeist. Ich hab ein Recht
darauf. Ich zahle gut. Ich zahle jeden
Preis. Wie stehe ich denn ohne eigene
Insel da? Der leichte, suppenwarme
Wind spielt mit meinem langen,
gelben, welken Haar, und ich steh
immer noch, allein, ein Polyesterriese,
am achten Loch auf meinem
Golfplatz hier im grönlandfernen,
rammsteinsommerlichen Florida.