Andrej Platonow: „Der makedonische Offizier“

Parabel über sowjetische Machtkämpfe

06:12 Minuten
Cover des Buches "Der makedonische Offizier von Andrej Platonow. Zu sehen ist ein bärtiger gemalter Mann auf weißem Hintergrund, darunter Buchtitel und Autorenname.
© Suhrkamp Verlag

Andrej Platonow

Übersetzt von Michael Leetz

Der makedonische OffizierSuhrkamp, Berlin 2021

157 Seiten

24,00 Euro

Von Jörg Plath · 27.12.2021
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Ein antiker Machthaber riegelt sich psychotisch gegen die Außenwelt ab, ein anderer will gleich die ganze Welt beherrschen. Längst im Visier Stalins, schrieb Andrej Platonow eine Art Parabel über den Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki.
Alles hat in diesem Prosafragment von Andrej Platonow zwei Gesichter. Der makedonische Offizier, der dem Werk aus den Jahren 1932-1936 den Titel gab, dient zwei Herren: Für den einen soll er Wasser in seinem Wüstenreich finden, für den anderen, den berühmten Makedonier Alexander der Große, die Eroberung eben dieses Wüstenreichs vorbereiten.
Die Sklavin Ophria, in die sich der makedonische Offizier verliebt, muss fliehen, weil sie sterben müsste nach der Entfernung des Keuschheitsgürtels mit dem darin befestigten Nest voller Seidenraupen, die in der Wärme ihres Körpers heranreifen.
Sie flieht, vom Offizier versehen mit einem Schriftstück, das neben offiziellen Informationen geheime militärische enthält. Ophria sucht das Leben in Freiheit und bereitet zugleich die Sklaverei des Wüstenreichs vor.
Der „Leiter der staatlichen Weisheit“ Klusi legitimiert den Wüstenherrscher Osni und verbirgt ergeben zugleich „sein weinendes Herz – oder es kam“, heißt es unvermittelt, „dem makedonischen Offizier vielleicht nur so vor.“ Denn der Soldat ist an die Ambivalenz als Charakteristikum der totalitären Welt gewöhnt.

Schlüsselerzählung

Nicht anders als Andrej Platonow. Der sowjetische Schriftsteller lässt sein Fragment nicht zufällig in einem fiktiven antiken Reich spielen. Osni, der erste Dienstherr des Offiziers, riegelt sein Reich psychotisch gegenüber der Außenwelt ab, Alexander, der zweite, will die ganze Welt beherrschen.
In den zwei Herrschern, so Michael Leetz im Nachwort, seien Stalin und Trotzki zu erkennen: Stalin befürwortete den „Aufbau des Sozialismus in einem Land“, Trotzki die Weltrevolution.
Auch die übrigen Figuren meint Leetz dechiffrieren zu können. Er liest das schmale Prosastück als Schlüsselerzählung über die lebensgefährliche Lage eines hochbegabten Schriftstellers unter Stalin.

Himmelschreiende Diskrepanz

Wie die meisten seiner Werke, darunter die ungewöhnlichen Ideenromane „Die Baugrube“ und „Tschewengur“ (in dem das Ross des Helden „Proletarische Kraft“ heißt), konnte Platonow auch „Der makedonische Offizier“ nicht veröffentlichen.
1931 war auf Geheiß Stalins eine vernichtende Kritik seiner Groteske über die Kollektivierung der Landwirtschaft „Zum Nutzen“ erschienen. Platonow erhielt Publikationsverbot, schrieb aber trotz aller Ablehnungen und Verbote weiter. Als Ingenieur in ständig wechselnden Positionen besaß er Einblicke in die himmelschreiende Diskrepanz zwischen sozialistischer Propaganda und sowjetischer Wirklichkeit.
Das Fragment „Der makedonische Offizier“ ist mit gut 30 Seiten sehr kurz. Herausgeber und Übersetzer Michael Leetz reichert es mit Anmerkungen und Texten an: Auszügen aus Notizbüchern, der „Ersten Begegnung mit Gorki“ und einem „Stenogramm des Werkstattabends mit Andrej Platonow im Gesamtrussischen Verband“ der Schriftsteller. Die Mitschrift ist ein beklemmendes Dokument der Selbstkritik: Der gefährdete Platonow spricht über seine „Umgestaltung“, er wirbt für sich.

Begründete Irreführung

Mit dem Band engagiert sich der Suhrkamp Verlag für einen modernen Erzähler, der zeitlebens in Konflikt mit der Sowjetmacht stand. Unnötigerweise erweckt das Buch den Eindruck einer Rosstäuscherei: Statt „Prosa“ hätte eine Momentaufnahme im Konflikt zwischen dem Künstler und paranoidem Stalinstaat annonciert werden sollen.
Für die Leser von „Die Baugrube“ oder „Tschewengur“ ist „Der makedonische Offizier“ interessant. Zum Leser Andrej Platonows wird man mit dem Fragment jedoch eher nicht.
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