Der Mann hinter dem Mythos
Che Guevara ist "in". Der Revolutionär aus Kuba wird von den Linken verehrt und von Jugendlichen als Popikone betrachtet. Doch wer war dieser Mann wirklich? Gerd Koenen hat sich auf Spurensuche begeben und zeichnet in seinem Buch "Traumpfade der Weltrevolution" von Che Guevara das Bild eines skrupellosen, launischen und autoritären Stalinisten.
Ein Buch über Guevara, ein weiteres Buch über den Che – braucht es das? Offenbar ja. Denn der Mann vagabundiert noch immer durch die Welt, 41 Jahre nach seinem Ende in Bolivien. Che, die Marke, der James Dean des Klassenkampfes, Idol ergrauter 68er und pubertierender "Null-Bock"-Rebellen. Zwanzig Millionen Einträge bei Yahoo. Dieser Che ist nebenbei Säulenheiliger einer großen deutschen Partei. Lafontaine predigte (in einem Wahlkampf 2008) unter einem Bildnis des Bärtigen; im Online-Shop der "Linken" gibt’s den Che-Button zu einem Euro, im "Button-Mix" sind sie gar vereint: Lafontaine, Gysi, und der "heroische Guerrillero". Kein Zweifel: Che lebt. Der Freiheitskämpfer, Schutzengel aller Unterdrückten, Beispiel für Mitgefühl und Menschlichkeit.
Mitgefühl und Menschlichkeit? Da haben die Genossen wohl nicht richtig hingeschaut. Der Historiker Gerd Koenen suchte den Mann hinter dem Mythos und zeichnet nun ein ganz anderes Bild. Koenen (geboren 1944 in Marburg) entstammt dem richtigen Milieu. Er absolvierte (laut Verlag) "das volle Programm des linksradikalen Aktivismus", war Maoist und Berufsrevolutionär, bevor er Abstand gewann vom Traum des Weltenbrandes. Kommunismus assoziierte er fortan mit Knechtschaft ("ob mit oder ohne Terror"). Ein Aufklärer ist dieser Kritiker der Linken: Er verdammt nicht, er sucht den analytischen Zugang, appelliert an die Vernunft. (2007 bekam er den "Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung".) Über Lenin, Stalin, Mao Tse Dong hat er geschrieben ("Führerkulte und Heldenmythen"), über Vesper, Ensslin, Baader ("Urszenen des deutschen Terrorismus"), nun schreibt er über das "Guevara-Projekt".
Koenen erinnert, wer dieser Che Guevara gewesen ist: ein dogmatischer Stalinist (erst nach Stalins Tod), skrupellos, launisch, autoritär, ein Abenteurer, "vollgesogen mit apokalyptischen Todes- und Gewaltfantasien". Ein wollüstiger Scharfrichter der Revolution; hundertfach ließ er Wehrlose töten, und er tötete selbst. Ja, die Parole "Sozialismus oder Tod" nahm "El Che" wörtlich. Er wollte "zwei, drei, viele Vietnams" ("mit ihrer Todesrate und ihren ungeheuren Tragödien"), er schuf das kubanische Lagersystem, einen kleinen karibischen Gulag. In der Kubakrise 1962 hätte der Argentinier furchtbar gern Chruschtschows Atomraketen abgefeuert, auf dass die Asche seiner Gastgeber von der Insel "als Fundament für neue Gesellschaften dient". Da er keine Kernwaffen besaß, pries Che den "kleinen Krieg" als Auslöser der globalen Umwälzung – "Guerilla", Guevara hat den Begriff populär gemacht. Doch als Untergrundkämpfer war er so dilettantisch wie als Staatsmann; Che, ein Glücksritter, der seine Gefolgsleute mit in den Abgrund riss.
Koenen folgt den Traumpfaden, den Irrwegen dieses Quijote der Weltrevolution. Und er porträtiert zwei Weggefährten: Fidel Castro sowie "das weibliche Element" der Latino-Insurrektion, die Ostdeutsche Tamara Bunke alias "Tania la Guerillera". Die Tatsachen über diese seltsame Ménage-à-trois sind bekannt. Koenen bündelt sie in einer großen epischen Erzählung. Eine Fleißarbeit ist dieses Werk, ein lesenswertes Buch, mit einigen Schwachstellen: Man hätte – selbst auf Kosten des Epischen – gern mehr über das Kontinente umspannende Guevara-Projekt erfahren. Bedauerlich auch, dass direkte Quellenangaben fehlen. (Es gibt ein Literaturverzeichnis, jedoch keinen Nachweis der Zitate.)
Ein neues Che-Bild konnte und mochte Gerd Koenen nicht liefern. Aber schon die Assoziationen sind wichtig, hier und da ein anderer Kontext, eine Färbung des Hintergrunds. Zutreffend ist von einem Weltkriegsunternehmen Guevaras die Rede. Und auch wenn Koenen den Mann und seine Mission "nicht als historischen Vorläufer des globalen Djihad eines Bin Laden sehen mag" (warum eigentlich nicht?): die Zeichnung der Figur legt den Vergleich nahe. Die Schwärmerei der "Linken" für den Gewalttäter Che, diese quasireligiöse Heldenverehrung wird das Werk nicht bremsen. Aber kritische, nachdenkliche Geister dürfen sich einmal mehr bestätigt fühlen.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2008
602 Seiten, 24,95 Euro
Mitgefühl und Menschlichkeit? Da haben die Genossen wohl nicht richtig hingeschaut. Der Historiker Gerd Koenen suchte den Mann hinter dem Mythos und zeichnet nun ein ganz anderes Bild. Koenen (geboren 1944 in Marburg) entstammt dem richtigen Milieu. Er absolvierte (laut Verlag) "das volle Programm des linksradikalen Aktivismus", war Maoist und Berufsrevolutionär, bevor er Abstand gewann vom Traum des Weltenbrandes. Kommunismus assoziierte er fortan mit Knechtschaft ("ob mit oder ohne Terror"). Ein Aufklärer ist dieser Kritiker der Linken: Er verdammt nicht, er sucht den analytischen Zugang, appelliert an die Vernunft. (2007 bekam er den "Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung".) Über Lenin, Stalin, Mao Tse Dong hat er geschrieben ("Führerkulte und Heldenmythen"), über Vesper, Ensslin, Baader ("Urszenen des deutschen Terrorismus"), nun schreibt er über das "Guevara-Projekt".
Koenen erinnert, wer dieser Che Guevara gewesen ist: ein dogmatischer Stalinist (erst nach Stalins Tod), skrupellos, launisch, autoritär, ein Abenteurer, "vollgesogen mit apokalyptischen Todes- und Gewaltfantasien". Ein wollüstiger Scharfrichter der Revolution; hundertfach ließ er Wehrlose töten, und er tötete selbst. Ja, die Parole "Sozialismus oder Tod" nahm "El Che" wörtlich. Er wollte "zwei, drei, viele Vietnams" ("mit ihrer Todesrate und ihren ungeheuren Tragödien"), er schuf das kubanische Lagersystem, einen kleinen karibischen Gulag. In der Kubakrise 1962 hätte der Argentinier furchtbar gern Chruschtschows Atomraketen abgefeuert, auf dass die Asche seiner Gastgeber von der Insel "als Fundament für neue Gesellschaften dient". Da er keine Kernwaffen besaß, pries Che den "kleinen Krieg" als Auslöser der globalen Umwälzung – "Guerilla", Guevara hat den Begriff populär gemacht. Doch als Untergrundkämpfer war er so dilettantisch wie als Staatsmann; Che, ein Glücksritter, der seine Gefolgsleute mit in den Abgrund riss.
Koenen folgt den Traumpfaden, den Irrwegen dieses Quijote der Weltrevolution. Und er porträtiert zwei Weggefährten: Fidel Castro sowie "das weibliche Element" der Latino-Insurrektion, die Ostdeutsche Tamara Bunke alias "Tania la Guerillera". Die Tatsachen über diese seltsame Ménage-à-trois sind bekannt. Koenen bündelt sie in einer großen epischen Erzählung. Eine Fleißarbeit ist dieses Werk, ein lesenswertes Buch, mit einigen Schwachstellen: Man hätte – selbst auf Kosten des Epischen – gern mehr über das Kontinente umspannende Guevara-Projekt erfahren. Bedauerlich auch, dass direkte Quellenangaben fehlen. (Es gibt ein Literaturverzeichnis, jedoch keinen Nachweis der Zitate.)
Ein neues Che-Bild konnte und mochte Gerd Koenen nicht liefern. Aber schon die Assoziationen sind wichtig, hier und da ein anderer Kontext, eine Färbung des Hintergrunds. Zutreffend ist von einem Weltkriegsunternehmen Guevaras die Rede. Und auch wenn Koenen den Mann und seine Mission "nicht als historischen Vorläufer des globalen Djihad eines Bin Laden sehen mag" (warum eigentlich nicht?): die Zeichnung der Figur legt den Vergleich nahe. Die Schwärmerei der "Linken" für den Gewalttäter Che, diese quasireligiöse Heldenverehrung wird das Werk nicht bremsen. Aber kritische, nachdenkliche Geister dürfen sich einmal mehr bestätigt fühlen.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2008
602 Seiten, 24,95 Euro