Der Mann in neuem Licht

Die neue Männlichkeit im amerikanischen Film untersucht die Buchautorin Kathrin Mädler in "Broken Men". Ihre erste These: Es gehe in den US-Streifen zunehmend um Männer, die gezeichnet sind von Versagensängsten in allen Lebensbereichen. These 2: Männlichkeit ist zuweilen nur ein Konstrukt, und Frauen sind manchmal die besseren Männer.
Szene aus "American Beauty": "Mein Name ist Lester Burnham. Das ist mein Stadtviertel. Das ist meine Straße. Das ist mein Leben. Ich bin 42 Jahre alt. In weniger als einem Jahr bin ich tot. In gewisser Weise bin ich bereits tot."

Der Film "American Beauty" schildert die Lebenskrise eines Mannes der Mittelschicht, der in einem Vorort lebt. Mit einer Frau, die ihn nicht mehr liebt und einer Tochter, die ihn verachtet. Es ist einer von fünf Filmen, die die Buchautorin Kathrin Mädler analysiert.

Dabei arbeitet sie das Phänomen heraus, dass die zeitgenössischen US-Melodramen zunehmend Männer thematisieren, die gezeichnet sind von Versagensängsten: gesellschaftlich, familiär, sexuell. Und die Grenze zwischen Männern und Frauen schwinde, da die Männer sich in einer Identitätskrise befänden.

Nun werden in Hollywood jedes Jahr rund 250 Filme produziert. Und wer "Gladiator", "Rocky Balboa", Bruce Willis alias John McClain oder den neuen Indianer Jones Film nimmt, könnte ungefähr das Gegenteil beweisen. Immerhin relativiert die Autorin ihre Aussage, i dem sie feststellt, dass es sich um kein neues Phänomen handele. Dass aber die Radikalität der Darstellung eine neue Qualität erlangt habe.


Szene aus "American Beauty": "Sehen sie mich an: Ich hole mir unter der Dusche einen runter. Das wird der Höhepunkt meines Tages sein. Von jetzt an geht es nur noch bergab."

Allerdings scheint Kathrin Mädlers Interpretation, dass der Rollentausch zwischen Lester Burnham und seiner Frau die Ursache für die männliche Krise ist, gewagt. Denn auch Carolyn ist nicht gerade erfolgreich im öffentlichen Leben. Und der Drehbuchautor Allan Ball hat in Interviews immer davon gesprochen, dass Lester seine Lebensfreude verloren habe, weil er einen geistlosen Job verrichtet. Kein Wort von Männlichkeitskrise.

Ganz anders sieht es da bei "Magnolia" aus. Der Episodenfilm von Paul Thomas Anderson erzählt die Geschichte von einem Dutzend Menschen, die alle Einsamkeit, Sehnsucht oder Schuld und Reue verbindet. Wobei Tom Cruise als Sex-Guru Frank Mackey eine zentrale Rolle einnimmt.

Szene aus "Magnolia": "Wenn ich so ein Seminar hinter mir habe, ich schwöre es bei Gott, dann bin ich auf einmal Batman, dann bin ich Superman, dann bin ich… uh, uh, uh ich bin ein scheiß Actionheld. So komme ich mir da vor. Ich könnte jetzt einfach aus diesem Zimmer rausgehen und jede beliebige Maus aufreißen, die mir auch nur eine Sekunde von ihrer Zeit opfert./ Nur eine Sekunde? Oh ja, eine Sekunde reicht."

Mit seinen Motivationsseminaren will Frank das männliche Selbstbewusstsein wieder herstellen und Frauen auf einen niederen Platz in der Hierarchie verweisen, wie die Autorin treffend formuliert. Ihre Anmerkungen zu "Magnolia" sind die besten in dem Buch. Sie baut ihre Analyse präzise auf, ist logisch in der Argumentationsführung und überzeugt mit ihren Schlussfolgerungen.

In zwei Handlungssträngen des Films liegen einerseits der reiche TV-Produzent Earl und andererseits der erfolgreiche TV-Moderator Jimmy im Sterben, und sie stehen vor den Scherben ihres Lebens: Jimmy muss endlich zugeben, dass er seine Tochter missbrauchte. Und Earl verließ einst Frau und Sohn - nämlich den heutigen Sexguru Frank Mackey - als seine Frau schwer krank war.

Erst am Sterbebett kann Frank ihn dafür anklagen, erlebt aber zugleich einen Transformationsprozess. Kathrin Mädler spricht hier von einer sentimentalen oder befreiten männlichen Identität.

Szene aus "Magnolia": "Oh Gott, ich hasse dich, du mieses Arschloch. Oh Gott, du mieses Arschloch geh nicht weg. Du mieses Arschloch, geh nicht weg."

Mit der Analyse zu "Boys don’t cry" beschließt die Autorin ihr Buch. Der Film von Kimberly Pierce erzählt die wahre Geschichte von Teena Brandon, einer jungen Frau, die sich als Mann fühlt und sich in einer Kleinstadt auch als Mann ausgibt.

Szene aus "Boys don’t cry": "Kürzer? Kürzer! Das ist kurz genug. Okay, Superstar! Whow! So was Furchteinflößendes habe ich ja in meinem Leben noch nicht gesehen. Sieht wie eine Abnormität aus. (…) Mein Gott, ist ja irre. ( …) Schön, jetzt siehst du wie ein Junge aus. Und was nun?"


Brandon imitiert perfekt Männlichkeitsposen und kommt damit zunächst erfolgreicher als Mann an, als die männlichen Mitstreiter. Kathrin Mädler sieht darin einen Beweis dafür, dass Männlichkeit letztlich ein Konstrukt sei, das nur auf Verhaltensmustern aufbaue. Ja, dass sogar eine bessere Männlichkeit außerhalb des biologisch männlichen Körpers möglich sei, jedoch in einer heteronormativen Gesellschaft bestraft werde.

An einigen Stellen ist "Broken Men" ein wenig zu detailliert geraten. Und manchmal unterstellen die Analysen den Filmen eine Tiefe, die wohl kaum existiert. Denn beim Filmemachen werden viele Entscheidungen intuitiv gefällt, und oft ist man auch technischen Zwängen ausgeliefert. Dennoch öffnet das Buch die Augen für diffizile Männlichkeitsformen, die mehr als je zuvor im Melodram zu finden sind.

Rezensiert von Bernd Sobolla

Kathrin Mädler: Broken Men. Sentimentale Melodramen der Männlichkeit im zeitgenössischen Hollywood-Film
Schüren Verlag, Marburg
420 Seiten, 29.90 Euro