Der Mann mit den zwei Ohrensätzen
Er hat Klaus Doldinger produziert und Amon Düül: der Musikmanager Siggi Loch. Der ehemalige Europachef des Schallplattenkonzerns WEA meint, man müsse sich für eine erfolgreiche Karriere im Musikbusiness "zwei Sätze Ohren anschaffen": einen "für das, was einen persönlich berührt und befriedigt", und einen fürs Tagesgeschäft, von dem man lebt.
Stephan Karkowsky: Wir haben uns einen ganz besonderen Gast eingeladen. Heute Abend überrascht ihn seine Frau mit einer Geburtstagsparty. Gefeiert wird in einem Museum, aber auch das nimmt er schmunzelnd zur Kenntnis. Wer auf der Gästeliste steht, weiß mein Gast noch nicht, aber theoretisch könnten dabei sein: Al Jarreau, Katja Ebstein, Marius Müller-Westernhagen, Klaus Doldinger und viele andere Künstler, die er für Deutschland entdeckt oder als Erster produziert hat.
Heute wird er 70 Jahre alt, der Musikmanager Siggi Loch, ehemals Europachef des Schallplattenkonzerns WEA und heute einer der bedeutendsten deutschen Jazzproduzenten. Willkommen im "Radiofeuilleton" und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Siggi Loch: Herzlichen Dank und danke für die Einladung!
Karkowsky: Musikproduzent, Labelchef, Plattenunternehmer – was für eine Berufsbezeichnung geben Sie eigentlich an, wenn Sie mal gefragt werden?
Loch: Also wenn ich heute gefragt werde, sage ich am liebsten, ich bin Kulturarbeiter ...
Karkowsky: Oh!
Loch: ... und zwar einfach deswegen, weil ich ja mein ganzes Leben in der Musikbranche, im Musikbusiness verbracht habe und nun zum Ende meiner beruflichen Tätigkeit eher daran interessiert bin, etwas zurückzugeben von all den wunderbaren Dingen, die ich erleben durfte. Und das heißt Kulturarbeit, weil ich nämlich diese Arbeit seit 20 Jahren unentgeltlich entrichte. Das heißt, ich entdecke Künstler, produziere Künstler, versuche ein möglichst großes Publikum zu finden für die Musik, die ich liebe, ohne damit den Anspruch zu verbinden, damit Geld zu verdienen. Denn Geld habe ich Gott sei Dank vorher verdienen dürfen in all den Jahren, in denen ich für den Konzern und viele große Rockstars dieser Welt tätig war.
Karkowsky: Ja, zu dem Konzern kommen wir später noch, erst mal, wer Berichte über Sie liest, der sieht ja vor lauter Namedropping kaum noch den Mann dahinter. Sie werden genannt im Zusammenhang mit so vielen Künstlern, dass wir vielleicht mal klären sollten, was genau Sie denn eigentlich mit denen zu tun hatten. Fangen wir mal bei den ganz Großen an, den Beatles.
Loch: Die Beatles habe ich eher nur durch puren Zufall in Hamburg gehört, als ich meinen ersten Job hatte als Labelmanager für Jazz und meinen Chef damals überreden konnte, dass ich meine allererste Platte produzieren durfte mit Klaus Doldinger, den ich vorher auf dem Amateur-Jazz-Festival in Düsseldorf kennengelernt habe. Und just in dieser Zeit, das war 1962, eröffnete in Hamburg der Star-Club. Es war nicht zu übersehen, die Stadt war gepflastert mit signalroten Plakaten: Die Zeit der Dorfmusik hat ein Ende, am Freitag, dem 13. April, eröffnet der Star-Club. Und dann bin ich da hingelaufen, aber nur deswegen, weil Fats Domino dort spielte, einer meiner Rhythm-and-Blues-Heroes. Und bei der Gelegenheit habe ich dann auch diese Liverpool-Bands gehört, unter anderem auch die Beatles.
Karkowsky: Und wussten Sie gleich, das wird ein Riesending, ein Welterfolg?
Loch: Nein, ich wusste nur, wo diese Musik herkam. Es war eine Mischung aus Rhythm and Blues, den ich sehr verehrte, und Musik von Chuck Berry und Ähnlichem, Chicago-Blues-Größen, und eben der damaligen amerikanischen Popmusik à la Everly Brothers und natürlich auch schon Einflüsse von Elvis Presley, der ja auch schon Rhythm-and-Blues-Elemente in seiner Musik verarbeitet hatte.
Und mir war klar, da entsteht irgendwas Neues, eine Melange aus diesen Elementen Pop und Jazz und Blues. Und das hat mich beflügelt, meinen Chef noch mal wieder zu überreden, mir zu gestatten, im Star-Club Platten aufzunehmen. Das hatte natürlich mit Jazz überhaupt nichts zu tun, war aber letztlich der Grundstein für meine spätere Karriere im Business.
Der Star damals in der Hamburger Szene war Tony Sheridan. Und Sheridan hat die Beatles mitgenommen ins Studio, als der Bert Kaempfert seine erste Platte produziert hat, "My Bonnie goes over the Ocean". Und da haben sie die Beatles als Begleitband benutzt, das hieß dann ja auch Tony Sheridan and the Beat Brothers oder Beat Boys, weiß nicht genau. Und erst später, als die Beatles dann berühmt wurden, haben sie dann diese Aufnahmen noch mal wieder veröffentlicht unter dem Namen Beatles.
Karkowsky: Die Bandbreite ist groß, die Beatles, Frank Zappa, Led Zeppelin, die deutsche Krautrock-Band Amon Düül haben Sie aufgenommen, schließlich Achim Reichel und die Rattles. Haben Sie die Band eigentlich entdeckt?
Loch: Na, die Band spielte im Star-Club, also es war eine von den Gruppen, die im Star-Club spielten, und eine von den Gruppen, die ich dann aufgenommen habe, unter anderem ja ... also eigentlich war der wesentliche Grund war Tony Sheridan und die Searchers, aber die Rattles spielten halt auch und waren reine Epigonen, aber doch mit – der Achim Reichel vor allen Dingen als Frontman war eben schon so ein Liebling der Fans, ähnlich wie Paul McCartney bei den Beatles. Ja, und dann haben wir zunächst mal diese Liveaufnahmen gemacht, "Sha-la-la-la-lee" und ähnliche Dinge, und sind aber später dann im Studio richtig zueinander gekommen und haben dann sehr seriös wie eben diesen deutschen Beat, wie es damals hieß, aufgenommen und wie man weiß auch mit großem Erfolg.
Karkowsky: Reichel hatte ja viel Pech, weil er zur Bundeswehr eingezogen wurde, als die Rattles gerade auf dem Höhepunkt ihres Erfolges waren, und als er wiederkam, machte er diese versponnene Musik, also freundlich könnte man sagen Psychedelic Sound, unfreundlich Kiffermusik. Hatten Sie da noch was mit ihm zu tun?
Loch: Nein. Also unsere letzte Zusammenarbeit war ... als er zur Bundeswehr gehen musste, hatte ich die Idee, mit ihm eine deutsche Single aufzunehmen, und die hieß "Trag es wie ein Mann". Das war die deutsche Version eines Hits von den Walker Brothers "Take it like a Man", und wir waren der Meinung, es war eine tolle Idee, das zu machen. Das Problem war nur, trotz der enormen Publicity, die diese Platte und natürlich die Tatsache, dass der Achim Reichel nun kurz geschoren mit dem Stahlhelm auf dem Panzer saß, war, dass die Fans von Achim und den Rattles überhaupt nicht darüber lachen konnten, und es war ein totaler Flop. Den hat mir der Achim lange Zeit sehr übel genommen.
Interessant ist aber, dass er dann ja zunächst mal die Psychedelic-Welle hatte mit Wonderland später und dann letztlich doch zu der deutschen Sprache zurückgefunden hat, denn seine großen Erfolge waren ja die mit den Shanties. Also meine Idee von dem blonden Hans des Rock 'n' Roll war eigentlich gar nicht so schlecht im Nachhinein.
Karkowsky: Ja, wahrscheinlich war sein größter Hit "Der Spieler", oder?
Loch: "Der Spieler" war sicherlich sein größter Hit.
Karkowsky: Wir hören aber von den Rattles "Sha-la-la-la-lee", ein Small-Faces-Cover aus dem Januar 1966. Hier ist es.
((Musikeinspielung))
Karkowsky: Die Rattles 1966, "Sha-la-la-la-lee". Zu Gast im "Radiofeuilleton" Siggi Loch, Musikmanager, Produzent, Künstlerentdecker und vor allen Dingen Geburtstagskind, denn heute wird er 70 Jahre alt. Was steht denn da bei Ihnen im Vordergrund – einfach das Wissen, damit kann ich Geld verdienen, das ist eine gute Geschäftsidee, oder wirklich die Leidenschaft auch für das, was ein Mann macht?
Loch: Also die Initialzündung muss sein, dass ich sozusagen angezündet werde, ähnlich wie bei meinem allerersten Jazzkonzert mich Sidney Bechet angezündet hat, ohne dass ich jemals vorher in meinem Leben bewusst Jazz gehört hatte, so hat er mich doch berührt, und es hat mich bewegt. Und ähnlich ist es bei jeder Künstlerbegegnung, die ich habe, mit neuen Künstlern, die ich nicht kenne, muss Ähnliches passieren. Natürlich ist dann der zweite Gedanke auch, kann man damit Geld verdienen. Das stellt sich dann im Laufe eines langen Berufslebens so ein, wenn man mit Musik mal als Musikproduzent dann Musik einem größeren Publikum vermitteln will, dann ist automatisch die Frage damit verbunden, ist das kommerziell tragfähig. Und insofern ist das schon eine wichtige Überlegung, aber es ist niemals die Initialzündung. Die muss auf der emotionalen Ebene erfolgen.
Karkowsky: Sie selbst sagen, Sie sind Musikarbeiter, Sie sind natürlich auch ein Manager alter Schule und stehen im Ruf, gnadenlos zu sein, wenn der Künstler nicht das tun wollte, was Sie für richtig hielten, dann konnte es schnell aus sein mit seiner Karriere. Bei wem sind Sie noch heute enttäuscht darüber, dass er so stur war und Ihnen nicht gefolgt ist?
Loch: Na ja, ich hoffe, dass ich nicht gnadenlos gewesen bin, weil ich mir selber dieses Etikett nicht ankleben würde. Ich bin kritisch gewesen immer im Umgang mit meinen Künstlern, wie auch umgekehrt die Künstler natürlich immer kritisch mit mir umgegangen sind. Allerdings wollte ich niemals der nützliche Idiot sein für andere, die einfach mich dafür benutzten, um ihre Ideen durchzusetzen. Also es musste schon ein Dialog sein. Am Ende einer konstruktiven Auseinandersetzung muss es eine Einigung geben, und wir müssen etwas veröffentlichen, hinter dem wir beide stehen können.
Wenn allerdings ein Künstler eine Richtungsänderung vollziehen wollte, die ich nicht mittragen konnte – aus welchen Gründen auch immer, das können wirtschaftliche Gründe sein, es können aber auch geschmackliche Gründe sein –, dann habe ich mich konsequent von den Künstlern getrennt, wie sich übrigens auch umgekehrt natürlich Künstler von mir getrennt haben, was mir gelegentlich auch dann wehgetan hat, aber meistens war es dann das bessere Angebot von Wettbewerbern, weil da noch mehr Geld im Spiel war. Aber das passiert halt. Das muss man aushalten können, das ist Teil des Spiels.
Ich bin nicht nachtragend. Also irgendwann, wenn der Mensch mir wichtig war, habe ich mich dann wieder vertragen, obwohl ich natürlich über eine gewisse Distance enttäuscht war. Wie umgekehrt natürlich auch ein Künstler enttäuscht ist, wenn ich ihm sage: Du, was du da vorhast, ist gut und schön, aber ich kann das nicht mittragen. Ja, und dann sind die natürlich auch nicht begeistert darüber.
Aber manchmal dauert es dann ein paar Jahre, wie zum Beispiel im Fall von Achim Reichel, der gar nicht begeistert war von meiner Entscheidung damals, mit ihm diese eine Platte zu produzieren, aber heute sind wir wirklich sehr gute Freunde, aber haben auch jetzt beruflich nichts mehr miteinander zu tun, was gelegentlich hilfreich ist.
Karkowsky: In vielen Berichten habe ich gelesen, wer Sie, wer Ihre Geschichte verstehen will, muss zurückschauen in Ihre Kindheit und Jugend. Sie sind geboren in Pommern als ältester Sohn von insgesamt zehn Kindern?
Loch: Nein, das ist nicht ganz richtig, mein Vater hat zweimal geheiratet. Also als mein Vater meine Mutter heiratete, hatte er schon ... seine erste Frau war gestorben, er hatte fünf Kinder aus der ersten Ehe, und in der zweiten Ehe sind dann noch mal fünf Kinder geboren worden, von denen allerdings zwei gestorben sind. Ich bin der Älteste von den drei Kindern, die jetzt noch übriggeblieben sind sozusagen.
Karkowsky: 1951 Flucht aus der DDR, die Mutter schwer erkrankt, Sie waren mit 15 quasi so eine Art kleines Familienoberhaupt. Hatten Sie eine Kindheit?
Loch: Ja, das ist eine gute Frage. Also rückblickend würde ich sagen, ich hatte eigentlich keine Kindheit, weil – also nicht in dem Sinne, in dem man heute Kindheit versteht, damals, wir kannten ja nichts anderes, insofern war das selbstverständlich eine Kindheit, aber eine, die man sich, wenn man es aussuchen könnte, wahrscheinlich nicht freiwillig aussuchen würde. Und ich habe diese Herausforderung zwangsläufig annehmen müssen und zwangsläufig sehr früh in meinem Leben gelernt, Verantwortung zu übernehmen, zwangsläufig sehr früh gelernt, wenn ich etwas erreichen will oder etwas auch haben will, zum Beispiel einen Plattenspieler oder ein Schlagzeug oder so etwas, dann muss ich das selbst verdienen, weil meine Eltern waren nicht in der Lage, mir irgendwelche Wünsche finanzieller Art zu erfüllen, die über die Lebenshaltungskosten hinausgingen.
Karkowsky: Und einer Ihrer Wunschträume, als Sie dann im Musikbusiness angekommen waren, war es tatsächlich, eine eigene Platte aufzunehmen, in dem Fall halt – Sie haben es schon erwähnt – das erste Album für Klaus Doldinger. Wie haben Sie diesen damals ja noch unbekannten Jazzmusiker kennengelernt?
Loch: Das ist so eine Art Schicksalsgemeinschaft zwischen Doldinger und mir. Es hat sich nachher herausgestellt, dass auch Doldinger sehr stark beeinflusst war von Sidney Bechet, also im Jahr, als ich Sidney Bechet hörte, im Alter von 15 Jahren, hat Doldinger als Mitglied der Feetwarmers seine erste Platte aufgenommen auf Sopransaxofon im Stil von Sidney Bechet. Ich hab ihn dann auch als Fan erlebt, 1958, und in Düsseldorf am Amateur-Festival und dann, als ich den Job bekam als Labelmanager, hörte ich ihn 62 wieder in Düsseldorf, als er Profimusiker wurde.
Und er hat mich so begeistert, dass ich in einem Anfall von Größenwahnsinn nach dem Konzert hinter die Bühne gegangen bin und hab gesagt: Herr Doldinger, ich bin der Siggi Loch von der Philipps, wir müssen zusammen Platten machen – und bot ihm einen Plattenvertrag an. Dazu war ich natürlich in keinster Weise autorisiert, hab aber dann meinen Chef überreden können, es auch zu machen.
Und ich hab dann im weiteren Verlauf der Jahre mit Klaus Doldinger, weiß ich, 25 Alben produziert, bis er dann 71, als ich dann Warner-Chef wurde und nicht mehr selbst im Studio arbeiten konnte, wurde er dann sein eigener Produzent, und wir sind heute auch noch allerbeste Freunde und es vergeht keine Woche, in der wir nicht mehrmals miteinander telefonieren.
Karkowsky: Wir hören Klaus Doldinger mit "Just a Little Bit of Soul", einer Aufnahme aus dem März 1967 mit Volker Kriegel an der Gitarre und Ingfried Hoffmann an der Orgel.
((Musikeinspielung))
Karkowsky: Klaus Doldinger, "Just a Little Bit of Soul" aus dem Jahr 1967. Im Deutschlandradio Kultur zu Gast Siggi Loch, der heute 70 Jahre alt wird. Herr Loch, Sie sind offensichtlich Jazzfan, aber Sie haben auch ganz andere Dinge gemacht, wie zum Beispiel den Hit der George Baker Selection nach Deutschland geholt, "Paloma Blanca" – ich darf verraten, das war meine erste Schallplatte, bisher habe ich immer behauptet, es wäre das rote Album der Beatles gewesen, aber es stimmt nicht, hiermit aufgedeckt. Sie haben die Krautrock-Band Amon Düül aufgenommen, Sie haben dann wieder "Ein Bett im Kornfeld", Jürgen Drews gemacht. Da kann man schon mal fragen, wie kommt es denn dazu, das ist ja doch ein sehr weiter Abstand zwischen Schlagern und Krautrock.
Loch: Tja, für eine erfolgreiche Karriere im Musikbusiness muss man sich im Laufe der Zeit sozusagen zwei verschiedene Ohren, zwei Sätze Ohren anschaffen. Der eine Satz ist eher für das, was einen persönlich berührt und befriedigt, und man versucht dann immer auch ein bisschen, gerade diese Art von Musik sozusagen einzuschmuggeln in das Tagesgeschäft. Und der zweite Satz ist der, von dem man lebt, nämlich zu erkennen, welche Art von Musik das Publikum, und zwar ein möglichst großes Publikum erreicht.
Und so ist mir es passiert, als ich in Holland diese Aufnahme von George Baker hörte, "Paloma Blanca". Interessanterweise, dass die Firma EMI, zu der dieser Künstler gehörte, diese Platte, außerhalb von Holland wollte die niemand veröffentlichen. Und ich hörte das und war mir sicher, das ist ein Riesenhit. Und der Manager war gar nicht begeistert, aber er sagt, was soll ich mit George Baker bei einer Rock 'n' Roll-Company, denn wir hatten Led Zeppelin, die Rolling Stones und Dinge dieser Art, aber ich war einfach sicher, ich mache das und ich versprech dir, wenn wir es nicht in die Top Ten bekommen, dann kannst du wieder woanders hingehen. Es wurde nicht nur Top Ten, es wurde Nummer eins weltweit, wir haben über 20 Millionen Platten verkauft. Aber zunächst waren meine Mitarbeiter der Meinung, ich wäre durchgeknallt, weil das war einfach Schlagermusik, nicht wahr, und wir waren eben bekannt als Rock 'n' Roll-Company.
Karkowsky: Sie waren Musikproduzent zu einer Zeit, in der die Besten damit reich werden konnten. Wie sehen Sie das Musikgeschäft heute, Stichwort Downloads gegen Tonträger?
Loch: Das Musikgeschäft in der Form, wie ich es erleben durfte, wird es in der Form wahrscheinlich in Kürze nicht mehr geben. Diese gesamte Infrastruktur der kommerziellen Musikproduktion wird sich radikal ändern, weil in den Zeiten, in denen ich in dieser Branche tätig war, das primäre Ziel eben immer darin bestand, Schallplatten zu verkaufen. Und darüber wurde vergessen, dass die Inhalte eben auch unabhängig von einer Schallplatte transportiert werden können und heute müssen, weil das Publikum einfach nicht mehr so viel Interesse hat an den Silberlingen wie wir damals, als wir damit 1990 anfingen mit CDs, und heute die Hörgewohnheiten sich völlig verändert haben.
Das heißt, heute ist der Musikproduzent jemand, der Rechte erwirbt und diese Rechte vermarkten muss, verkaufen muss. Aber in einer Zeit, wo sich die Leute dran gewöhnt haben, dass man Musik eigentlich überall umsonst bekommt, ist die Bereitschaft, dafür zu zahlen, nicht mehr sehr ausgeprägt. Und das ist das Problem dieser Branche.
Ich gehöre ja noch zu dieser Offline-Generation, aber jetzt die Zukunft gehört der Online-Generation, und die Lösung dieses Puzzles, wie man nun eine kommerziell erfolgreiche Musikproduktion gestalten kann, ohne dass damit nun Tonträgerverkäufe in der Form verbunden sind, wie wir es kannten, das ist eine Aufgabe für die zukünftigen Generationen – ich kenne die Antwort leider nicht.
Karkowsky: Sie haben dann in einem Alter, in dem andere Manager vor allem an ihr Golf-Handicap denken, noch mal ein eigenes Plattenlabel gegründet, 1992 haben sie mit ACT nur noch Jazzmusik herausgebracht. War das damals ein Risikounternehmen?
Loch: Ich verdanke meine ganze Karriere und wenn man so will auch dann später meine finanzielle Unabhängigkeit ausschließlich meiner Liebe zum Jazz. Ohne dieses erste Erlebnis wäre ich niemals in diese Branche gekommen. Und nachdem ich nun mit ganz anderen Dingen meinen überschaubaren Wohlstand erreichen konnte und wirtschaftlich unabhängig war, habe ich mich daran erinnert, dass der eigentliche Grund, warum ich in die Musikindustrie gegangen bin, war immer, ich wollte mein eigenes Jazzlabel haben. Und daran habe ich mich erinnert, als ich dann knapp 50 war, und habe gedacht und auch gewusst, wenn ich das jetzt nicht mache, dann werde ich es in diesem Leben nicht mehr schaffen, und hab dann den Sprung gemacht aus der Chefetage von Warner, aus dem Wolkenkratzer in New York eben in die Unabhängigkeit als unabhängiger Schallplattenproduzent.
Ein Lernprozess, der eine Weile gedauert hat, bis ich es begriffen hab, wie es funktioniert, aber letztlich mach ich es schon fast 20 Jahre und bin äußerst glücklich darüber, weil alles, was ich mit Musik heute zu tun habe, ist nicht irgendwelchen Kriterien oder Steuerungen von außen ausgesetzt, sondern entspricht einfach dem, was ich will. Und das, was ich will, kann ich hier durchsetzen, und das ist eine große Erfüllung.
Karkowsky: Und Sie haben Hits gelandet im Jazz, unter anderem mit dem Esbjörn Svensson Trio, das wir zum Abschluss unseres Gespräches noch einmal hören, mit "The Rube Thing", und während wir das hören, sag ich schon mal tschüss, vielen Dank, dass Sie da waren bei uns, Siggi Loch, der heute 70 Jahre alt wird.
Loch: Danke für die Einladung!
Heute wird er 70 Jahre alt, der Musikmanager Siggi Loch, ehemals Europachef des Schallplattenkonzerns WEA und heute einer der bedeutendsten deutschen Jazzproduzenten. Willkommen im "Radiofeuilleton" und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Siggi Loch: Herzlichen Dank und danke für die Einladung!
Karkowsky: Musikproduzent, Labelchef, Plattenunternehmer – was für eine Berufsbezeichnung geben Sie eigentlich an, wenn Sie mal gefragt werden?
Loch: Also wenn ich heute gefragt werde, sage ich am liebsten, ich bin Kulturarbeiter ...
Karkowsky: Oh!
Loch: ... und zwar einfach deswegen, weil ich ja mein ganzes Leben in der Musikbranche, im Musikbusiness verbracht habe und nun zum Ende meiner beruflichen Tätigkeit eher daran interessiert bin, etwas zurückzugeben von all den wunderbaren Dingen, die ich erleben durfte. Und das heißt Kulturarbeit, weil ich nämlich diese Arbeit seit 20 Jahren unentgeltlich entrichte. Das heißt, ich entdecke Künstler, produziere Künstler, versuche ein möglichst großes Publikum zu finden für die Musik, die ich liebe, ohne damit den Anspruch zu verbinden, damit Geld zu verdienen. Denn Geld habe ich Gott sei Dank vorher verdienen dürfen in all den Jahren, in denen ich für den Konzern und viele große Rockstars dieser Welt tätig war.
Karkowsky: Ja, zu dem Konzern kommen wir später noch, erst mal, wer Berichte über Sie liest, der sieht ja vor lauter Namedropping kaum noch den Mann dahinter. Sie werden genannt im Zusammenhang mit so vielen Künstlern, dass wir vielleicht mal klären sollten, was genau Sie denn eigentlich mit denen zu tun hatten. Fangen wir mal bei den ganz Großen an, den Beatles.
Loch: Die Beatles habe ich eher nur durch puren Zufall in Hamburg gehört, als ich meinen ersten Job hatte als Labelmanager für Jazz und meinen Chef damals überreden konnte, dass ich meine allererste Platte produzieren durfte mit Klaus Doldinger, den ich vorher auf dem Amateur-Jazz-Festival in Düsseldorf kennengelernt habe. Und just in dieser Zeit, das war 1962, eröffnete in Hamburg der Star-Club. Es war nicht zu übersehen, die Stadt war gepflastert mit signalroten Plakaten: Die Zeit der Dorfmusik hat ein Ende, am Freitag, dem 13. April, eröffnet der Star-Club. Und dann bin ich da hingelaufen, aber nur deswegen, weil Fats Domino dort spielte, einer meiner Rhythm-and-Blues-Heroes. Und bei der Gelegenheit habe ich dann auch diese Liverpool-Bands gehört, unter anderem auch die Beatles.
Karkowsky: Und wussten Sie gleich, das wird ein Riesending, ein Welterfolg?
Loch: Nein, ich wusste nur, wo diese Musik herkam. Es war eine Mischung aus Rhythm and Blues, den ich sehr verehrte, und Musik von Chuck Berry und Ähnlichem, Chicago-Blues-Größen, und eben der damaligen amerikanischen Popmusik à la Everly Brothers und natürlich auch schon Einflüsse von Elvis Presley, der ja auch schon Rhythm-and-Blues-Elemente in seiner Musik verarbeitet hatte.
Und mir war klar, da entsteht irgendwas Neues, eine Melange aus diesen Elementen Pop und Jazz und Blues. Und das hat mich beflügelt, meinen Chef noch mal wieder zu überreden, mir zu gestatten, im Star-Club Platten aufzunehmen. Das hatte natürlich mit Jazz überhaupt nichts zu tun, war aber letztlich der Grundstein für meine spätere Karriere im Business.
Der Star damals in der Hamburger Szene war Tony Sheridan. Und Sheridan hat die Beatles mitgenommen ins Studio, als der Bert Kaempfert seine erste Platte produziert hat, "My Bonnie goes over the Ocean". Und da haben sie die Beatles als Begleitband benutzt, das hieß dann ja auch Tony Sheridan and the Beat Brothers oder Beat Boys, weiß nicht genau. Und erst später, als die Beatles dann berühmt wurden, haben sie dann diese Aufnahmen noch mal wieder veröffentlicht unter dem Namen Beatles.
Karkowsky: Die Bandbreite ist groß, die Beatles, Frank Zappa, Led Zeppelin, die deutsche Krautrock-Band Amon Düül haben Sie aufgenommen, schließlich Achim Reichel und die Rattles. Haben Sie die Band eigentlich entdeckt?
Loch: Na, die Band spielte im Star-Club, also es war eine von den Gruppen, die im Star-Club spielten, und eine von den Gruppen, die ich dann aufgenommen habe, unter anderem ja ... also eigentlich war der wesentliche Grund war Tony Sheridan und die Searchers, aber die Rattles spielten halt auch und waren reine Epigonen, aber doch mit – der Achim Reichel vor allen Dingen als Frontman war eben schon so ein Liebling der Fans, ähnlich wie Paul McCartney bei den Beatles. Ja, und dann haben wir zunächst mal diese Liveaufnahmen gemacht, "Sha-la-la-la-lee" und ähnliche Dinge, und sind aber später dann im Studio richtig zueinander gekommen und haben dann sehr seriös wie eben diesen deutschen Beat, wie es damals hieß, aufgenommen und wie man weiß auch mit großem Erfolg.
Karkowsky: Reichel hatte ja viel Pech, weil er zur Bundeswehr eingezogen wurde, als die Rattles gerade auf dem Höhepunkt ihres Erfolges waren, und als er wiederkam, machte er diese versponnene Musik, also freundlich könnte man sagen Psychedelic Sound, unfreundlich Kiffermusik. Hatten Sie da noch was mit ihm zu tun?
Loch: Nein. Also unsere letzte Zusammenarbeit war ... als er zur Bundeswehr gehen musste, hatte ich die Idee, mit ihm eine deutsche Single aufzunehmen, und die hieß "Trag es wie ein Mann". Das war die deutsche Version eines Hits von den Walker Brothers "Take it like a Man", und wir waren der Meinung, es war eine tolle Idee, das zu machen. Das Problem war nur, trotz der enormen Publicity, die diese Platte und natürlich die Tatsache, dass der Achim Reichel nun kurz geschoren mit dem Stahlhelm auf dem Panzer saß, war, dass die Fans von Achim und den Rattles überhaupt nicht darüber lachen konnten, und es war ein totaler Flop. Den hat mir der Achim lange Zeit sehr übel genommen.
Interessant ist aber, dass er dann ja zunächst mal die Psychedelic-Welle hatte mit Wonderland später und dann letztlich doch zu der deutschen Sprache zurückgefunden hat, denn seine großen Erfolge waren ja die mit den Shanties. Also meine Idee von dem blonden Hans des Rock 'n' Roll war eigentlich gar nicht so schlecht im Nachhinein.
Karkowsky: Ja, wahrscheinlich war sein größter Hit "Der Spieler", oder?
Loch: "Der Spieler" war sicherlich sein größter Hit.
Karkowsky: Wir hören aber von den Rattles "Sha-la-la-la-lee", ein Small-Faces-Cover aus dem Januar 1966. Hier ist es.
((Musikeinspielung))
Karkowsky: Die Rattles 1966, "Sha-la-la-la-lee". Zu Gast im "Radiofeuilleton" Siggi Loch, Musikmanager, Produzent, Künstlerentdecker und vor allen Dingen Geburtstagskind, denn heute wird er 70 Jahre alt. Was steht denn da bei Ihnen im Vordergrund – einfach das Wissen, damit kann ich Geld verdienen, das ist eine gute Geschäftsidee, oder wirklich die Leidenschaft auch für das, was ein Mann macht?
Loch: Also die Initialzündung muss sein, dass ich sozusagen angezündet werde, ähnlich wie bei meinem allerersten Jazzkonzert mich Sidney Bechet angezündet hat, ohne dass ich jemals vorher in meinem Leben bewusst Jazz gehört hatte, so hat er mich doch berührt, und es hat mich bewegt. Und ähnlich ist es bei jeder Künstlerbegegnung, die ich habe, mit neuen Künstlern, die ich nicht kenne, muss Ähnliches passieren. Natürlich ist dann der zweite Gedanke auch, kann man damit Geld verdienen. Das stellt sich dann im Laufe eines langen Berufslebens so ein, wenn man mit Musik mal als Musikproduzent dann Musik einem größeren Publikum vermitteln will, dann ist automatisch die Frage damit verbunden, ist das kommerziell tragfähig. Und insofern ist das schon eine wichtige Überlegung, aber es ist niemals die Initialzündung. Die muss auf der emotionalen Ebene erfolgen.
Karkowsky: Sie selbst sagen, Sie sind Musikarbeiter, Sie sind natürlich auch ein Manager alter Schule und stehen im Ruf, gnadenlos zu sein, wenn der Künstler nicht das tun wollte, was Sie für richtig hielten, dann konnte es schnell aus sein mit seiner Karriere. Bei wem sind Sie noch heute enttäuscht darüber, dass er so stur war und Ihnen nicht gefolgt ist?
Loch: Na ja, ich hoffe, dass ich nicht gnadenlos gewesen bin, weil ich mir selber dieses Etikett nicht ankleben würde. Ich bin kritisch gewesen immer im Umgang mit meinen Künstlern, wie auch umgekehrt die Künstler natürlich immer kritisch mit mir umgegangen sind. Allerdings wollte ich niemals der nützliche Idiot sein für andere, die einfach mich dafür benutzten, um ihre Ideen durchzusetzen. Also es musste schon ein Dialog sein. Am Ende einer konstruktiven Auseinandersetzung muss es eine Einigung geben, und wir müssen etwas veröffentlichen, hinter dem wir beide stehen können.
Wenn allerdings ein Künstler eine Richtungsänderung vollziehen wollte, die ich nicht mittragen konnte – aus welchen Gründen auch immer, das können wirtschaftliche Gründe sein, es können aber auch geschmackliche Gründe sein –, dann habe ich mich konsequent von den Künstlern getrennt, wie sich übrigens auch umgekehrt natürlich Künstler von mir getrennt haben, was mir gelegentlich auch dann wehgetan hat, aber meistens war es dann das bessere Angebot von Wettbewerbern, weil da noch mehr Geld im Spiel war. Aber das passiert halt. Das muss man aushalten können, das ist Teil des Spiels.
Ich bin nicht nachtragend. Also irgendwann, wenn der Mensch mir wichtig war, habe ich mich dann wieder vertragen, obwohl ich natürlich über eine gewisse Distance enttäuscht war. Wie umgekehrt natürlich auch ein Künstler enttäuscht ist, wenn ich ihm sage: Du, was du da vorhast, ist gut und schön, aber ich kann das nicht mittragen. Ja, und dann sind die natürlich auch nicht begeistert darüber.
Aber manchmal dauert es dann ein paar Jahre, wie zum Beispiel im Fall von Achim Reichel, der gar nicht begeistert war von meiner Entscheidung damals, mit ihm diese eine Platte zu produzieren, aber heute sind wir wirklich sehr gute Freunde, aber haben auch jetzt beruflich nichts mehr miteinander zu tun, was gelegentlich hilfreich ist.
Karkowsky: In vielen Berichten habe ich gelesen, wer Sie, wer Ihre Geschichte verstehen will, muss zurückschauen in Ihre Kindheit und Jugend. Sie sind geboren in Pommern als ältester Sohn von insgesamt zehn Kindern?
Loch: Nein, das ist nicht ganz richtig, mein Vater hat zweimal geheiratet. Also als mein Vater meine Mutter heiratete, hatte er schon ... seine erste Frau war gestorben, er hatte fünf Kinder aus der ersten Ehe, und in der zweiten Ehe sind dann noch mal fünf Kinder geboren worden, von denen allerdings zwei gestorben sind. Ich bin der Älteste von den drei Kindern, die jetzt noch übriggeblieben sind sozusagen.
Karkowsky: 1951 Flucht aus der DDR, die Mutter schwer erkrankt, Sie waren mit 15 quasi so eine Art kleines Familienoberhaupt. Hatten Sie eine Kindheit?
Loch: Ja, das ist eine gute Frage. Also rückblickend würde ich sagen, ich hatte eigentlich keine Kindheit, weil – also nicht in dem Sinne, in dem man heute Kindheit versteht, damals, wir kannten ja nichts anderes, insofern war das selbstverständlich eine Kindheit, aber eine, die man sich, wenn man es aussuchen könnte, wahrscheinlich nicht freiwillig aussuchen würde. Und ich habe diese Herausforderung zwangsläufig annehmen müssen und zwangsläufig sehr früh in meinem Leben gelernt, Verantwortung zu übernehmen, zwangsläufig sehr früh gelernt, wenn ich etwas erreichen will oder etwas auch haben will, zum Beispiel einen Plattenspieler oder ein Schlagzeug oder so etwas, dann muss ich das selbst verdienen, weil meine Eltern waren nicht in der Lage, mir irgendwelche Wünsche finanzieller Art zu erfüllen, die über die Lebenshaltungskosten hinausgingen.
Karkowsky: Und einer Ihrer Wunschträume, als Sie dann im Musikbusiness angekommen waren, war es tatsächlich, eine eigene Platte aufzunehmen, in dem Fall halt – Sie haben es schon erwähnt – das erste Album für Klaus Doldinger. Wie haben Sie diesen damals ja noch unbekannten Jazzmusiker kennengelernt?
Loch: Das ist so eine Art Schicksalsgemeinschaft zwischen Doldinger und mir. Es hat sich nachher herausgestellt, dass auch Doldinger sehr stark beeinflusst war von Sidney Bechet, also im Jahr, als ich Sidney Bechet hörte, im Alter von 15 Jahren, hat Doldinger als Mitglied der Feetwarmers seine erste Platte aufgenommen auf Sopransaxofon im Stil von Sidney Bechet. Ich hab ihn dann auch als Fan erlebt, 1958, und in Düsseldorf am Amateur-Festival und dann, als ich den Job bekam als Labelmanager, hörte ich ihn 62 wieder in Düsseldorf, als er Profimusiker wurde.
Und er hat mich so begeistert, dass ich in einem Anfall von Größenwahnsinn nach dem Konzert hinter die Bühne gegangen bin und hab gesagt: Herr Doldinger, ich bin der Siggi Loch von der Philipps, wir müssen zusammen Platten machen – und bot ihm einen Plattenvertrag an. Dazu war ich natürlich in keinster Weise autorisiert, hab aber dann meinen Chef überreden können, es auch zu machen.
Und ich hab dann im weiteren Verlauf der Jahre mit Klaus Doldinger, weiß ich, 25 Alben produziert, bis er dann 71, als ich dann Warner-Chef wurde und nicht mehr selbst im Studio arbeiten konnte, wurde er dann sein eigener Produzent, und wir sind heute auch noch allerbeste Freunde und es vergeht keine Woche, in der wir nicht mehrmals miteinander telefonieren.
Karkowsky: Wir hören Klaus Doldinger mit "Just a Little Bit of Soul", einer Aufnahme aus dem März 1967 mit Volker Kriegel an der Gitarre und Ingfried Hoffmann an der Orgel.
((Musikeinspielung))
Karkowsky: Klaus Doldinger, "Just a Little Bit of Soul" aus dem Jahr 1967. Im Deutschlandradio Kultur zu Gast Siggi Loch, der heute 70 Jahre alt wird. Herr Loch, Sie sind offensichtlich Jazzfan, aber Sie haben auch ganz andere Dinge gemacht, wie zum Beispiel den Hit der George Baker Selection nach Deutschland geholt, "Paloma Blanca" – ich darf verraten, das war meine erste Schallplatte, bisher habe ich immer behauptet, es wäre das rote Album der Beatles gewesen, aber es stimmt nicht, hiermit aufgedeckt. Sie haben die Krautrock-Band Amon Düül aufgenommen, Sie haben dann wieder "Ein Bett im Kornfeld", Jürgen Drews gemacht. Da kann man schon mal fragen, wie kommt es denn dazu, das ist ja doch ein sehr weiter Abstand zwischen Schlagern und Krautrock.
Loch: Tja, für eine erfolgreiche Karriere im Musikbusiness muss man sich im Laufe der Zeit sozusagen zwei verschiedene Ohren, zwei Sätze Ohren anschaffen. Der eine Satz ist eher für das, was einen persönlich berührt und befriedigt, und man versucht dann immer auch ein bisschen, gerade diese Art von Musik sozusagen einzuschmuggeln in das Tagesgeschäft. Und der zweite Satz ist der, von dem man lebt, nämlich zu erkennen, welche Art von Musik das Publikum, und zwar ein möglichst großes Publikum erreicht.
Und so ist mir es passiert, als ich in Holland diese Aufnahme von George Baker hörte, "Paloma Blanca". Interessanterweise, dass die Firma EMI, zu der dieser Künstler gehörte, diese Platte, außerhalb von Holland wollte die niemand veröffentlichen. Und ich hörte das und war mir sicher, das ist ein Riesenhit. Und der Manager war gar nicht begeistert, aber er sagt, was soll ich mit George Baker bei einer Rock 'n' Roll-Company, denn wir hatten Led Zeppelin, die Rolling Stones und Dinge dieser Art, aber ich war einfach sicher, ich mache das und ich versprech dir, wenn wir es nicht in die Top Ten bekommen, dann kannst du wieder woanders hingehen. Es wurde nicht nur Top Ten, es wurde Nummer eins weltweit, wir haben über 20 Millionen Platten verkauft. Aber zunächst waren meine Mitarbeiter der Meinung, ich wäre durchgeknallt, weil das war einfach Schlagermusik, nicht wahr, und wir waren eben bekannt als Rock 'n' Roll-Company.
Karkowsky: Sie waren Musikproduzent zu einer Zeit, in der die Besten damit reich werden konnten. Wie sehen Sie das Musikgeschäft heute, Stichwort Downloads gegen Tonträger?
Loch: Das Musikgeschäft in der Form, wie ich es erleben durfte, wird es in der Form wahrscheinlich in Kürze nicht mehr geben. Diese gesamte Infrastruktur der kommerziellen Musikproduktion wird sich radikal ändern, weil in den Zeiten, in denen ich in dieser Branche tätig war, das primäre Ziel eben immer darin bestand, Schallplatten zu verkaufen. Und darüber wurde vergessen, dass die Inhalte eben auch unabhängig von einer Schallplatte transportiert werden können und heute müssen, weil das Publikum einfach nicht mehr so viel Interesse hat an den Silberlingen wie wir damals, als wir damit 1990 anfingen mit CDs, und heute die Hörgewohnheiten sich völlig verändert haben.
Das heißt, heute ist der Musikproduzent jemand, der Rechte erwirbt und diese Rechte vermarkten muss, verkaufen muss. Aber in einer Zeit, wo sich die Leute dran gewöhnt haben, dass man Musik eigentlich überall umsonst bekommt, ist die Bereitschaft, dafür zu zahlen, nicht mehr sehr ausgeprägt. Und das ist das Problem dieser Branche.
Ich gehöre ja noch zu dieser Offline-Generation, aber jetzt die Zukunft gehört der Online-Generation, und die Lösung dieses Puzzles, wie man nun eine kommerziell erfolgreiche Musikproduktion gestalten kann, ohne dass damit nun Tonträgerverkäufe in der Form verbunden sind, wie wir es kannten, das ist eine Aufgabe für die zukünftigen Generationen – ich kenne die Antwort leider nicht.
Karkowsky: Sie haben dann in einem Alter, in dem andere Manager vor allem an ihr Golf-Handicap denken, noch mal ein eigenes Plattenlabel gegründet, 1992 haben sie mit ACT nur noch Jazzmusik herausgebracht. War das damals ein Risikounternehmen?
Loch: Ich verdanke meine ganze Karriere und wenn man so will auch dann später meine finanzielle Unabhängigkeit ausschließlich meiner Liebe zum Jazz. Ohne dieses erste Erlebnis wäre ich niemals in diese Branche gekommen. Und nachdem ich nun mit ganz anderen Dingen meinen überschaubaren Wohlstand erreichen konnte und wirtschaftlich unabhängig war, habe ich mich daran erinnert, dass der eigentliche Grund, warum ich in die Musikindustrie gegangen bin, war immer, ich wollte mein eigenes Jazzlabel haben. Und daran habe ich mich erinnert, als ich dann knapp 50 war, und habe gedacht und auch gewusst, wenn ich das jetzt nicht mache, dann werde ich es in diesem Leben nicht mehr schaffen, und hab dann den Sprung gemacht aus der Chefetage von Warner, aus dem Wolkenkratzer in New York eben in die Unabhängigkeit als unabhängiger Schallplattenproduzent.
Ein Lernprozess, der eine Weile gedauert hat, bis ich es begriffen hab, wie es funktioniert, aber letztlich mach ich es schon fast 20 Jahre und bin äußerst glücklich darüber, weil alles, was ich mit Musik heute zu tun habe, ist nicht irgendwelchen Kriterien oder Steuerungen von außen ausgesetzt, sondern entspricht einfach dem, was ich will. Und das, was ich will, kann ich hier durchsetzen, und das ist eine große Erfüllung.
Karkowsky: Und Sie haben Hits gelandet im Jazz, unter anderem mit dem Esbjörn Svensson Trio, das wir zum Abschluss unseres Gespräches noch einmal hören, mit "The Rube Thing", und während wir das hören, sag ich schon mal tschüss, vielen Dank, dass Sie da waren bei uns, Siggi Loch, der heute 70 Jahre alt wird.
Loch: Danke für die Einladung!