Der Mauerfall verhinderte das Schlimmste

Von Udo Scheer · 11.03.2012
Mit achtzehn wurde Hans-Georg Aschenbach Junioreneuropameister und als einer der jüngsten Skispringer in den Nationalkader des Armeesportklubs Oberhof berufen. Jetzt hat die Skisprung-Legende eine Autobiografie geschrieben, das als gesamtdeutsches Buch gesehen werden kann.
Schon als Kind übt Skispringen eine magische Anziehung auf Hans-Georg aus, den alle "Hansi" hänseln, und der als Kleinster im Sportunterricht immer in der Reihe hinten stehen muss. Er bewundert die Sportler des Armeesportklubs, die in seinem Heimatort, dem thüringischen Brotterode trainieren.

Sein Talent bringt ihn als Zwölfjährigen in die Kinder- und Jugendsportschule Zella-Mehlis. Das bedeutet sechs Jahre lang Internat, nur selten Familie, dafür systematischer Leistungsaufbau mit mindestens drei Trainingseinheiten pro Tag. Aschenbach wird zum Einzelgänger und akzeptiert, dass nicht Kollektivgeist, sondern Konkurrenzdenken gefördert wird.

"Ausgebildet wurde ich nach militärischen Maßstäben - meine Waffen waren meine Skier. Der offizielle politische Auftrag, der uns DDR-Sportler später zugetragen wurde - Diplomaten in Trainingsanzügen zu sein - verharmloste und bagatellisierte das, was inoffiziell von uns verlangt wurde. Wir waren Krieger, eingesetzt an der politischen Front."

Aber Aschenbach erzählt auch andere Episoden, wie die über den besonderen Kick, sich von der Schwerkraft zu lösen, die er als Siebzehnjähriger einmal so erlebte:

"Glücklicherweise landete, beziehungsweise schlug ich halbwegs würdevoll auf. Das war bei achtundvierzig Metern. Danach rutschte ich den Hang wie auf Schlittschuhen hinunter. Erst am Ende kam ich ins Straucheln."

Mit achtzehn wird Hans-Georg Aschenbach Junioreneuropameister und als einer der jüngsten Skispringer in den Nationalkader des Armeesportklubs Oberhof berufen. Das bedeutet bis zu dreißig Wochen Trainingslager vor großen internationalen Wettkämpfen, und die weitgehende Aufgabe eines selbstbestimmten Lebens:

"Natürlich musste ich mich, um Mitglied im Armeesportklub zu werden, zur NVA verpflichten - was ich bedenkenlos tat. Ich bekam sogar schon 600 Mark Sold dafür, dass ich mein Abitur in Uniform zu Ende brachte."

Zuvor wird Aschenbach zu einem vertraulichen Gespräch zu Ludwig Schröder, dem Generalsekretär des Skiverbandes der DDR, beordert. Ihm wird eröffnet, "Unterstützende Mittel" gehörten künftig zum Trainingskonzept, um sein Leistungspotenzial voll auszuschöpfen. Auf seine Frage: Und wenn er Doping ablehne, ist die Auskunft eindeutig: "Bei Nein geht es heim!"

Aschenbach bezweifelt den Nutzen von Oral-Turinabol zum Muskelaufbau für ihre technische Sportart. Aber er nimmt die "blauen Pillen" wie die anderen auch.

Seit 1974 besteht nach dem geheimen Staatsplan 14.25 Dopingzwang für nahezu alle Staatsprofis der DDR. Ihr Auftrag ist es zu siegen, um die Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren.

Für dieses Missbrauchssystem an fast zehntausend Leistungssportlern werden Manfred Ewald, der Präsident des Turn- und Sportbundes und der für die Umsetzung des Dopingprogramms verantwortliche Manfred Höppner im Jahr 2000 vom Berliner Landgericht gerade mal auf Bewährung verurteilt. Diesen Hintergrund sollte man sehen, wenn Aschenbach zu seinen Dopingverstößen die Position vertritt:

"Ich trage Schuld. Aber nicht die alleinige. Es reicht nicht aus, nur die Sportler zur Verantwortung zu ziehen, die Sportler, die von einem Staat, den es heute nicht mehr gibt, dazu gezwungen wurden. Was ist mit den Ärzten, den Sportfunktionären, der Stasi, den Politikern? Trotz dem ich das Doping zugebe, konnte ich bis heute meine Medaillen behalten. Würde man sie mir wegnehmen, würde man mir auch meinen Teil an den Siegen wegnehmen, mir meine Entbehrungen absprechen und letztlich auch den Missbrauch an mir ignorieren."

Dieses Buch ist die klare Abrechnung eines, der seine Privilegien in der DDR ausnutzt, und das auch nicht verheimlicht: An jeden großen internationalen Sieg ist eine Beförderung gekoppelt. Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn darf Aschenbach - wenn auch in der Uniform der NVA - Medizin studieren. Das ist eine neue Herausforderung.

Dennoch wird sein Empfinden immer stärker, fremdbestimmt in einem Käfig zu leben, auch wenn es ein Goldener ist. Als betreuender Arzt der DDR-Nationalmannschaft erhält er 1988 erstmals wieder die Gelegenheit, in die Bundesrepublik zu reisen. Mithilfe eines schon früher geflohenen Freundes kann er sich absetzen.

Danach wird sein Leben zu einem politischen Krimi. Er deckt Dopingpraktiken im DDR-Sport auf, er lebt längere Zeit unter Personenschutz, Anstellung findet er als Sportmediziner in Freiburg.

Doch welches Glück er hat, wird ihm erst nach Einsicht in seine 2000-seitige Stasiakte bewusst. In ihr liest er, wozu dieses System, dass seine Bürger als Eigentum betrachtet, bei einem desertierten Oberstleutnant fähig ist. Aschenbachs geheim gehaltene Telefonnummer ist ausspioniert, das Wohnhaus in Freiburg fotografiert, der Stasimaßnahmeplan sieht vor, den Verräter zu betäuben, ihn zurück zu verschleppen und vor das Militärgericht zu stellen.

Nur der Mauerfall und das Ende der SED-Diktatur verhindern das Schlimmste.

Hans-Georg Aschenbach: Euer Held. Euer Verräter. Mein Leben für den Leistungssport
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012, 191 Seiten
Buchcover: Hans-Georg Aschenbach: "Euer Held. Euer Verräter"
Buchcover: Hans-Georg Aschenbach: "Euer Held. Euer Verräter"© Mitteldeutscher Verlag
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