Der Meister und seine Schüler

Von Jochen Stöckmann |
Mit der famosen "Leipziger Schule" könnte Ende des Semesters Schluss sein, denn der Maler Neo Rauch wird seine Professur an der Hochschule für Grafik und Buchkunst aufgeben - entnervt durch bürokratische Hindernisse der Studienreform. Und auch der einflussreichen "Düsseldorfer Schule" droht Ungemach: Dort, wo bis in die 90er Bernd Becher weltweit erfolgreiche Fotografen ausbildete, verweigert der Akademierektor den Fotografen einen zweiten Lehrstuhl.
"Ich bilde keine Malerinnen und Maler aus, sondern für mich ist schon wesentlich die Gesamtpersönlichkeit. Es hat extreme Fälle gegeben, wo dann über die Arbeit und den Erfolg in der Arbeit eine andere Freiheit, ein anderes Selbstbewusstsein zustande gekommen sind. Das halte ich für ganz wichtig.

Das andere, das bisschen Kunst, das haben wir nebenbei gemacht. Weil es ja gar nicht darum ging, dass sie bei mir eine Nase oder eine Hand lernen sollten."

Um Nase und Hand, um figurative Malerei ging es natürlich auch bei Arno Rink, dem Leipziger Professor: Schließlich kam aus den Reihen seiner Meisterschüler jene "Leipziger Schule", deren Markenzeichen die Abkehr von der Abstraktion war. Allen voran Neo Rauch, der nach kommerziellem Erfolg und kometenhaften Aufstieg zum Künstlerstar 2005 die Professur von Rink an der Hochschule für Grafik und Buchkunst übernahm - und sie im kommenden Jahr wieder abgibt.

Allerdings will Neo Rauch seine Meisterschüler nicht im Stich lassen, sie außerhalb offizieller Lehrverpflichtungen weiter betreuen. Einzelunterricht und individuelle Begabtenförderung, ja: ausdrückliche "Elitenbildung", so sieht er die Rolle des Meisters gegenüber dem Schüler, ganz nach dem Vorbild seines eigenen Lehrers Arno Rink:

"Suche Dich und finde Dich. Das setzt immer voraus, dass man das, was man macht, natürlich auch als sein eigenes versteht und akzeptiert, bei aller Schwierigkeit der Findung. Und da bin ich eigentlich, ja was weiß ich: Ich bin Fallensteller, Moderator, Verärgerer und was weiß ich nicht alles - aber eben auch Papa gewesen. Provozierend, schützend, all das."

Und "Schutz" hatten die Leipziger Meisterschüler zunehmend nötig. Martin Kobe, in den 90er Jahren in Rinks Maler-Klasse, beklagte in einem Interview eine Desorientierung, ausgelöst durch die eilfertige und markschreierische Zuordnung zur "Leipziger Schule" durch die Massenmedien.

Damit hatten auch die "Becher-Schüler" zu kämpfen, jene äußerst erfolgreichen Fotografen, die seit den 70er Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie in der Klasse von Bernd Becher studierten. Monotone Präzision bis zum Exzess, geradezu asketischer Verzicht auf dramatische Lichteffekte - so das Klischee, hinter dem für Andreas Gursky die künstlerische Persönlichkeit, auch der Blick auf mögliche Alternativen zum scheinbar vorgezeichneten Weg des Meisterschülers zu verschwinden droht:

"Mir fällt jetzt gerade Günter Förg ein, der mich Anfang der 80er Jahre sehr beeinflusst hat, der auch sein Leben lang Architektur fotografiert hat mit der Kleinbildkamera. Die Bilder sind vollkommen körnig, es gibt im Detail eigentlich nichts zu entdecken. Aber es funktioniert trotzdem, denn er verfolgt mehr ein strukturelles Interesse.

Ich komme aus der Becher-Tradition, da hat man mehr gelernt vom Stativ zu arbeiten mit der Großbildkamera. Ich bin so geprägt - aber wenn ich bei Günter Förg vielleicht studiert hätte, sähe meine Fotografie heute ganz anders aus."

Mit dieser individuellen "Prägung" aber ist es wohl vorbei: Zu einer nur noch an Studentenzahlen orientierten Hochschulpolitik kommt in Düsseldorf die Eitelkeit eines "Malerfürsten", des Akademierektors Markus Lüpertz. Er weigerte sich, den Becher-Lehrstuhl prominent zu besetzen, verhindert überdies die Aufstockung der Fotoprofessuren.

Mit jeweils fünf und sieben Lehrstühlen dominieren Maler und Bildhauer die vor Jahren noch für ihre Lichtbildkünstler berühmte Akademie.

"Das reicht nicht aus, es müßte auf jeden Fall mindestens eine zweite Professur errichtet werden. Ich werde weiterhin dafür kämpfen. Die Bestrebung von Herrn Lüpertz ist, die Fotografie zu verbannen aus seiner Akademie. Er sagt ja ganz offen: Das ist traditionell eine Malerakademie, und die Fotografie soll nach Köln gehen. Ich finde das verantwortungslos.

Was die Becher-Klasse angeht: Es war ganz wichtig, dass wir im Akademie-Umfeld groß geworden sind, also dass ein Austausch mit Malern und Bildhauern stattgefunden hat. Die Fotografie jetzt auf Fachhochschulen und Gesamthochschulen einzuquartieren, das ist absolut der falsche Weg."

Ein Holzweg, auf dem etwa die jüngst erfolgreiche Zeichnerin Jorinde Voigt hätte scheitern müssen. Sie war Meisterschülerin bei Katharina Sieverding, einer - wenn man es denn überhaupt definieren will - Fotografin. Andererseits gibt es Maler wie Norbert Bisky, dessen eigenständiger Erfolg die Erwähnung seiner Lehrjahre bei Georg Baselitz längst überflüssig gemacht hat. Oder Eberhard Havekost, der von den Medien keinem einzelnen Lehrer zugerechnet wird, sondern als Galionsfigur einer neu ausgerufenen "Dresdner Schule" dient.

Über Sinn und Ursache solcher Stammbäume hat sich Götz Diergarten, einer der letzten Becher-Schüler, des öfteren Gedanken gemacht - konfrontiert mit dem "Struffsky"-Phänomen, dem Etikett für Struth, Ruff und Gursky, die drei Foto-Stars aus Düsseldorf:

"Ein windiger, guter Galerist hat das in die Hand genommen und promotet - und das läuft von selbst. Weil man dem einen Namen gegeben hat und weil es greifbar ist und einfach einzutüten ist. Man hat es als dritte Generation nicht einfach, nachdem so viele Struffsky und Höfers und Sasses schon ganz tief drin sind, da noch anzuschließen."

Die Künstler-Schulen, so scheint es, leiden an ihrem eigenen Erfolg, drohen sich im hochtourigen Kreislauf der Markmechanismen zu erschöpfen. Und manch einem Meister-Schüler ist es mittlerweile wichtiger, die eigene Biografie aufzupolieren als sich auf die Suche nach dem "Künstler-Ich" zu begeben. Götz Diergarten:

"Es hat einen Bonus, Becher-Schüler zu sein. Das ist in allen kreativen Berufen so, vor allem bei den Architekten: Ich war bei Rogers oder Foster, habe mich da zwei Jahre ausbeuten lassen, aber ich habe das im Lebenslauf. Das ist in der Kunst ähnlich."