Der Meisterregisseur als Meisterfälscher

Moderation: Britta Bürger |
"Alles, was mit Kino zu tun hat, mache ich gerne", sagt der Regisseur Werner Herzog. Deshalb liegt ihm auch die Ausbildung des Filmnachwuchses am Herzen: In seiner "Schurkenschule" zeigt Herzog u.a., wie man eine Drehgenehmigung fälscht. In Berlin erhält Herzog jetzt die "Goldene Lola" für sein Lebenswerk.
Britta Bürger: In Deutschland identifiziert man den Filmemacher Werner Herzog mit seinen älteren Filmen: "Fitzcarraldo", "Aguirre, der Zorn Gottes", "Cobra Verde" und "Nosferatu – Phantom der Nacht". Auch mit der Dokumentation "Mein bester Feind", die die exzessiven Kämpfe mit dem Schauspieler Klaus Kinski spiegelt.

Die vielen Filme allerdings, die Herzog in den vergangenen 20 Jahren gedreht hat, haben ihn vor allem in den USA zum Star gemacht, zum bekanntesten und anerkanntesten Regisseur aus Deutschland.

Als Werner Herzog zuletzt bei uns zu Gast war, da hat er gesagt, dass er eigentlich nichts von Filmpreisen halte – Wettbewerbe passten eher zu Landwirtschaftsausstellungen, wo am Ende Preisrinder gekürt werden. Nun bekommt er heute Abend in Berlin den Deutschen Filmpreis für seine hervorragenden Verdienste um den deutschen Film – ein Ehrenpreis für sein Lebenswerk.

Ich habe Ihn gefragt, ob das also eher eine skurrile Veranstaltung für ihn ist oder eine Entschädigung –vielleicht auch Entschuldigung – dafür, dass seine vielen Filme der letzten Jahre in Deutschland nicht ausreichend wahrgenommen und gewürdigt wurden.

Werner Herzog: Ich glaube, wir sollten das Ganze nicht so sehr jetzt überfrachten und das ganz unvorbelastet anschauen. Ich freue mich drauf, und zwar deswegen, weil ja Legionen von Mitarbeitern, die an diesen Filmen ja auch mitgearbeitet haben, teilhaben. Für die nehme ich das ja mit. Und es ist außer Zweifel für mich, dass sich im Moment das Interesse von breiterem Publikum und damit auch von Medien wieder auf meine Filme zurückverlagert. Und das nehme ich ernst, und es wäre ja ein Affront, wenn ich jetzt sagen würde: Nein, das nehme ich nicht an.

Bürger: Wie intensiv nehmen Sie in den USA – Sie leben seit 18 Jahren in Los Angeles – wahr, wie intensiv verfolgen Sie, was in Europa, was in Deutschland passiert?

Herzog: Politisch bin ich sehr, sehr hellwach, aber Kino sehe ich fast nichts, weder US-Kino noch chinesisches Kino noch deutsches Kino. Ich sehe fast keine Filme, das war aber immer schon so, vielleicht zwei oder drei Filme pro Jahr. Es ist was anderes, ich lese – ich lese wirklich viel.

Bürger: Welchen guten Film – in Ihren Augen guten Film – haben Sie aber zuletzt gesehen? Einige schauen Sie ja.

Herzog: Ich habe zum Beispiel einen vollkommen außerordentlichen Film nicht nur gesehen, sondern in der Arbeit auch beraten, begleitet: "The Act of Killing" - ich kenne nur den englischen Titel - von einem jungen Engländer, Joshua Oppenheimer, der lief hier auf der Berlinale, ich glaube, im Panorama. Und dieser junge Mann, der wollte unbedingt sich treffen mit mir, in London war ich damals, und ich war gerade auf dem Weg zum Flugplatz und war zehn Minuten mit ihm zum Frühstück gesessen, und er klappte seinen Laptop auf und zeigte mir acht Minuten von Material. Und ich dachte: So was habe ich ja überhaupt noch nicht gesehen – das ist ja unfassbar!

... da gibt es sehr, sehr viele junge Leute, die auf mich zukommen und von mir Rat haben wollen oder lernen wollen oder Assistent bei mir sein wollen. Und ich versuche auf diese Riesenlawine, die da auf mich zukommt, systematisch jetzt zu arbeiten dadurch, dass ich zum Beispiel meine eigene Filmschule eröffnet habe, die Schurken-Filmschule, The Rogue Film School, und da kommt in dem Moment, wo ich eine Ankündigung mache, eine Riesenlawine an Bewerbungen.

Bürger: Was wollen Sie in diesem Seminar – wenn ich das richtig verstanden habe, sind das ja ... ist das kein Gebäude, sondern es sind Workshops, die Sie anscheinend anbieten –, was wollen Sie in diesen Seminaren den Filmstudenten, den Schurken, wie Sie sagen, beibringen?

Herzog: Da müssten wir viel Zeit haben, um das klarzulegen, aber ganz verkürzt: Eine wirkliche Alternative zu dem, was normalerweise sich in Filmproduktionen anbietet – wie macht man das, und welche kriminelle Energie notfalls müssen sie auch dazu entwickeln? Ich bringe in der ersten halben Stunde gleich bei, wie sie eine Drehgenehmigung fälschen. Und ich habe erst vor Kurzem, bevor sich Myanmar oder Burma politisch geöffnet hat und rabiate Militärdiktatur war, ich habe in Burma gedreht mit einer wunderbaren Drehgenehmigung, die von den Militärbehörden auch genehmigt und unterschrieben waren. Und jetzt schauen Sie mal geradeaus und schauen Sie in mein Gesicht und fragen Sie, woher stammte denn diese Drehgenehmigung: aus meiner Fälscherwerkstatt!

Bürger: Heißt das, die Studenten, oder die Filmenthusiasten, die in diese Seminare kommen, sind auch international, kommen aus aller Welt?

Herzog: Ja, ja, inklusive im letzten war eine junge Tuareg-Frau da, die einen außergewöhnlich schönen und merkwürdigen und nie gesehenen Film mir geschickt hat, aus Brasilien kommen viele, Südkorea, USA natürlich auch, Norwegen oder Skandinavien generell. Aber eigentlich von überall her, deswegen mache ich normalerweise diese Seminare in irgendeinem Flugplatzhotel, in einem billigen, wo ich den Preis ganz dramatisch herunterhandle, weil zum Beispiel in London oder in New York kann ja niemand von denen wohnen, das kostet dann gleich solche Summen an Geld. Aber ich könnte auch meine Filmschule in einem aufgelassenen Steinbruch im Mecklenburgischen machen. Das ginge auch.

Bürger: Wenn heute Abend der Deutsche Filmpreis vergeben wird, wird der Regisseur Werner Herzog mit dem Ehrenpreis für seine hervorragenden Verdienste um den deutschen Film gewürdigt. Zuvor hat er sich Zeit genommen für unser Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur. Zuletzt waren Sie, Herr Herzog, bei uns im Kino zu sehen als Schauspieler in dem Actionkrimi "Jack Reacher" mit Tom Cruise. Was ziehen Sie für sich aus der Schauspielerei? Da müssen Sie sich ja Filmkonzepten unterordnen in einer Art und Weise, wie Sie selbst wahrscheinlich diese Filme nie drehen würden.

Herzog: Ich habe überhaupt kein Problem damit, mich einem Regisseur unterzuordnen, einer anderen Vision. Ich habe überhaupt kein Problem damit, in einem amerikanischen Actionfilm mitzutun. Das hat richtig Freude gemacht, auch vor allem, weil ich den bösartigsten aller Schurken spielen durfte. Die brauchten jemanden, der schreckenserregend daherkam, bevor er überhaupt spricht. Und da hatten die keinen gefunden, die haben verschiedene wirklich gute Schauspieler durchprobiert, und das war alles wohl nichts, aber dann sind sie darauf gekommen, dass ich in anderen Filmen Rollen gespielt habe, wo ich extrem feindselig und gemeingefährlich und fies daherkomme, und das fällt mir leicht vor der Kamera.

Bürger: Warum?

Herzog: Das weiß ich nicht, ich bin persönlich absolut nicht so, aber ...

Bürger: Das wirkt auch nicht so.

Herzog: Nein, das fällt mir sehr leicht, und ich kann es vielleicht so sagen, alles, was mit Kino zu tun hat, mache ich gerne. Das heißt, Drehbücher schreiben, Regie machen, Schnitt, Produktion, als Schauspieler arbeiten, meine eigene Filmschule machen, und, und, und – alles!

Bürger: Sie sind talentiert im Multitasking - gerade haben Sie in Rom eine Oper inszeniert, und ich habe gelesen, es sind wohl vier fast fertige Filme in der Pipeline. Woran arbeiten Sie denn jetzt im Moment am intensivsten?

Herzog: An drei, vier Projekten – was immer zuerst finanziert ist, wird dann zuerst gemacht. Ich übertreibe jetzt, muss ich sagen und gestehen. Vier Filme heißt, das sind einstündige Filme nur.

Bürger: Und was sind das für Filme?

Herzog: Das sind Filme, die in Texas im Todestrakt gedreht wurden, mit Menschen, die vor der Exekution stehen.

Bürger: Dokumentarfilme?

Herzog: Ja. Und das ist natürlich etwas, wo Sie in tiefe Abgründe hineinschauen, also so tief, dass Ihnen eher schwindlig wird, sowohl der Cutter wie auch ich haben, während wir an den Filmen geschnitten haben, wieder zu rauchen angefangen. Das heißt, die Filme sind sehr, sehr, sehr intensiv. Und ich habe ja immer intensive Filme gemacht, aber das muss ich jetzt auch aufhören, das waren jetzt vier Filme und davor schon ein paar, das schlägt sich sonst zu sehr aufs Gemüt.

Bürger: Sie haben sich als Viel-Leser beschrieben. Welches Buch liegt auf dem Nachttischstapel oder Sofastapel gerade ganz oben?

Herzog: Ich kenne das nur in der englischen Originalfassung: "The Peregrine", über Wanderfalken von J. A. Baker, völlig unbekannter Mann, der hat 1967, als er das Buch herausbrachte, Wanderfalken beobachtet, die in England damals am Aussterben waren – heute hat sich die Population wieder etwas erholt – und beschreibt das mit einer solchen unglaublichen Genauigkeit und mit einer Begeisterung und Glut und Inbrunst, fast ekstatisch verwandelt er sich manchmal in seiner Prosa selbst in einen Falken, das ist auch die schönste Prosa, die ich gelesen habe seit vielleicht Joseph Conrad oder verschiedene Sachen von Hemingway vielleicht.

Und ich rate das jedem, der Filme machen will, diese Genauigkeit, hinzuschauen, und diese tiefe Ergriffenheit und Liebe zu dem, was wir beobachten – das muss ja nicht jetzt ein Wanderfalke sein, das ist die Welt selbst, die Erfahrung mit der Welt –, wer das so macht, kann wirklich dann auch bessere Filme machen als jeder, der nur in YouTube herumsitzt.

Bürger: Öffnet die Literatur Ihr Kino im Kopf?

Herzog: Nein, aber ich bin durch Lesen immer wieder auch in völlig anderen Welten, denke mit völlig anderen Köpfen, verstehe Dialoge besser, verstehe Erzählungsabläufe besser, Kino ist ja Geschichtenerzählen, und als Geschichtenerzähler bin ich ja gut. Das mache ich besser als viele, die in Hollywood arbeiten, da ist ja hauptsächlich Star Value, also der Wert von großen Filmstars und digitale Effekte. Große Geschichten erzählen, das ist etwas vernachlässigt, und deswegen bewegt sich ja auch ein Teil der Aufmerksamkeit auf meine Art, Kino zu machen, hin.

Bürger: Heute Abend bekommt Werner Herzog den Deutschen Filmpreis für seine hervorragenden Verdienste um den deutschen Film. Herr Herzog, herzlichen Dank für das Gespräch!

Herzog: Danke auch, ich gehe da heute Abend durch und werde das mit viel Freude überstehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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