Der Mensch aus der Retorte
Vermutlich macht der Mensch gerade einen entwicklungsgeschichtlichen Sprung, der mit nichts in seiner bisherigen Evolution und Geschichte vergleichbar ist. Die Erfolge der modernen Biotechnik sind atemberaubend - und beängstigend.
Denn der Mensch fängt an, die Natur - sogar seine eigene menschliche Natur! - biotechnisch zu manipulieren und umzubauen. Es könnte sein, dass der Mensch, so wie wir ihn kennen, und der wir sind, dabei verschwindet - zugunsten evolutionär besser angepasster, weil biotechnisch optimierter Menschen aus der Retorte.
Unter den heutigen Schriftstellern von Rang ist Michel Houellebecq einer der wenigen, die das Thema des kommenden Retorten-Menschen literarisch überzeugend behandelt haben. In seinen Romanen "Elementarteilchen" und "Die Möglichkeit einer Insel" entwirft er ein Szenarium des globalen Menschenparks gegen Ende des 21. Jahrhunderts. Dominierend sind in dieser Welt bereits die biotechnisch erzeugten sogenannten Neo-Menschen. Die auf natürliche Weise sich paarenden und fortpflanzenden Alt-Menschen unserer Art gibt es dann zwar noch in Restbeständen, sie haben aber keine Chance im Wettbewerb mit den biotechnisch optimierten neuen Menschen, die nicht nur langlebiger, krankheitsresistenter und intelligenter sind, sondern auch sozial vernünftiger und friedlicher. Und so sterben dann die letzten Vertreter der herkömmlichen Spezies Mensch samt ihrer antiquierten Kultur und Religion langsam aus – wie in unserer Zeit die Yanomami-Indianer.
Dass Houellebecqs Szenarium so oder ähnlich schon in 50 bis 100 Jahren Realität werden könnte, halten wissenschaftliche Zukunftsforscher wie der Franzose Jacques Attali für durchaus möglich. Attali glaubt, die ersten geklonten Neo-Menschen wird es in geringer Zahl sogar schon viel früher geben, aber im globalen Menschenpark werden sie zunächst kaum bemerkt werden. Er glaubt, dass sich der Übergang der menschlichen Gesellschaft von der Naturwüchsigkeit zur biotechnischen Reproduzierbarkeit in einem langen Prozess über mehrere Generationen vollziehen wird.
Demnach kommt es im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts zu einer enormen Zunahme von in-vitro-Zeugungen. Schon im Jahr 2008 gab es weltweit drei bis vier Millionen Kinder, die im Reagenzglas gezeugt wurden! Das jetzt noch verfemte reproduktive und therapeutische Klonen wird nach und nach in einzelnen Ländern zugelassen und sich später weltweit durchsetzen. Überall wird es Ersatzteillager mit nachwachsenden menschlichen Organen geben. Dann wird man den Menschen als "maßgeschneidertes Artefakt mit vorab ausgewählten Merkmalen in künstlichen Gebärmüttern fabrizieren." Schließlich wird man versuchen, den Tod durch fortgesetztes Klonen endlos hinauszuschieben.
Freilich – die Geschichte verläuft nie zwangsläufig. Der Alptraum einer solchen Menschheitsentwicklung muss nicht eintreten, wenn rechtzeitig gegengesteuert wird. Das ist auch die Hoffnung Attalis.
Jedoch: Die meisten Philosophen, Intellektuellen und Künstler haben auf die Herausforderung der biotechnischen Revolution für den Menschen noch kaum reagiert. Wie kommt das?
Vielleicht weil die Vorstellung vom möglichen Ende des Menschen zu deprimierend ist - man verdrängt das. Oder man denkt: Das ist weit weg, jenseits meines Lebenshorizonts. Was soll ich mich damit beschäftigen - und überhaupt: Was ist bis jetzt schon groß passiert in der Biotechnik? Dieses Klonschaf damals, ein paar Retortenbabys, ein künstlich hergestelltes Bakterium von diesem Craig Venter – was bedeutet das schon!
Und Präimplantationsdiagnostik, und Gentransfers in menschliche Embryonen? - Wenn dadurch AIDS oder schwere Erbkrankheiten verhindert werden, ist das doch nicht schlecht, hört man.
Wohl wahr, möchte man sagen – und auch wiederum nicht. Denn die präventive therapeutische Gentechnik könnte zum Einfallstor werden für genetische Optimierungsverfahren, zum Beispiel zur Herstellung sogenannter Designer-Babys.
Was darf Biotechnik, und was darf sie nicht? Darüber bräuchten wir dringend eine breite ethisch-philosophische Bewusstseinsbildung - und eine nachhaltige öffentliche Diskussion. Wir müssten fragen, was wir für die unaufgebbare, unantastbare Substanz des Menschseins halten – und wie wir sie sichern wollen.
Freilich müssten solche Fragen, weil es um die Zukunft des Menschen überhaupt geht, zu einem Anliegen der ganzen Menschheit werden.
Nikolaus German, Autor und freier Journalist. M.A., geboren 1950, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lebt als Autor und freier Journalist in München, schreibt vor allem für "Süddeutsche Zeitung" und "Das Parlament". Zahlreiche Beiträge für Rundfunk und Fernsehen sowie mehrere Dokumentarfilme, darunter "Botschafter der Hoffnung - Sergiu Celibidache in Rumänien", "München unterm Hakenkreuz - Hitlers Hauptstadt der Bewegung", "Max Mannheimer - ein Überlebender aus Dachau".
Unter den heutigen Schriftstellern von Rang ist Michel Houellebecq einer der wenigen, die das Thema des kommenden Retorten-Menschen literarisch überzeugend behandelt haben. In seinen Romanen "Elementarteilchen" und "Die Möglichkeit einer Insel" entwirft er ein Szenarium des globalen Menschenparks gegen Ende des 21. Jahrhunderts. Dominierend sind in dieser Welt bereits die biotechnisch erzeugten sogenannten Neo-Menschen. Die auf natürliche Weise sich paarenden und fortpflanzenden Alt-Menschen unserer Art gibt es dann zwar noch in Restbeständen, sie haben aber keine Chance im Wettbewerb mit den biotechnisch optimierten neuen Menschen, die nicht nur langlebiger, krankheitsresistenter und intelligenter sind, sondern auch sozial vernünftiger und friedlicher. Und so sterben dann die letzten Vertreter der herkömmlichen Spezies Mensch samt ihrer antiquierten Kultur und Religion langsam aus – wie in unserer Zeit die Yanomami-Indianer.
Dass Houellebecqs Szenarium so oder ähnlich schon in 50 bis 100 Jahren Realität werden könnte, halten wissenschaftliche Zukunftsforscher wie der Franzose Jacques Attali für durchaus möglich. Attali glaubt, die ersten geklonten Neo-Menschen wird es in geringer Zahl sogar schon viel früher geben, aber im globalen Menschenpark werden sie zunächst kaum bemerkt werden. Er glaubt, dass sich der Übergang der menschlichen Gesellschaft von der Naturwüchsigkeit zur biotechnischen Reproduzierbarkeit in einem langen Prozess über mehrere Generationen vollziehen wird.
Demnach kommt es im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts zu einer enormen Zunahme von in-vitro-Zeugungen. Schon im Jahr 2008 gab es weltweit drei bis vier Millionen Kinder, die im Reagenzglas gezeugt wurden! Das jetzt noch verfemte reproduktive und therapeutische Klonen wird nach und nach in einzelnen Ländern zugelassen und sich später weltweit durchsetzen. Überall wird es Ersatzteillager mit nachwachsenden menschlichen Organen geben. Dann wird man den Menschen als "maßgeschneidertes Artefakt mit vorab ausgewählten Merkmalen in künstlichen Gebärmüttern fabrizieren." Schließlich wird man versuchen, den Tod durch fortgesetztes Klonen endlos hinauszuschieben.
Freilich – die Geschichte verläuft nie zwangsläufig. Der Alptraum einer solchen Menschheitsentwicklung muss nicht eintreten, wenn rechtzeitig gegengesteuert wird. Das ist auch die Hoffnung Attalis.
Jedoch: Die meisten Philosophen, Intellektuellen und Künstler haben auf die Herausforderung der biotechnischen Revolution für den Menschen noch kaum reagiert. Wie kommt das?
Vielleicht weil die Vorstellung vom möglichen Ende des Menschen zu deprimierend ist - man verdrängt das. Oder man denkt: Das ist weit weg, jenseits meines Lebenshorizonts. Was soll ich mich damit beschäftigen - und überhaupt: Was ist bis jetzt schon groß passiert in der Biotechnik? Dieses Klonschaf damals, ein paar Retortenbabys, ein künstlich hergestelltes Bakterium von diesem Craig Venter – was bedeutet das schon!
Und Präimplantationsdiagnostik, und Gentransfers in menschliche Embryonen? - Wenn dadurch AIDS oder schwere Erbkrankheiten verhindert werden, ist das doch nicht schlecht, hört man.
Wohl wahr, möchte man sagen – und auch wiederum nicht. Denn die präventive therapeutische Gentechnik könnte zum Einfallstor werden für genetische Optimierungsverfahren, zum Beispiel zur Herstellung sogenannter Designer-Babys.
Was darf Biotechnik, und was darf sie nicht? Darüber bräuchten wir dringend eine breite ethisch-philosophische Bewusstseinsbildung - und eine nachhaltige öffentliche Diskussion. Wir müssten fragen, was wir für die unaufgebbare, unantastbare Substanz des Menschseins halten – und wie wir sie sichern wollen.
Freilich müssten solche Fragen, weil es um die Zukunft des Menschen überhaupt geht, zu einem Anliegen der ganzen Menschheit werden.
Nikolaus German, Autor und freier Journalist. M.A., geboren 1950, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lebt als Autor und freier Journalist in München, schreibt vor allem für "Süddeutsche Zeitung" und "Das Parlament". Zahlreiche Beiträge für Rundfunk und Fernsehen sowie mehrere Dokumentarfilme, darunter "Botschafter der Hoffnung - Sergiu Celibidache in Rumänien", "München unterm Hakenkreuz - Hitlers Hauptstadt der Bewegung", "Max Mannheimer - ein Überlebender aus Dachau".