"Der Mensch kann wie ein Teufel sein"
Sex-Exzesse, abgeschlagene Glieder, Ströme von Blut: In Wagners "Tannhäuser"-Oper und der Legende vom Venusberg herrschen brachiale Gewalt und Erotik. Der Tenorsänger René Kollo hat aus dem Stoff nun einen Krimi gemacht.
Dieter Kassel: Wer in ein Plattengeschäft geht und dort nach dem "Tannhäuser" sucht, der stößt schnell auf René Kollo: Es gibt zum Beispiel eine bis heute wegweisende Aufnahme mit ihm in der Titelrolle aus dem Jahr 1970. Ab sofort ist es aber so, dass derjenige, der in ein Buchgeschäft geht und nach "Tannhäuser" sucht, auch auf René Kollo stößt, denn es gibt ab sofort einen Krimi, der inspiriert ist von dieser "Tannhäuser"-Geschichte. Der Krimi heißt "Die Morde des kleinen Tannhäuser" und ist das zweite Buch und der erste Kriminalroman von René Kollo. Nun dürfen Sie drei Mal raten, wo ein Kammersänger und Startenor um diese Zeit wohl gerade steckt. Richtig, er ist in Bayreuth, und da begrüße ich ihn jetzt im Studio der Kollegen vom Bayrischen Rundfunk. Schönen guten Tag, Herr Kollo!
René Kollo: Ja, guten Morgen, hallo!
Kassel: Sie haben in Ihrem Leben so viele Rollen gespielt, gesungen auf der Opernbühne, so viele Opern kennengelernt auch als Akteur. Warum hat sie ausgerechnet der "Tannhäuser" dazu inspiriert, ihren ersten Kriminalroman zu schreiben?
Kollo: Na, ich habe, als ich mich damit beschäftigt habe natürlich, bevor ich das gesungen habe, mit der griechischen Mythologie und mit all diesen Dingen mich auseinandergesetzt. Und habe da doch gerade in der griechischen Antike furchtbar blutige Geschichten gelesen und kennengelernt, denn die griechische Antike besteht ja nur aus Macht und aus Blut und Mord und so weiter, eigentlich wenig Liebe, die darin vorkommt. Und da habe ich immer gedacht, auch mit dieser Version, Wagner hat schon mal darüber geschrieben, ... Der ganze Venusberg in der Pariser Fassung ist natürlich auch eine an sich Eros-Thanatos, also bis zum Mord gehende Lustgeschichte, und irgendwie war das immer in meinem Kopf, dass ich gesagt habe: Bei so viel Blut und so viel Mord, da müsste man eigentlich einen Krimi draus machen. Und das habe ich dann vor über drei Jahren angefangen, habe jetzt drei Jahre daran geschrieben, und jetzt haben wir das Buch herausgebracht.
Kassel: Sie haben es schon gesagt, dieser Eros und Thanatos, diese Erotik. Gerade auch in dem Buch, da sind es ja Verbrechen, verbotene Erotik und das Nicht-davon-lassen-Können – ist das für Sie tatsächlich auch der Kern der Oper, weil andere sehen ja nun eher diesen Sängerwettstreit, der dann im Zentrum steht auf der Wartburg?
Kollo: Nein, der Sängerwettstreit ist nur eine geschichtliche Geschichte, also das war ja im 12. Jahrhundert auf der Wartburg, ich weiß gar nicht, wie der hieß, der Heinrich oder was, der diese Sängerkriege als Fürst veranstaltete damals – nein, das ist glaube ich gar nicht so wichtig. Diese Ambivalenz im Menschen, das hat mich immer interessiert. Der Mensch, der gut ist und liebevoll und humanistisch und wunderbar, und fünf Minuten später wird er zu einem Raubtier, zu einem Mörder schlimmster Sorte, und das hat mich immer interessiert: Wie funktioniert das? Also der Mensch kann wie ein Teufel sein und er kann sehr heilig sein, also vom Papst bis zum Teufel – das ist ja ein sehr spannendes Feld, wie der Mensch aufgebaut ist, denn das ist ja in jedem Menschen drin. Es gibt ja keinen Menschen, der nur einseitig ist.
Kassel: Aber letzten Endes, Herr Kollo, sind – im wahren Leben wie auch in der Fiktion, in Ihrer Fiktion, genauso wie beim "Tannhäuser" – die Bösen oder zumindest die sehr, sehr Ambivalenten am Ende die Interessanteren, oder?
Kollo: Na ja, also sagen wir mal: Natürlich, das Schlimme und wieweit ein Mensch herunterkommen kann, das interessiert automatisch natürlich mehr als jetzt nur das reine Heilige. Aber mich hat immer interessiert ... ist beides: Wie ist der Mensch veranlagt, warum hat er beides? Warum ist er nicht einfach so konstruiert, dass er nur gut ist oder nur böse? Das wäre natürlich viel einfacher. Es wäre auch viel einfacher, herauszubekommen, was der eine oder der andere dann macht. Aber Sie bekommen eben nichts heraus aus einem Menschen, das ist alles versteckt, und das macht den Reiz auch für das, was ich da an Kriminalroman geschrieben habe.
Kassel: Aber ist es nicht so, dass letzten Endes ja, auch wenn wir nicht alles verstehen, alles, was natürlich ist, auch irgendwie Sinn macht? Insofern muss doch dieses Böse auch irgendeinen Sinn haben?
Kollo: Ja, also darüber kann man lange natürlich nachdenken, wieweit das einen Sinn hat, also das ist mir noch nicht so klar geworden. Auf jeden Fall ist es spannend. Es muss wohl so sein, denn es ist ja so eingerichtet, es muss wohl so sein, dass der Mensch wählen soll zwischen Gut und Böse und vielleicht in der Mitte sich ein Leben zurechtmacht, ein Leben, das lebenswert ... auch für die anderen lebenswert macht. Das ist vielleicht der Sinn der Sache. Ich habe es erst mal genommen, diese Ambivalenz, für den Krimi, und wieweit das ... nun, das ist ja ... psychoanalytisch müsste das ja ... das wäre ja eine Aufgabe für Freud, aber das wäre nicht eine Aufgabe für mich als Krimischreiber.
Kassel: Den können wir nicht mehr fragen.
Kollo: Nein, den können wir auch nicht mehr fragen.
Kassel: Herr Kollo, Sie haben ja gesagt, dreieinhalb Jahre haben Sie an diesem Buch gearbeitet. Nun ist es so, dass es den Venusberg, der ja auch im ersten Akt des "Tannhäusers", wo dieser erste Akt spielt – den gibt es ja und den gibt es bis heute, der hat den etwas banalen Namen Hörselberg und ist in der Tat bei Eisenach, am Fuße der Wartburg. Haben Sie, um sich da ... und dort spielt der Krimi, der Krimi spielt in Eisenach und zum kleinen Teil auch in Erfurt. Haben Sie sich da vor Ort wirklich inspirieren lassen?
Kollo: Nein, ich habe mich natürlich durch diese Sage des Venusberges, die Wagner natürlich auch benutzt hat in seinem Stück, inspirieren lassen, also dieser Berg, wo die alten antiken Götter der griechischen, römischen Kultur leben, in diesem Berg und warten, dass der eine christliche Gott endlich wieder verschwindet, und sie dann in ihre Rechte wieder eingesetzt werden. Das ist allein eine spannende Geschichte, weil man ja gar nicht weiß, warum griechische Götter unbedingt in den Hörselberg gekommen sind, also ich meine, das wäre natürlich in Griechenland doch wesentlich schöner gewesen, da hätten sie ja da eigentlich sich einen Berg suchen sollen. Also alle diese Dinge sind natürlich sehr anregend, weil man darüber nachdenkt. Und in diesem Berg passieren die schlimmsten erotischen, na, erotisch kann man nicht sagen, sondern brutalsten sexuellen Geschichten, indem man also sexuelle Exzesse hat bis zum Tod, mit abgeschlagenen Gliedern und mit viel Blut, das herunter rinnt die Wände.
Und das ist natürlich sowieso als Idee schon reizvoll, das wollte Wagner auch, sagen wir mal, in der Pariser Fassung ist das musikalisch zumindest so. Es ist heute noch nie inszeniert worden, denn ich ... es wäre vielleicht ... Wenn man es inszenieren würde, würden die Leute vielleicht richtig rausgehen gleich am Anfang. Es ist eine sehr blutige Geschichte, das heißt, die Erotik und der Sex wird so bis zum Untergang gefeiert oder ausgeführt. Nur geht das bei den Göttern natürlich so, dass sie sofort wieder da sind, ein Gott kann nicht sterben, und die Götter sind sofort, auch wenn sie sich gegenseitig umbringen, sind sie sofort wieder da.
Also alle diese Sachen sind natürlich mit in dieses Buch hineingeflossen, und auch, als ich den "Tannhäuser" damals studiert habe und dann gesungen habe, hat mich das immer inspiriert, weil es von Wagner darüber Aussagen gibt über den abgerissenen Kopf des Orpheus, der zerrissen wird, alle Glieder werden abgerissen und geschmissen in einen Wasserfall von Blut – also diese ganze griechische Antike ist eine sehr bloody story, und ich habe immer gedacht, also wenn das schon so blutig ist, dann ... Eigentlich müsste man daraus einen Krimi machen.
Kassel: Was Sie gemacht haben, und Sie haben auch nicht nur in Bezug auf das Blut, sondern auch in Bezug auf die Sexualität und den sexuellen Druck, den manche da empfinden, kann man sagen, beim Schreiben kein Blatt vor den Mund genommen, sagen wir mal, keine Schonzeilen eingefügt. Es gibt eine Stelle, wo eine Ihrer Hauptfiguren, Sebastian Baumgarten, in seinem Zimmer sitzt, die "Tannhäuser"-Oper hört über seine Stereoanlage von CD und dabei sexuell erregt wird und am Ende sogar masturbiert. Ist denn die Musik ohne den Text, ohne die Handlung, ist die Musik von Wagner für Sie tatsächliche etwas, wo auch zum Teil so brachiale Erotik drin ist?
Kollo: Ja, also auf jeden Fall ist das Vorspiel, das Pariser Vorspiel ... Es gibt ja zwei Fassungen, und er wollte ja immer noch eine neue schreiben, die Dresdner Fassung und die Pariser Fassung, und die Pariser Fassung, wenn Sie sich die anhören – das ist ein Aufpeitschen und eine absolute sexuelle Geschichte auch. Und es ist ja gerade diese Sache, Eros und Thanatos, bis in den Tod hinein den Sex auszuleben, sich und auch andere ... Das ist eine furchtbare, grauenhafte Geschichte, aber für mich war das sehr anregend, daraus eine Geschichte zu machen, die ja im Buch ... Natürlich passiert da manches Grauenhafte vielleicht auch, aber es passiert im Buch ja auch sehr viel Poetisches, und es sind ja doch Momente drin, die für mich gesehen sehr romantisch und poetisch sind. Also es ist eine, auch da eine Ambivalenz von Grauen und doch menschlich schönen Momenten.
Kassel: Absolut. Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit dem Tenorsänger, aber inzwischen auch Krimiautor René Kollo. Und wenn Sie nun in Bayreuth sind – ich weiß, Sie haben die Premiere nicht gesehen, die Neuinszenierung des "Tannhäusers", die vorgestern Nachmittag die Festspiele eröffnet hat, aber wenn Sie nun in Bayreuth sind, müssen wir trotzdem darüber reden, wie denn der "Tannhäuser" heutzutage wirklich aussieht auf der Bühne. Sie haben ja schon erklärt, es gab die relativ harmlose Dresdner Fassung historisch gesehen, die Pariser Fassung, die heute in aller Regel aufgeführt wird. Wagner hat eine dritte immer angekündigt, die er am Ende nie mehr geschrieben hat. Die Aufführungen, die es heute gibt, diese teuflische Erotik und das Brave, diese Mischung, Sie nennen das manchmal in Ihrem Buch das Apollinische und das Dionysische – ist das in den Aufführungen, die Sie in den letzten Jahren erlebt haben, drin?
Kollo: Also mir zu wenig, mir zu wenig. Hier geht es ja, ich sage, was Sie gesagt haben, um den Sängerwettstreit – der Sängerwettstreit ist nur eine theatralische Geschichte, innerhalb derer hat ja mit dem Stoff auch ... Deswegen wollte Wagner das ja immer umschreiben, weil er nicht zufrieden war mit der dramaturgischen Geschichte, die er da als Jugendlicher doch fast noch geschrieben hatte. Nein, es muss viel, viel mehr diese, eben diese Ambivalenz, dieses Grauenhafte, was der Mensch in sich hat und dann aus diesem Ganzen herausbrechen will wieder auf die andere Seite, zu einer Heiligkeit, also das müsste viel mehr herausgearbeitet werden. Ich habe die Premiere hier nicht gesehen, ich habe nur gehört davon, dass zum ersten Mal in Bayreuth – und das empört uns eigentlich ziemlich – Striche gemacht wurden, dass also der Dirigent und die Sänger und was weiß ich, der Regisseur, Wagner zusammengestrichen haben. Und so was hat es in Bayreuth überhaupt nicht gegeben, weil gerade hier immer das Gesamtwerk aufgeführt wurde ohne jeden Strich. Das haben wir bisher jedenfalls so gemacht, es war eigentlich ein Abkommen, über das man gar nicht redete. Jetzt sind ganze Teile aus dem "Tannhäuser" gestrichen und ich weiß nicht, mit welcher Frechheit man das tut. Das ist einfach unglaublich.
Kassel: Herr Kollo, ganz zum Schluss noch mal zu Ihrem Buch, wir haben ja darüber gesprochen, Sie haben so viele Opernrollen erlebt: Werden Sie möglicherweise zum Serientäter, also war der "Tannhäuser" noch der Anfang? Werden Sie jetzt was schreiben über Morde bei der Hochzeit des Figaro?
Kollo: Nein, nein, ich werde kein Serientäter und habe auch ... Das Buch, an dem ich jetzt arbeite, ein neues Buch – ich will darüber noch nicht reden, weil es noch nicht fertig ist – hat ein ganz anderes Thema. Nein, mich muss etwas begeistern, dann kann ich das schreiben, aber ich kann nicht jetzt auf Druck zehn Krimis schreiben. Das wird glaube ich nichts werden. Ich mache ja, wenn ich das noch sagen darf vielleicht für die Zuhörer, Lesungen mit Gesang, das heißt, ich lese aus dem Buch, und singe aus dem "Tannhäuser" dazwischen immer, und habe einen Pianisten dabei, und wir haben das gerade gestern hier in Bayreuth gemacht. Die Leute waren also sehr enthusiasmiert, und wir haben das nächste am 5. August in Darmstadt, bei den Darmstädter Residenzfestspielen.
Kassel: Und ansonsten kann man es natürlich, muss man sagen, der große Kammersänger René Kollo hat natürlich auch ganz modern inzwischen eine eigene Homepage im Internet, wo man das alles auch nachgucken kann, wo Sie noch auftreten. Ich muss Ihnen sagen, wenn ich Krimiautor wäre, wäre ich beunruhigt, denn damit legen Sie die Latte natürlich hoch: Man muss nicht mehr lesen, man muss auch noch als ausgebildeter Tenor die Hauptrolle nebenher singen. Das können Ihnen glaube ich die anderen nicht unbedingt nachmachen. Herr Kollo, es war ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden und ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Kollo: Es war ein Vergnügen auch mit Ihnen. Herzlichen Dank dafür!
Kassel: Danke schön, auf Wiederhören! René Kollo war das live aus Bayreuth, unter anderem über sein neues Buch "Die Morde des kleinen Tannhäuser" heißt es, und im Lau-Verlag ist es erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
René Kollo: Ja, guten Morgen, hallo!
Kassel: Sie haben in Ihrem Leben so viele Rollen gespielt, gesungen auf der Opernbühne, so viele Opern kennengelernt auch als Akteur. Warum hat sie ausgerechnet der "Tannhäuser" dazu inspiriert, ihren ersten Kriminalroman zu schreiben?
Kollo: Na, ich habe, als ich mich damit beschäftigt habe natürlich, bevor ich das gesungen habe, mit der griechischen Mythologie und mit all diesen Dingen mich auseinandergesetzt. Und habe da doch gerade in der griechischen Antike furchtbar blutige Geschichten gelesen und kennengelernt, denn die griechische Antike besteht ja nur aus Macht und aus Blut und Mord und so weiter, eigentlich wenig Liebe, die darin vorkommt. Und da habe ich immer gedacht, auch mit dieser Version, Wagner hat schon mal darüber geschrieben, ... Der ganze Venusberg in der Pariser Fassung ist natürlich auch eine an sich Eros-Thanatos, also bis zum Mord gehende Lustgeschichte, und irgendwie war das immer in meinem Kopf, dass ich gesagt habe: Bei so viel Blut und so viel Mord, da müsste man eigentlich einen Krimi draus machen. Und das habe ich dann vor über drei Jahren angefangen, habe jetzt drei Jahre daran geschrieben, und jetzt haben wir das Buch herausgebracht.
Kassel: Sie haben es schon gesagt, dieser Eros und Thanatos, diese Erotik. Gerade auch in dem Buch, da sind es ja Verbrechen, verbotene Erotik und das Nicht-davon-lassen-Können – ist das für Sie tatsächlich auch der Kern der Oper, weil andere sehen ja nun eher diesen Sängerwettstreit, der dann im Zentrum steht auf der Wartburg?
Kollo: Nein, der Sängerwettstreit ist nur eine geschichtliche Geschichte, also das war ja im 12. Jahrhundert auf der Wartburg, ich weiß gar nicht, wie der hieß, der Heinrich oder was, der diese Sängerkriege als Fürst veranstaltete damals – nein, das ist glaube ich gar nicht so wichtig. Diese Ambivalenz im Menschen, das hat mich immer interessiert. Der Mensch, der gut ist und liebevoll und humanistisch und wunderbar, und fünf Minuten später wird er zu einem Raubtier, zu einem Mörder schlimmster Sorte, und das hat mich immer interessiert: Wie funktioniert das? Also der Mensch kann wie ein Teufel sein und er kann sehr heilig sein, also vom Papst bis zum Teufel – das ist ja ein sehr spannendes Feld, wie der Mensch aufgebaut ist, denn das ist ja in jedem Menschen drin. Es gibt ja keinen Menschen, der nur einseitig ist.
Kassel: Aber letzten Endes, Herr Kollo, sind – im wahren Leben wie auch in der Fiktion, in Ihrer Fiktion, genauso wie beim "Tannhäuser" – die Bösen oder zumindest die sehr, sehr Ambivalenten am Ende die Interessanteren, oder?
Kollo: Na ja, also sagen wir mal: Natürlich, das Schlimme und wieweit ein Mensch herunterkommen kann, das interessiert automatisch natürlich mehr als jetzt nur das reine Heilige. Aber mich hat immer interessiert ... ist beides: Wie ist der Mensch veranlagt, warum hat er beides? Warum ist er nicht einfach so konstruiert, dass er nur gut ist oder nur böse? Das wäre natürlich viel einfacher. Es wäre auch viel einfacher, herauszubekommen, was der eine oder der andere dann macht. Aber Sie bekommen eben nichts heraus aus einem Menschen, das ist alles versteckt, und das macht den Reiz auch für das, was ich da an Kriminalroman geschrieben habe.
Kassel: Aber ist es nicht so, dass letzten Endes ja, auch wenn wir nicht alles verstehen, alles, was natürlich ist, auch irgendwie Sinn macht? Insofern muss doch dieses Böse auch irgendeinen Sinn haben?
Kollo: Ja, also darüber kann man lange natürlich nachdenken, wieweit das einen Sinn hat, also das ist mir noch nicht so klar geworden. Auf jeden Fall ist es spannend. Es muss wohl so sein, denn es ist ja so eingerichtet, es muss wohl so sein, dass der Mensch wählen soll zwischen Gut und Böse und vielleicht in der Mitte sich ein Leben zurechtmacht, ein Leben, das lebenswert ... auch für die anderen lebenswert macht. Das ist vielleicht der Sinn der Sache. Ich habe es erst mal genommen, diese Ambivalenz, für den Krimi, und wieweit das ... nun, das ist ja ... psychoanalytisch müsste das ja ... das wäre ja eine Aufgabe für Freud, aber das wäre nicht eine Aufgabe für mich als Krimischreiber.
Kassel: Den können wir nicht mehr fragen.
Kollo: Nein, den können wir auch nicht mehr fragen.
Kassel: Herr Kollo, Sie haben ja gesagt, dreieinhalb Jahre haben Sie an diesem Buch gearbeitet. Nun ist es so, dass es den Venusberg, der ja auch im ersten Akt des "Tannhäusers", wo dieser erste Akt spielt – den gibt es ja und den gibt es bis heute, der hat den etwas banalen Namen Hörselberg und ist in der Tat bei Eisenach, am Fuße der Wartburg. Haben Sie, um sich da ... und dort spielt der Krimi, der Krimi spielt in Eisenach und zum kleinen Teil auch in Erfurt. Haben Sie sich da vor Ort wirklich inspirieren lassen?
Kollo: Nein, ich habe mich natürlich durch diese Sage des Venusberges, die Wagner natürlich auch benutzt hat in seinem Stück, inspirieren lassen, also dieser Berg, wo die alten antiken Götter der griechischen, römischen Kultur leben, in diesem Berg und warten, dass der eine christliche Gott endlich wieder verschwindet, und sie dann in ihre Rechte wieder eingesetzt werden. Das ist allein eine spannende Geschichte, weil man ja gar nicht weiß, warum griechische Götter unbedingt in den Hörselberg gekommen sind, also ich meine, das wäre natürlich in Griechenland doch wesentlich schöner gewesen, da hätten sie ja da eigentlich sich einen Berg suchen sollen. Also alle diese Dinge sind natürlich sehr anregend, weil man darüber nachdenkt. Und in diesem Berg passieren die schlimmsten erotischen, na, erotisch kann man nicht sagen, sondern brutalsten sexuellen Geschichten, indem man also sexuelle Exzesse hat bis zum Tod, mit abgeschlagenen Gliedern und mit viel Blut, das herunter rinnt die Wände.
Und das ist natürlich sowieso als Idee schon reizvoll, das wollte Wagner auch, sagen wir mal, in der Pariser Fassung ist das musikalisch zumindest so. Es ist heute noch nie inszeniert worden, denn ich ... es wäre vielleicht ... Wenn man es inszenieren würde, würden die Leute vielleicht richtig rausgehen gleich am Anfang. Es ist eine sehr blutige Geschichte, das heißt, die Erotik und der Sex wird so bis zum Untergang gefeiert oder ausgeführt. Nur geht das bei den Göttern natürlich so, dass sie sofort wieder da sind, ein Gott kann nicht sterben, und die Götter sind sofort, auch wenn sie sich gegenseitig umbringen, sind sie sofort wieder da.
Also alle diese Sachen sind natürlich mit in dieses Buch hineingeflossen, und auch, als ich den "Tannhäuser" damals studiert habe und dann gesungen habe, hat mich das immer inspiriert, weil es von Wagner darüber Aussagen gibt über den abgerissenen Kopf des Orpheus, der zerrissen wird, alle Glieder werden abgerissen und geschmissen in einen Wasserfall von Blut – also diese ganze griechische Antike ist eine sehr bloody story, und ich habe immer gedacht, also wenn das schon so blutig ist, dann ... Eigentlich müsste man daraus einen Krimi machen.
Kassel: Was Sie gemacht haben, und Sie haben auch nicht nur in Bezug auf das Blut, sondern auch in Bezug auf die Sexualität und den sexuellen Druck, den manche da empfinden, kann man sagen, beim Schreiben kein Blatt vor den Mund genommen, sagen wir mal, keine Schonzeilen eingefügt. Es gibt eine Stelle, wo eine Ihrer Hauptfiguren, Sebastian Baumgarten, in seinem Zimmer sitzt, die "Tannhäuser"-Oper hört über seine Stereoanlage von CD und dabei sexuell erregt wird und am Ende sogar masturbiert. Ist denn die Musik ohne den Text, ohne die Handlung, ist die Musik von Wagner für Sie tatsächliche etwas, wo auch zum Teil so brachiale Erotik drin ist?
Kollo: Ja, also auf jeden Fall ist das Vorspiel, das Pariser Vorspiel ... Es gibt ja zwei Fassungen, und er wollte ja immer noch eine neue schreiben, die Dresdner Fassung und die Pariser Fassung, und die Pariser Fassung, wenn Sie sich die anhören – das ist ein Aufpeitschen und eine absolute sexuelle Geschichte auch. Und es ist ja gerade diese Sache, Eros und Thanatos, bis in den Tod hinein den Sex auszuleben, sich und auch andere ... Das ist eine furchtbare, grauenhafte Geschichte, aber für mich war das sehr anregend, daraus eine Geschichte zu machen, die ja im Buch ... Natürlich passiert da manches Grauenhafte vielleicht auch, aber es passiert im Buch ja auch sehr viel Poetisches, und es sind ja doch Momente drin, die für mich gesehen sehr romantisch und poetisch sind. Also es ist eine, auch da eine Ambivalenz von Grauen und doch menschlich schönen Momenten.
Kassel: Absolut. Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit dem Tenorsänger, aber inzwischen auch Krimiautor René Kollo. Und wenn Sie nun in Bayreuth sind – ich weiß, Sie haben die Premiere nicht gesehen, die Neuinszenierung des "Tannhäusers", die vorgestern Nachmittag die Festspiele eröffnet hat, aber wenn Sie nun in Bayreuth sind, müssen wir trotzdem darüber reden, wie denn der "Tannhäuser" heutzutage wirklich aussieht auf der Bühne. Sie haben ja schon erklärt, es gab die relativ harmlose Dresdner Fassung historisch gesehen, die Pariser Fassung, die heute in aller Regel aufgeführt wird. Wagner hat eine dritte immer angekündigt, die er am Ende nie mehr geschrieben hat. Die Aufführungen, die es heute gibt, diese teuflische Erotik und das Brave, diese Mischung, Sie nennen das manchmal in Ihrem Buch das Apollinische und das Dionysische – ist das in den Aufführungen, die Sie in den letzten Jahren erlebt haben, drin?
Kollo: Also mir zu wenig, mir zu wenig. Hier geht es ja, ich sage, was Sie gesagt haben, um den Sängerwettstreit – der Sängerwettstreit ist nur eine theatralische Geschichte, innerhalb derer hat ja mit dem Stoff auch ... Deswegen wollte Wagner das ja immer umschreiben, weil er nicht zufrieden war mit der dramaturgischen Geschichte, die er da als Jugendlicher doch fast noch geschrieben hatte. Nein, es muss viel, viel mehr diese, eben diese Ambivalenz, dieses Grauenhafte, was der Mensch in sich hat und dann aus diesem Ganzen herausbrechen will wieder auf die andere Seite, zu einer Heiligkeit, also das müsste viel mehr herausgearbeitet werden. Ich habe die Premiere hier nicht gesehen, ich habe nur gehört davon, dass zum ersten Mal in Bayreuth – und das empört uns eigentlich ziemlich – Striche gemacht wurden, dass also der Dirigent und die Sänger und was weiß ich, der Regisseur, Wagner zusammengestrichen haben. Und so was hat es in Bayreuth überhaupt nicht gegeben, weil gerade hier immer das Gesamtwerk aufgeführt wurde ohne jeden Strich. Das haben wir bisher jedenfalls so gemacht, es war eigentlich ein Abkommen, über das man gar nicht redete. Jetzt sind ganze Teile aus dem "Tannhäuser" gestrichen und ich weiß nicht, mit welcher Frechheit man das tut. Das ist einfach unglaublich.
Kassel: Herr Kollo, ganz zum Schluss noch mal zu Ihrem Buch, wir haben ja darüber gesprochen, Sie haben so viele Opernrollen erlebt: Werden Sie möglicherweise zum Serientäter, also war der "Tannhäuser" noch der Anfang? Werden Sie jetzt was schreiben über Morde bei der Hochzeit des Figaro?
Kollo: Nein, nein, ich werde kein Serientäter und habe auch ... Das Buch, an dem ich jetzt arbeite, ein neues Buch – ich will darüber noch nicht reden, weil es noch nicht fertig ist – hat ein ganz anderes Thema. Nein, mich muss etwas begeistern, dann kann ich das schreiben, aber ich kann nicht jetzt auf Druck zehn Krimis schreiben. Das wird glaube ich nichts werden. Ich mache ja, wenn ich das noch sagen darf vielleicht für die Zuhörer, Lesungen mit Gesang, das heißt, ich lese aus dem Buch, und singe aus dem "Tannhäuser" dazwischen immer, und habe einen Pianisten dabei, und wir haben das gerade gestern hier in Bayreuth gemacht. Die Leute waren also sehr enthusiasmiert, und wir haben das nächste am 5. August in Darmstadt, bei den Darmstädter Residenzfestspielen.
Kassel: Und ansonsten kann man es natürlich, muss man sagen, der große Kammersänger René Kollo hat natürlich auch ganz modern inzwischen eine eigene Homepage im Internet, wo man das alles auch nachgucken kann, wo Sie noch auftreten. Ich muss Ihnen sagen, wenn ich Krimiautor wäre, wäre ich beunruhigt, denn damit legen Sie die Latte natürlich hoch: Man muss nicht mehr lesen, man muss auch noch als ausgebildeter Tenor die Hauptrolle nebenher singen. Das können Ihnen glaube ich die anderen nicht unbedingt nachmachen. Herr Kollo, es war ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden und ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Kollo: Es war ein Vergnügen auch mit Ihnen. Herzlichen Dank dafür!
Kassel: Danke schön, auf Wiederhören! René Kollo war das live aus Bayreuth, unter anderem über sein neues Buch "Die Morde des kleinen Tannhäuser" heißt es, und im Lau-Verlag ist es erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.