Der Messias der Deutschen
Der Mythos von Hitlers bezwingender Ausstrahlung muss kritisch hinterfragt werden, meint Ludolf Herbst. Der Berliner Historiker beschreibt das angebliche Charisma des "Führers" und Diktators vor allem als Propaganda-Coup der Nazis.
Es ist nach wie vor eine der großen Fragen bei der Erforschung der Geschichte des Dritten Reiches: Wie konnte aus einem gescheiterten Kunstmaler und nicht gerade ehrgeizigem Gefreiten im Ersten Weltkrieg einer der größten Menschheitsverbrecher des 20. Jahrhunderts werden? Welche politischen Qualitäten besaß dieser Mann, so dass er bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 mehr als ein Drittel der Stimmen erhielt und von den Deutschen zum angeblich alles überragenden Hoffnungsträger erhoben wurde?
Zwei der renommiertesten Geschichtsschreiber der Gegenwart, der Hitler-Biograf Ian Kershaw und der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler, haben den Aufstieg Hitlers unter anderem mit seiner charismatischen Persönlichkeit zu erklären versucht. Diese These gründet nicht auf psychologischen Analysen. Vielmehr auf einer Kategorie, die der einflussreiche Philosoph und Gesellschaftsanalytiker Max Weber in seiner Herrschaftssoziologie entwickelt hatte: die der charismatischen Herrschaft.
Diese stützt sich auf das Charisma eines herrschenden Menschen, auf eine als "außeralltäglich (…) geltende Qualität einer Persönlichkeit". Diejenigen, die von den scheinbar übernatürlichen Kräften eines Charismatikers sehr beeindruckt sind, können ihn als einen von Gott gesandten Führer verehren. Eine soziale Beziehung wird begründet. Mit der "Veralltäglichung des Charismas" und dem Verlust dieser Bindung zwischen Führer und Untergebenen hört diese Form der Herrschaft auf.
Gewissermaßen als Antwort auf diese einflussreiche und theoretisch fundierte Erklärung für Hitlers große Popularität denkt nun Ludolf Herbst, Zeithistoriker aus Berlin, noch einmal über Hitlers Charisma nach. Nicht ohne Polemik, etwa wenn er behauptet, die Öffentlichkeit könnte dem Mythos um Hitlers Charisma bei allzu leichtfertiger Reflexion ein zweites Mal auf den Leim gehen.
Denn die Idee des charismatischen Führers, so die Überzeugung von Ludolf Herbst, ist nicht mehr als eine Erfindung von Hitler und seiner Entourage. Ein medial äußerst erfolgreicher Coup, der dazu dienen sollte, die "messianischen Erwartungen der Menschen im Deutschland der krisengeschüttelten Zwischenkriegszeit für die NSDAP nutzbar zu machen". Von Haus aus, glaubt Herbst, war Hitler ganz und gar kein Charismatiker.
In seiner Studie verbindet der Historiker einige wichtige biographische Stationen Hitlers mit der frühen Geschichte der NSDAP. Er beschreibt die Politisierung des Wehrmachtsangehörigen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und zeigt, wie sich in einem Dunstkreis verschiedener völkischer und antisemitischer Gruppierungen allmählich die Idee des charismatischen Führers entwickelte. Hitler galt zunächst als eine Sensation in verschiedenen Münchner Salons. Erst nach dem gescheiterten Putsch vom 9. November 1923 und der Veröffentlichung des während der Haft verfassten Bekenntnisbuches "Mein Kampf" wurde er zu einer deutschlandweit politisch wichtigen Figur. Hitler gestaltete die NSDAP zu einer charismatischen Führerpartei und ebnete ihr damit den Weg an die Macht.
Mit einem charismatischen Herrscher nach der Theorie Max Webers hat das laut Ludolf Herbst allerdings nur sehr wenig zu tun. Vor allem, weil diese Form der Herrschaft nach Webers Auffassung sehr fragil und brüchig ist, in reiner Form eher für eine kleine Sekte zutrifft als für eine moderne, bürokratische Massenpartei. Zu dieser aber wurde die NSDAP in den späten Jahren der Weimarer Republik mehr und mehr, weshalb die soziologische Theorie bei der Erklärung von Hitlers Aufstieg dann doch nicht weiter zu helfen scheint.
Was aber dann? Diese Antwort bleibt Ludolf Herbst seinen Lesern schuldig. Insofern ist sein Buch über "Hitlers Charisma" bedauerlicherweise am Ende nicht mehr als ein akademischer Debattenbeitrag. Eine bisweilen etwas sperrige Argumentation, zahlreiche Wiederholungen und zu viel Gelehrtenprosa tragen ebenfalls wenig zur erfüllenden Lektüre bei. Ein charismatisches Buch ist das nicht.
Besprochen von Niels Beintker
Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung des deutschen Messias
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
336 Seiten, 22,95 Euro
Zwei der renommiertesten Geschichtsschreiber der Gegenwart, der Hitler-Biograf Ian Kershaw und der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler, haben den Aufstieg Hitlers unter anderem mit seiner charismatischen Persönlichkeit zu erklären versucht. Diese These gründet nicht auf psychologischen Analysen. Vielmehr auf einer Kategorie, die der einflussreiche Philosoph und Gesellschaftsanalytiker Max Weber in seiner Herrschaftssoziologie entwickelt hatte: die der charismatischen Herrschaft.
Diese stützt sich auf das Charisma eines herrschenden Menschen, auf eine als "außeralltäglich (…) geltende Qualität einer Persönlichkeit". Diejenigen, die von den scheinbar übernatürlichen Kräften eines Charismatikers sehr beeindruckt sind, können ihn als einen von Gott gesandten Führer verehren. Eine soziale Beziehung wird begründet. Mit der "Veralltäglichung des Charismas" und dem Verlust dieser Bindung zwischen Führer und Untergebenen hört diese Form der Herrschaft auf.
Gewissermaßen als Antwort auf diese einflussreiche und theoretisch fundierte Erklärung für Hitlers große Popularität denkt nun Ludolf Herbst, Zeithistoriker aus Berlin, noch einmal über Hitlers Charisma nach. Nicht ohne Polemik, etwa wenn er behauptet, die Öffentlichkeit könnte dem Mythos um Hitlers Charisma bei allzu leichtfertiger Reflexion ein zweites Mal auf den Leim gehen.
Denn die Idee des charismatischen Führers, so die Überzeugung von Ludolf Herbst, ist nicht mehr als eine Erfindung von Hitler und seiner Entourage. Ein medial äußerst erfolgreicher Coup, der dazu dienen sollte, die "messianischen Erwartungen der Menschen im Deutschland der krisengeschüttelten Zwischenkriegszeit für die NSDAP nutzbar zu machen". Von Haus aus, glaubt Herbst, war Hitler ganz und gar kein Charismatiker.
In seiner Studie verbindet der Historiker einige wichtige biographische Stationen Hitlers mit der frühen Geschichte der NSDAP. Er beschreibt die Politisierung des Wehrmachtsangehörigen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und zeigt, wie sich in einem Dunstkreis verschiedener völkischer und antisemitischer Gruppierungen allmählich die Idee des charismatischen Führers entwickelte. Hitler galt zunächst als eine Sensation in verschiedenen Münchner Salons. Erst nach dem gescheiterten Putsch vom 9. November 1923 und der Veröffentlichung des während der Haft verfassten Bekenntnisbuches "Mein Kampf" wurde er zu einer deutschlandweit politisch wichtigen Figur. Hitler gestaltete die NSDAP zu einer charismatischen Führerpartei und ebnete ihr damit den Weg an die Macht.
Mit einem charismatischen Herrscher nach der Theorie Max Webers hat das laut Ludolf Herbst allerdings nur sehr wenig zu tun. Vor allem, weil diese Form der Herrschaft nach Webers Auffassung sehr fragil und brüchig ist, in reiner Form eher für eine kleine Sekte zutrifft als für eine moderne, bürokratische Massenpartei. Zu dieser aber wurde die NSDAP in den späten Jahren der Weimarer Republik mehr und mehr, weshalb die soziologische Theorie bei der Erklärung von Hitlers Aufstieg dann doch nicht weiter zu helfen scheint.
Was aber dann? Diese Antwort bleibt Ludolf Herbst seinen Lesern schuldig. Insofern ist sein Buch über "Hitlers Charisma" bedauerlicherweise am Ende nicht mehr als ein akademischer Debattenbeitrag. Eine bisweilen etwas sperrige Argumentation, zahlreiche Wiederholungen und zu viel Gelehrtenprosa tragen ebenfalls wenig zur erfüllenden Lektüre bei. Ein charismatisches Buch ist das nicht.
Besprochen von Niels Beintker
Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung des deutschen Messias
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010
336 Seiten, 22,95 Euro