Der Mitteldeutsche Verlag wird 75

Mit Erfolg auch durch die Corona-Krise manövriert

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Verlagschef Roman Pliske in der Bibliothek. Fotografiert 2016 anläßlich des 70-jährigen Bestehens des Mitteldeutschen Verlags.
Verlagschef Roman Pliske sagt, in der Krise hat sich ein vermeintlicher Nachteil als Vorteil erwiesen. © imago / Felix Abraham
Von Niklas Ottersbach |
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Schriftsteller wie Bruno Apitz, Christa Wolf und Günter de Bruyne haben hier veröffentlicht. Der Mitteldeutsche Verlag ist einer von nur noch wenigen ostdeutschen Traditionsverlagen. Mit der Coronapandemie stand auch sein Überleben auf der Kippe.
Es ist kalt beim Mitteldeutschen Verlag in Halle. Die Heizung ist seit ein paar Tagen ausgefallen, aber an die kleinen und großen Widrigkeiten hat sich Roman Pliske mittlerweile gewöhnt. Der Chef sitzt mit blauer Winterjacke in der Verlagsbibliothek. Alle seine elf Mitarbeiter sind noch in Lohn und Brot – trotz Coronakrise und fehlender Leipziger Buchmesse.
Der Mitteldeutsche Verlag bedient vier Sparten: Sachbücher, Kunstbücher, Literatur und Regionales. Ein bisschen was von allem. Genau das war in der Krise ein Vorteil, sagt Pliske.
"Es ist natürlich so gewesen", so Pliske, "dass uns der eigentliche Nachteil, dass man uns nicht auf ein klares Programmfeld festlegen kann – wir sind nicht der hippe Literaturverlag oder wir machen nicht nur Museumskataloge – das war letztendlich ein Vorteil, weil wir unser Standbein und unser Spielbein wechseln konnten."

Auftragsproduktionen für Fachkundschaft

Eine Strategie: Mehr Auftragsproduktionen für eine kleine, aber zahlungskräftige Fachkundschaft. Zum Beispiel hat der Mitteldeutsche Verlag im letzten Jahr einen Dokumentationsband veröffentlicht. Umfang: 1500 Seiten, Gewicht: fünf Kilo.
Es ist eines der schwersten Bücher der Verlagsgeschichte. Der Inhalt: Zerfall und Konservierung von Natursteinen. Die Begleitliteratur für einen geologischen Fachkongress. Es sei nicht die dreistellige Auflage, sondern der Buchpreis, der die Sache für den Mitteldeutschen Verlag interessant mache. Laut Pliske ist es nur ein kleines finanzielles Volumen. Aber dadurch, dass so ein Buch 100 bis 150 Euro kostet, spüle es dann doch wieder Geld in die Kasse.
Dennoch lösen die Auftragsproduktionen ein zentrales Problem nicht: Wie ist das Schaufenster Leipziger Buchmesse zu ersetzen? Vor einem Jahr hatte Pliske das Gefühl, die Bücher des Frühjahrs erscheinen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Eines der Sorgenkinder: ein Bildband über die ehemalige Bergbauregion Mansfelder Land. Herstellungskosten für den Verlag: 12.000 Euro. Dennoch wurde genau dieses Buch zum Überraschungserfolg für den Mitteldeutschen Verlag.
Buchmesse-Besucher amStand des Mitteldeutschen Verlags 
2019 gab es auf der Leipziger Buchmesse noch die Chance, direkt mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Das stellte den Verlagsvertrieb vor neue Herausforderungen.© picture alliance / dpa / Jan Woitas
Pliske erzählt: "Wir dachten: O Gott, Leipzig fällt aus. Das ist eigentlich eines unserer Flaggschiffe gewesen. Wir können im ganz nahen Gebiet irgendwie nicht so richtig anpreisen. Es gibt wenig Buchhandlungen im Mansfelder Land. Man muss irgendwie überlegen, wie kommuniziere ich jetzt. Ausstellungen fielen auch flach. Aber wir haben es geschafft, auch über Vereine, über sehr starkes Engagement von unserem Vertrieb, hier die Bücher innerhalb eines halben Jahres auszuverkaufen."

Stimme des Ostens

So haben sich die Sorgen in Halle verändert. Nicht mehr um den eigenen Verlag, sondern um die Zukunft der Leipziger Buchmesse fürchtet Pliske: Was wird aus ihr, wenn die Verlagslandschaft merkt, es geht auch ohne sie – zumindest bei der Vermarktung von regionalen Büchern wie dem Bildband übers Mansfelder Land?
Einen ähnlichen Erfolg erhofft sich Pliske von der aktuellen MDV-Neuerscheinung: ein Fotoband von Jürgen Matschie über die Lausitz. Er zeigt schwarz-weiß Fotos vom Alltag in der Grenzregion in den vergangenen 40 Jahren. Zum Beispiel Lehrlinge im Montagekombinat Bautzen oder der Abriss der Braunkohlekraftwerke in der Lausitz nach der Wende.
Eine Stimme des Ostens sein, das gehört also nach wie vor zur DNA des Mitteldeutschen Verlags. 1946 ging es los. Damals hat der MDV alles gedruckt, was auf Papier musste: Musiknoten, Kinderbücher, Formulare. In den 1950er-Jahren wurde der Verlag eine der Adressen für junge Gegenwartsliteratur. Was auch daran lag, dass es mutige Verleger wie Heinz Sachs gab, die sich bis an den Rand der Zensur gewagt haben.
Auch der spätere Verlagsleiter Eberhard Günther hatte da seine Methoden. Pliske erinnert sich: "Eberhard Günther hat mir eine schöne Geschichte erzählt. Es war ein interessanter Handel. Die Zensurstelle hat zum Beispiel 40 Stellen bemerkt und angestrichen und davon waren 30 gestrichen oder verändert und zehn durften dann trotzdem durchgehen."
Verlagsleiter Günther ist eine ambivalente Figur. Schließlich war er ein Stasi-Zuträger, weshalb viele Autoren später mit ihm gebrochen haben. Andere wie Volker Braun halten ihm bis heute die Treue.

Der Traditionsverlag nach der Wende

Nach der Wende dann die Privatisierung und Neugründung des Mitteldeutschen Verlags. Es sind nicht mehr 110 bis 120 Verlagsmitarbeiter wie zu DDR-Zeiten, sondern nur noch elf. Die Betrachtung: immer eine Frage der Perspektive.
"Ich erinnere mich", so Pliske, "2004 habe ich hier angefangen. 2005 meine erste Leipziger Buchmesse. Ich stand in Leipzig vor dem Stand. Fünf mal fünf Meter. Ich war einigermaßen stolz auf mein erstes Programm und trat einen Schritt zurück, um diesen Verlag nochmal anzuschauen, so optisch. Zwei ältere Menschen gesellten sich zu mir und sagten: 'Ist schon ein Jammer, was aus dem Verlag geworden ist.'"
Ja, es gibt ihn noch, aber es ist ein anderer Verlag als früher. Der Mitteldeutsche Verlag hat sich durch die Coronakrise manövriert. Jetzt kann er das feiern, was vor einem Jahr noch ein frommer Wunsch war: den 75. Geburtstag.
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