Der Mörderin in Liebe verfallen
Der japanische Autor Keigo Higashino erzählt uns eine Geschichte, in der nicht die Täterin, sondern ihr Helfershelfer mit Intelligenz und Obsession ans Werk geht, wie man es sonst nur von Patricia Highsmith kennt. Doch er hat einen ebenso intelligenten und besessenen Gegner: seinen Freund.
Japanische Literatur erscheint uns, selbst wenn die unglaublichsten Sachen geschehen, zuweilen ein wenig steif und ungerührt, sie hat für unseren Geschmack dann etwas Aufgesagtes, auch Theatralisches. Manchmal erinnert sie an einen Film von Eric Rohmer. Er nahm gern ganz unbekannte junge Schauspieler, die auch etwas theatralisch spielten, so als schauten sie sich selber zu.
Schon in "Mord am See" (2003 im kleinen westfälischen Cass-Verlag erschienen), dem ersten Roman von Keigo Higashino auf Deutsch, bediente sich der Autor solch eines strengen, distanzierten Stils. Genauso erzählt er uns nun eine Geschichte, in welcher der Komplize einer Mörderin mit einer Intelligenz und einer Obsession ans Werk geht, die an die psychologisch spannendsten Romane von Patricia Highsmith erinnern. Er wird so zum eigentlichen Täter. Damit ist noch nichts verraten, denn Mörderin und Gehilfe stehen von Anfang an fest.
Die schöne Yasuko wird von ihrem gewalttätigen Exmann Togashi bis in ihre Wohnung verfolgt. Sie weiß sich nur dadurch zu helfen, dass sie ihn tötet, ihre Tochter hilft ihr dabei. Plötzlich klingelt es an der Tür. Draußen steht ihr Nachbar, der unauffällige Mathematiklehrer Ishigami, den sie nur von zufälligen Begegnungen im Treppenhaus kennt und vom Imbiss, in dem sie arbeitet, wo Ishigami sein Mittagessen zu kaufen pflegt. Umso überraschter ist sie, als er ihr anbietet, Togashis Leiche verschwinden zu lassen und ihr ein hieb- und stichfestes Alibi zu verschaffen. Warum tut er das? Und vor allem: Wie tut er das?
Der Mord am Anfang, den Mutter und Tochter begehen, ist praktisch der einzige gewalttätige Akt dieses Romans. Er unterscheidet sich damit – welch eine Wohltat! – von allen bluttriefenden skandinavischen Krimis der letzten Jahre, die auf den Bestsellerlisten erschienen. Der Roman, der eigentlich "Geliebte Mörderin" heißen müsste, braucht keine Ekelorgien, keine folternden Psychopathen, um spannend zu sein.
Die Spannung liegt darin, dass "jede Spur, die die Ermittler entdecken, in Wirklichkeit keine ist" (und der Autor selbst kleine Spuren legt, ohne dass wir es ahnen). Hier geht es nicht darum, wer der Mörder ist, sondern hier geht es um Taktik und Technik der Verschleierung. Um dies zu durchschauen, braucht es einen ebenbürtigen Gegner, der genauso intelligent und obsessiv ist wie der Täter. Dieser Gegner ist ausgerechnet Ishigamis alter Freund, der Physiker Yukawa. Er weiß, dass sich Ishigami von purer Logik leiten lässt, und erkennt einen atemberaubenden Plan, die Lösung ist so überraschend wie erschütternd. Wir verraten sie nicht, nur so viel: Ishigami, dieser systematische Mathematiker, der durch einen Zufall in sich so etwas wie Gefühle entdeckte, machte nur einen Fehler, oder besser: hat nur eine Sache nicht bedacht – dass er nämlich die Menschlichkeit nicht nur bei sich, sondern auch bei anderen unterschätzte.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Keigo Higashino: Verdächtige Geliebte. Kriminalroman
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2012
320 Seiten, 19,95 Euro
Schon in "Mord am See" (2003 im kleinen westfälischen Cass-Verlag erschienen), dem ersten Roman von Keigo Higashino auf Deutsch, bediente sich der Autor solch eines strengen, distanzierten Stils. Genauso erzählt er uns nun eine Geschichte, in welcher der Komplize einer Mörderin mit einer Intelligenz und einer Obsession ans Werk geht, die an die psychologisch spannendsten Romane von Patricia Highsmith erinnern. Er wird so zum eigentlichen Täter. Damit ist noch nichts verraten, denn Mörderin und Gehilfe stehen von Anfang an fest.
Die schöne Yasuko wird von ihrem gewalttätigen Exmann Togashi bis in ihre Wohnung verfolgt. Sie weiß sich nur dadurch zu helfen, dass sie ihn tötet, ihre Tochter hilft ihr dabei. Plötzlich klingelt es an der Tür. Draußen steht ihr Nachbar, der unauffällige Mathematiklehrer Ishigami, den sie nur von zufälligen Begegnungen im Treppenhaus kennt und vom Imbiss, in dem sie arbeitet, wo Ishigami sein Mittagessen zu kaufen pflegt. Umso überraschter ist sie, als er ihr anbietet, Togashis Leiche verschwinden zu lassen und ihr ein hieb- und stichfestes Alibi zu verschaffen. Warum tut er das? Und vor allem: Wie tut er das?
Der Mord am Anfang, den Mutter und Tochter begehen, ist praktisch der einzige gewalttätige Akt dieses Romans. Er unterscheidet sich damit – welch eine Wohltat! – von allen bluttriefenden skandinavischen Krimis der letzten Jahre, die auf den Bestsellerlisten erschienen. Der Roman, der eigentlich "Geliebte Mörderin" heißen müsste, braucht keine Ekelorgien, keine folternden Psychopathen, um spannend zu sein.
Die Spannung liegt darin, dass "jede Spur, die die Ermittler entdecken, in Wirklichkeit keine ist" (und der Autor selbst kleine Spuren legt, ohne dass wir es ahnen). Hier geht es nicht darum, wer der Mörder ist, sondern hier geht es um Taktik und Technik der Verschleierung. Um dies zu durchschauen, braucht es einen ebenbürtigen Gegner, der genauso intelligent und obsessiv ist wie der Täter. Dieser Gegner ist ausgerechnet Ishigamis alter Freund, der Physiker Yukawa. Er weiß, dass sich Ishigami von purer Logik leiten lässt, und erkennt einen atemberaubenden Plan, die Lösung ist so überraschend wie erschütternd. Wir verraten sie nicht, nur so viel: Ishigami, dieser systematische Mathematiker, der durch einen Zufall in sich so etwas wie Gefühle entdeckte, machte nur einen Fehler, oder besser: hat nur eine Sache nicht bedacht – dass er nämlich die Menschlichkeit nicht nur bei sich, sondern auch bei anderen unterschätzte.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Keigo Higashino: Verdächtige Geliebte. Kriminalroman
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2012
320 Seiten, 19,95 Euro