Hommage an einen, der fehlt
Skandale, Intrigen? Steile Thesen, radikale Ansätze? Fehlanzeige. Mit beharrlicher Freundlichkeit und unerschütterlicher Professionalität wurde der 2019 verstorbene Mariss Jansons zu einem weltweit geschätzten Dirigenten.
Heute hätte Mariss Jansons die Berliner Philharmoniker leiten sollen. Der lettische Dirigent hätte die 9. Sinfonie seines Lieblingskomponisten Dmitrij Schostakowitsch zur Aufführung gebracht, und vermutlich wäre auch dieses Konzert zu einem Höhepunkt der philharmonischen Saison geworden – wie so oft, wenn das Ehrenmitglied Jansons am Pult stand.
Mariss Jansons starb am 1. Dezember 2019 in seiner Wahlheimat Sankt Petersburg – mitten in der laufenden Spielzeit, nur wenige Wochen nach einer Tournee mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die er nach einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall abbrechen musste.
Von Orchestern ins Herz geschlossen
Die Musikwelt ist in Trauer vereint, so sehr war der 76 Jahre alt gewordene Maestro seinen vier Lieblingsorchestern verbunden. Neben den erwähnten Ensembles aus Berlin und München gehörten dazu die Wiener Philharmoniker und das Königliche Concertgebouw-Orchester Amsterdam, das Jansons von 2004 bis 2015 leitete.
Die Entwicklungen rund um die Corona-Pandemie haben es nun gefügt, dass das für heute angesetzte Gedenkkonzert der Berliner Philharmoniker zu Ehren von Mariss Jansons nicht stattfinden kann.
Angesichts eines sehr gut gefüllten Archivs mit Konzertmitschnitten und Interviews von und mit Mariss Jansons bringt Deutschlandfunk Kultur stattdessen einen langen Abend mit Fundstücken und Eindrücken.
Kindheit im Theater
Geboren 1943 in Riga, war Jansons‘ Weg – trotz lebenslanger Fußball-Leidenschaft – bald vorgezeichnet: die Mutter Opernsängerin, der Vater Dirigent, das Kindermädchen nicht vorhanden, die Eltern durchgehend im Theater. Schon in frühester Kindheit schwang Jansons Junior den Stab, schon als junger Mann erregte er in Leningrad Aufsehen und weckte das Interesse von Herbert von Karajan.
Als Jansons beim Dirigenten-Wettbewerb der Karajan-Stiftung 1971 den 2. Platz erreichte und erstmals die Berliner Philharmoniker dirigieren durfte, liefen die Mikrofone des RIAS Berlin mit.
Als er 1973 nach Berlin zurückkehrte, um im anderen Teil der Stadt das Rundfunk-Sinfonieorchester zu dirigieren, war der Berliner Rundfunk zur Stelle – beide Dokumente werden in dieser Sendung zu hören sein, wie auch andere Ausschnitte aus Konzerten und Plattenaufnahmen aus fünf Jahrzehnten.
In der Vorbereitung seiner Projekte ging Jansons mit beispielloser Akribie ans Werk. Wenn es zur praktischen Umsetzung kam, wenn Proben anstanden, feilte er unnachgiebig an der Präzision, um im entscheidenden Moment des Konzerts loslassen zu können.
Der zugewandte Maestro
Dabei umgab ihn stets eine Aura von gelassener Freundlichkeit; Attacken, Intrigen und Skandale sind nicht überliefert. Neben Herbert Blomstedt scheint sich die Orchesterwelt in den vergangenen Jahren über keinen Dirigenten in musikalischer und menschlicher Hinsicht so einig geworden zu sein wie über Mariss Jansons – den Mann, der Freude an der Musik vermitteln und die Freundschaft vieler Musiker gewinnen konnte.
In memoriam Mariss Jansons
Interviews, Aufnahmen, Erinnerungen
Maurice Ravel
"Daphnis et Chloé", 2. Suite
Berliner Philharmoniker
Leitung: Mariss Jansons (1971)
"Daphnis et Chloé", 2. Suite
Berliner Philharmoniker
Leitung: Mariss Jansons (1971)
Dmitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
Oslo-Filharmonien
Leitung: Mariss Jansons (1991)
Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
Oslo-Filharmonien
Leitung: Mariss Jansons (1991)
Ludwig van Beethoven
Ouvertüre zur Schauspielmusik "Egmont" op. 84
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Mariss Jansons (1973)
Ouvertüre zur Schauspielmusik "Egmont" op. 84
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Mariss Jansons (1973)
sowie Ausschnitte aus Werken von Louis Andriessen, Johannes Brahms, Gustav Mahler, Sergej Prokofjew, Dmitrij Schostakowitsch, Robert Stolz und Igor Strawinsky