Der mutige Doktor Helmy

Von Igal Avidan |
Der ägyptische Arzt Mohammed Helmy versteckte die Jüdin Anna Boros und drei ihrer Angehörigen vor den Nazis - und setzte dabei sein Leben aufs Spiel. Für seinen Einsatz wurde er von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem posthum als erster Araber mit dem Titel "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet.
Der Ägypter Mohammed Helmy hatte kein leichtes Leben in Nazi-Deutschland. Als junger Mann absolviert er sein Medizinstudium in Berlin und arbeitet dort in einem Krankenhaus. 1938 wird er entlassen und danach von den Nazis verfolgt. Dennoch versteckt er in dieser Zeit eine Jüdin. Der Berliner Arzt Karsten Mülder recherchierte zwei Jahre lang über Helmy und dank seiner Nachforschung wurde Helmy jüngst als erster Araber von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem mit dem Titel "Gerechter unter den Völkern" geehrt.

Karsten Mülder: "Er war als Araber zwar nicht rassenrein, für ‚arische‘ Verhältnisse hier: Er durfte nicht heiraten, er durfte keinen Geschlechtsverkehr haben mit Frauen, die nicht arabischer Herkunft waren. Aber er war zunächst mal nicht ermordungsgefährdet"."

Im Oktober 1939, kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verschlechtert sich die Lage des Ägypters Mohammed Helmy. Obwohl Ägypten seit 1922 formell souverän ist, steht es faktisch unter britischem Protektorat. Daher lassen die Nazis Helmy zusammen mit anderen in Deutschland lebenden Ägyptern verhaften, sagt Irina Steinfeld, Leiterin der Abteilung für Gerechte unter den Völkern in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

""Er wurde in Haft gesetzt, er wurde dann auch interniert, weil er Ägypter war. Es gab da ein Lager, wo die Fremden interniert wurden. Sie müssen bedenken natürlich, dass Ägypten englisches Territorium war und England war Feindesland. Dr. Helmy hatte mehrere Probleme, seine Situation war sehr problematisch und dazu noch trotz dieser Probleme hat er sich trotzdem gegen die Nazis geäußert"."

Er hilft, obwohl er selbst gefährdet ist
Nach sechs Monaten Haft wird Mohammed Helmy wegen schlechter Gesundheit vorzeitig entlassen. Er muss sich nun regelmäßig bei der Gestapo melden und darf nicht mehr als Mediziner arbeiten. 1942 wird er jedoch gezwungen, einen einberufenen Arzt zu vertreten. Im gleichen Jahr wendet sich die 17-jährige Jüdin Anna Boros an Helmy. Als rumänische Staatsbürgerin muss sie Deutschland verlassen und meldet sich daher beim rumänischen Konsulat, wie sie nach dem Krieg schreibt:

""Der Beamte riet mir, auf keinen Fall nach Rumänien zu reisen, denn ich würde nie dort ankommen und der Tod wäre mir gewiss."

Anne Boros entscheidet, in die Illegalität zu gehen, so wie ihre Großmutter und ihr Onkel wenige Monate zuvor. In ihrer Not wendet sie sich an Dr. Mohammed Helmy, der trotz seiner ohnehin prekären Situation und obwohl er sich dadurch gefährdet, eine mutige Entscheidung trifft, sagt Irena Steinfeld von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem:

"Sie war Patientin und sie kam zu ihm, sie hat von ihren Schwierigkeiten erzählt ¬- vielleicht hat er es vorgeschlagen. Das wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass er sie in seiner Laube in Berlin-Buch versteckt hat und als er dann wieder unter Untersuchung kam, wurde es brenzlig."

Annas Mutter, Julie Wehr, ist mit einem Deutschen verheiratet und dadurch vor der Deportation geschützt. Die Gestapo glaubt nicht, dass Anna Boros abgereist ist und beginnt nach ihr zu suchen. Ihre Mutter wird vorläufig festgenommen und Mohammed Helmys Wohnung durchsucht. Anna Boros schreibt:

"Allen Nachforschungen der Gestapo ging er geschickt aus dem Wege. Mehrmals brachte mich Dr. Helmy während dieser Zeit bei Gefahr zu Bekannten, auf einige Tage und ich galt dann als seine Nichte aus Dresden. Nach Ablauf der Gefahr kehrte ich wieder in die Laube zurück."

Ehrung als erster arabischer Gerechter unter den Völkern
Zugleich versorgt Mohammed Annas Familie mit Lebensmitteln und Medikamenten. So überleben sie die Shoah.

""Was Dr. Helmy für mich tat, war selbstlos und dafür werde ich ihm stets dankbar sein","

bestätigte Anne Boros, die inzwischen Anna Gutman heißt und in New York lebt. 1962 wird Mohammed Helmy vom Westberliner Senat als Held anerkannt. Als der Berliner Arzt Karsten Mülder seine Praxis eröffnete, erfuhr er von dieser Rettungsgeschichte. Der Hauseigentümer lebte nämlich einst mit Helmy in der Wohnung über Mülders Praxis zusammen. Mülder war begeistert von Helmy, recherchierte die Geschichte und wandte sich an Yad Vashem in Jerusalem. Hier wurde Mohammed Helmy als erster arabische Gerechter unter den Völkern anerkannt. Die Anerkennung wäre keine politische Entscheidung, betont Irena Steinfeld von Yad Vashem. Eine unabhängige Kommission entscheidet über die Ehrung aller knapp 25.000 Menschen. 88 von ihnen waren Moslems, überwiegend Albaner.

""Auf der Medaille steht der Spruch: ‚Wer ein Leben rettet, hat eine ganze Welt gerettet‘. Das ist ein jüdischer Spruch, der im Talmud ist. Die grundlegende Idee ist: ein Menschenleben ist eine ganze Welt - ein Mensch ist eine Welt"."

Mohammed Helmy starb 1982 in Berlin und obwohl ein ägyptischer Diplomat in Israel Helmys "edle Taten" würdigte, kann er die Medaille nicht stellvertretend entgegennehmen. Sie wird nur an den Retter selbst oder an seine Verwandten ausgehändigt, weil jeder Retter aus eigener Überzeugung handelte und nicht im Auftrag einer Regierung. Doch eine entfernte Verwandte in Kairo weigerte sich, den Preis anzunehmen, obwohl sie das Judentum und die Juden respektiere. Ihr seien die Beziehungen zwischen Ägypten und Israel zu schlecht. Yad Vashem bedauert diese Entscheidung.
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