Bücher aus dem "Land der Täter"
"Jeckes" sind aus Deutschland nach Israel geflohene Juden. Häufig nahmen die deutschen Juden Bücher, Briefe und Urkunden mit, die inzwischen ihren Enkeln gehören. Die jungen Israelis interessieren sich kaum für den geistigen Wert des Erbes ihrer deutschsprachigen Vorfahren.
Die komplette Bibliothek lag auf dem Bürgersteig in der Gordon-Straße in Tel Aviv. Deutsche Klassiker, Goethe, Schiller, Joseph Roth, aber auch Böll und Grass. Ein "Jecke", ein aus Deutschland nach Palästina geflohener Jude, war gestorben, und seine Kinder gaben Bücher, Briefe und Papiere zum Ausplündern auf der Straße frei. Viele Bibliotheken der alten "Jeckes" landeten so auf dem Müll. Heute interessieren sich häufig Enkel für das Erbe der deutschsprachigen Großeltern. Im Jahr melden sich 30 bis 40 von ihnen bei Mika Adler vom Goethe-Institut in Tel Aviv. Sie bitten den Bibliotheks-Mitarbeiter, Urkunden und Briefe zu übersetzen. Und sie fragen, ob das Goethe-Institut die Bücher der Großeltern übernehmen könne.
Mika Adler: "Die Leute bringen die Bücher hierher, aber leider wird das hier auch nicht mehr so gelesen. Zum einen: das Verständnis der deutschen Sprache von jungen Leuten ist nicht so ausgereift, dass die das lesen können. Viele nehmen die Bücher dann gerne mit aufgrund des schönen Einbands oder sowas, was mir auch recht ist."
Manche Sprachkurs-Schüler nehmen die Bücher mit. Für etwa zwei Drittel der Bestände interessiert sich keiner. Mika Adler hat dann die undankbare Aufgabe, die übrigen Bände wegzuwerfen. Denn die Kapazitäten der Bibliothek des Goethe-Instituts sind begrenzt. Die Zeiten des pauschalen und achtlosen Wegwerfens sind aber vorbei.
"Die Enkelkinder sind heute auch in einem Alter, wo sie fragen können, und wenn die Großeltern noch am Leben sind, sind sie heute in einem Alter und in einer Verfassung, antworten zu wollen. Das ist auch so eine Geschichte, weil früher wurde ja nie drüber gesprochen. Keiner wollte dem anderen irgendwo wehtun und versuchen, die Familiengeschichten aufzuklären oder sowas. Und oft schaffen es die Großeltern erst, sich den Enkelkindern gegenüber zu öffnen, einfach weil die eigenen Kinder von der Vergangenheit verschont werden sollten."
Kafka-Erstausgaben, Briefe von Kant und Gottfried Kellers Werke
Die wenigsten der Enkel der "Jeckes" verstehen Deutsch. Aber sie sind neugierig und interessieren sich für nostalgische Gegenstände. Manche haben einen ganz pragmatischen Zugang zum Erbe der Großeltern, wie die Antiquarin Malka Pollak aus Tel Aviv weiß.
Malka Pollak: "Wenn also so ein Enkel in die Bibliothek seines Großvaters blickt, und meint, dieses oder jenes Buch möge vielleicht wertvoll sein – das ist jetzt nicht unbedingt ein Interesse an der Sache selber, es geht auch um gewisse Werte, dann wird er sich sagen: Ach, da gucke ich mal im Internet nach, vielleicht ist das irgendwie mehr als 300, 400 Euro wert, und dann behalte ich das einfach mal."
Malka Pollak verkauft seit 35 Jahren die Bücher der Jeckes in ihrem Antiquariat in der King-George-Straße im Zentrum von Tel Aviv. Viele Nachlässe landeten in ihrem Geschäft, das sie zusammen mit ihrem Mann betreibt. Die meisten Kunden sind Intellektuelle aus Deutschland. Anfangs hatte sie Skrupel, die Bücher ins "Land der Täter" zurückzuverkaufen.
"Nach vielem Hin- und Herdenken und In-uns-Gehen, haben wir uns dann doch entschlossen, diese Bücher anzubieten, weil es eigentlich auch die einzige Möglichkeit war, dieses Kulturgut auch zu bewahren, zu konservieren für die nächste Generation. Sonst wäre es hier in Israel wirklich verloren gegangen. Also die Bücher hätten hier keine Zukunft gehabt in der damaligen Zeit."
So kehrt manches Werk über das Antiquariat Pollak nach Deutschland zurück: Kafka-Erstausgaben, Kants Briefe, Marienlegenden, Gottfried Kellers Gesammelte Werke, Stiche von Dürer und Cranach, ein Album mit Berliner Stadtansichten.
"Das Interesse ist immer noch da, auch die Faszination, die mit diesen Büchern verbunden ist, weil diese Bücher spiegeln ja auch ein Schicksal wieder. Und ich glaube, das hat ein bestimmtes Flair, das unverkennbar ist."