Der Nestbeschmutzer
Der Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe trägt in der japanischen Presse den Beinamen "der Nestbeschmutzer", weil er kritisch über die Yakuza, die rechtsradikale Mafia seines Landes, schreibt. Zurzeit ist er mit dem neuen Roman "Tagame, Berlin-Tokyo" auf Lesereise durch Deutschland.
Aus dem Roman "Tagame. Tokio-Berlin":
" Kogito lag auf dem Feldbett in seiner Bibliothek und lauschte der Stimme in den Kopfhörern: … Ich werde mich nun also ins Jenseits aufmachen. Es ertönte ein lauter Knall, dann war es eine Weile vollkommen still. Aber ich breche das Gespräch nicht ab, fuhr Goro fort. Ich habe ja extra ein System mit dem Schildkäfer entwickelt. Doch es ist schon spät bei dir. Also, gute Nacht!
Ohne den Sinn der Worte zu begreifen, spürte Kogito eine Trauer, die sich als schmerzhaftes Reißen von den Ohren bis tief hinter die Augen zog. Einen Moment blieb er so liegen, stellte dann den Schildkäfer ins Regal zurück und versuchte einzuschlafen. Er fiel in einen leichten Schlaf, auch dank des Erkältungsmittels, das er genommen hatte. Als er bei einem leisen Geräusch die Augen öffnete, sah er seine Frau vor sich stehen, ihren Kopf beleuchtet vom sanften Licht der Neonlampe an der Dachschräge.
Goro hat sich umgebracht."
So beginnt Kenzaburo Oes neuer Roman "Tagame, Berlin-Tokyo". Klein ist der 70-jährige, graue Strähnen durchziehen sein widerspenstiges, volles Haar. Segelohren und eine kreisrunde Brille mit dicken Gläsern dominieren das Gesicht, das freudig strahlt wie das eines Kindes.
Nachdem Kenzaburo Oe 1994 den Literaturnobelpreis gewann, beschloss er, nicht mehr zu schreiben. Als aber 1997 sein Schwager und Freund, der Regisseur Juzo Itami starb, griff er wieder zur Feder, um darüber zu schreiben. In seinem Roman nennt er ihn Goro. Offiziell heißt es, Juzo Itami habe Selbstmord begangen.
Beweise dafür gab es nicht. Juzo Itamis Arbeit und Leben waren geprägt vom Kampf gegen die Yakuza, jene in Europa kaum bekannte Nazi-Mafia, die große Teile der japanischen Gesellschaft in Politik und Wirtschaft terrorisiert und kontrolliert. Einen Mordanschlag der Yakuza-Mafia überlebte Juzo Itami schwer verletzt. Grundsätzlich schließt Kenzaburo Oe nicht aus, dass sein Schwager wirklich Selbstmord begangen hat, aber auch eine andere Variante eben nicht unwahrscheinlich:
Oe: " Itami wurde umgebracht. Itami griff in seinen Filmen die Yakuza an, Japans gewalttätige Mafia; niemand vor ihm hatte das je gewagt, aber die Yakuza ist unglaublich einflussreich und überall im japanischen Geschäftsleben vernetzt. Knapp überlebt er schwer verletzt einen ersten Anschlag. Dann machte er wieder einen Film gegen die Yakuza und ihren Terrorismus. Und manche sagen, die Yakuza rächte sich und brachte Itami um. "
In der Presse hieß es, es gebe Augenzeugen, die gesehen hätten, dass Juzo Itami vom Dach gesprungen sei.
Oe: " Das glaube ich nicht, es war Mitternacht. Niemand konnte da etwas sehen. Meine Frau ist am nächsten Tag dorthin gegangen, ebenfalls um Mitternacht. Sie sagt, es sei so finster in der Straße, dass man nicht einmal das Dach erkennen könne, geschweige denn, wie sich jemand in die Dunkelheit gestürzt hätte. Unmöglich. "
Die Yakuza, die Nazi-Mafia, ist ein Tabu-Thema in Japan, auch für die Medien. Die Angst ist groß, aus einem Fenster im 8. Stock zu fallen wie Yuzo Itami. Kein Wunder, dass man außerhalb Japans kaum auch nur von der Existenz jener kriminellen Organisation weiß, die Japan in Angst und Schrecken hält.
Oe: " Es überrascht mich nicht, dass man in Deutschland nichts von der Yakuza weiß. Schließlich sprechen auch die Japaner nicht über diesen tiefen Schmerz durch den Terror der Yakuza."
Kenzaburo Oe schrieb eine zweiteilige Novelle über einen 17-jährigen Yakuza-Attentäter, der den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei niederstach. Der erste Teil erschien unter dem Titel "Siebzehn", für den zweiten Teil, der die Verbindungen zur Yakuza-Mafia beschreibt, sucht Oe bis heute einen Verleger:
" Bis heute finde ich keinen Buchverlag, der den Mut dazu hätte. Und ich bekam viele Mord-Drohungen, Anrufe, Mails, Briefe. Und die japanische Presse schweigt dazu."
Das, fügt Oe hinzu, sei eben der fundamentale Unterschied zwischen Japan und Deutschland heute: Deutschland habe seine Nazi-Vergangenheit aufgearbeitet und habe eine freie Presse, während Japan weiterhin seine Kriegsverbrecher verherrliche, am 15. August zum Beispiel, dem Tag der Niederlage.
Oe: " Und unser jeweiliger Premierminister beteiligt sich stets an jener Feier, die die Kriegsverbrechen verherrlicht. Und Asien ist schockiert."
Musik von Hikaro Oe
Musik von der neuen, vierten CD von Hikaro Oe, Kenzaburo Oes Sohn, der seit seiner Geburt 1963 geistig behindert und heute ein geschätzter Komponist ist. Während Oes Frau, eine Gärtnerin, arbeiten ging, kümmerte Oe sich zu Hause um das pflegebedürftige Kind. Und um ihm überall hin folgen zu können, kaufte Oe sich ein Holzbrett, auf das er ein Heft legen kann, in das er schreibt. Bis heute. Und bis heute ist auch er es, der in der Familie kocht, am liebsten Ochsenschanz-Gulasch, den kann man nämlich ein paar Tage lang aufwärmen. Zu empfehlen sei dazu ein großes Bier und ein Schnaps. Und dann legt er gerne seine Lieblingsmusik auf, Bigband-Sound von Duke Ellington.
1994 erhielt Kenzaburo Oe den Literaturnobelpreis. Oe kann sich noch sehr gut an den Tag erinnern, an dem das Nobelpreis-Komitee entschied, wer 1994 den Preis bekommen solle. Mittags klingelte es, Oes Sohn ging ans Telefon. Fünfmal sagte der "No". Dann griff Kenzaburo Oe selbst zum Hörer,- eine Stimme auf Englisch fragte verzweifelt, ob er den Nobelpreis deswegen ablehne, weil sein Vorbild Sartre das auch getan habe?
" Is it because you are a disciple of Jean-Paul Sartre, he said? No, no. Yes I will take it. "
"Tagame, Tokyo-Berlin” heißt Kenzaburo Oes neuer, autobiographischer Roman. Ein Tagame ist ein Käfer, ein Schildkäfer, Metapher für einen altmodischen Walkman, den Oe benutzte, um sich jene 30 Kassetten anzuhören, die ihm sein verstorbener Freund und Schwager Juzo Itami vor dessen Tod mit der Post zugeschickt hatte. Ein sehr privater wie politischer Roman, eine existentialistische Tour de Force durch die Literatur des 20. Jahrhunderts, es wirken mit Pu der Bär, Rimbaud, Sartre und Tagame, Kafkas Käfer. Kein einfaches Buch, aber ein Buch, um endlich Japan verstehen zu lernen, lyrisch, verspielt und sehr provokativ. Kenzaburo Oes Botschaft an die Menschen ist einfach: Verliert nie eure Hoffnung!
Kenzaburo Oe: "Tagame. Tokyo – Berlin." S. Fischer Verlag 2005. 320 Seiten, 19.90 Euro. Übersetzt von Nora Bierich.
Service:
Oe ist auf Lesereise: 15.9. München, 16.9. Zürich, 17./18.9. in Hall bei Innsbruck, 19.9. Stuttgart, 20.9. Frankfurt a. M., 22.9. Salzburg.
" Kogito lag auf dem Feldbett in seiner Bibliothek und lauschte der Stimme in den Kopfhörern: … Ich werde mich nun also ins Jenseits aufmachen. Es ertönte ein lauter Knall, dann war es eine Weile vollkommen still. Aber ich breche das Gespräch nicht ab, fuhr Goro fort. Ich habe ja extra ein System mit dem Schildkäfer entwickelt. Doch es ist schon spät bei dir. Also, gute Nacht!
Ohne den Sinn der Worte zu begreifen, spürte Kogito eine Trauer, die sich als schmerzhaftes Reißen von den Ohren bis tief hinter die Augen zog. Einen Moment blieb er so liegen, stellte dann den Schildkäfer ins Regal zurück und versuchte einzuschlafen. Er fiel in einen leichten Schlaf, auch dank des Erkältungsmittels, das er genommen hatte. Als er bei einem leisen Geräusch die Augen öffnete, sah er seine Frau vor sich stehen, ihren Kopf beleuchtet vom sanften Licht der Neonlampe an der Dachschräge.
Goro hat sich umgebracht."
So beginnt Kenzaburo Oes neuer Roman "Tagame, Berlin-Tokyo". Klein ist der 70-jährige, graue Strähnen durchziehen sein widerspenstiges, volles Haar. Segelohren und eine kreisrunde Brille mit dicken Gläsern dominieren das Gesicht, das freudig strahlt wie das eines Kindes.
Nachdem Kenzaburo Oe 1994 den Literaturnobelpreis gewann, beschloss er, nicht mehr zu schreiben. Als aber 1997 sein Schwager und Freund, der Regisseur Juzo Itami starb, griff er wieder zur Feder, um darüber zu schreiben. In seinem Roman nennt er ihn Goro. Offiziell heißt es, Juzo Itami habe Selbstmord begangen.
Beweise dafür gab es nicht. Juzo Itamis Arbeit und Leben waren geprägt vom Kampf gegen die Yakuza, jene in Europa kaum bekannte Nazi-Mafia, die große Teile der japanischen Gesellschaft in Politik und Wirtschaft terrorisiert und kontrolliert. Einen Mordanschlag der Yakuza-Mafia überlebte Juzo Itami schwer verletzt. Grundsätzlich schließt Kenzaburo Oe nicht aus, dass sein Schwager wirklich Selbstmord begangen hat, aber auch eine andere Variante eben nicht unwahrscheinlich:
Oe: " Itami wurde umgebracht. Itami griff in seinen Filmen die Yakuza an, Japans gewalttätige Mafia; niemand vor ihm hatte das je gewagt, aber die Yakuza ist unglaublich einflussreich und überall im japanischen Geschäftsleben vernetzt. Knapp überlebt er schwer verletzt einen ersten Anschlag. Dann machte er wieder einen Film gegen die Yakuza und ihren Terrorismus. Und manche sagen, die Yakuza rächte sich und brachte Itami um. "
In der Presse hieß es, es gebe Augenzeugen, die gesehen hätten, dass Juzo Itami vom Dach gesprungen sei.
Oe: " Das glaube ich nicht, es war Mitternacht. Niemand konnte da etwas sehen. Meine Frau ist am nächsten Tag dorthin gegangen, ebenfalls um Mitternacht. Sie sagt, es sei so finster in der Straße, dass man nicht einmal das Dach erkennen könne, geschweige denn, wie sich jemand in die Dunkelheit gestürzt hätte. Unmöglich. "
Die Yakuza, die Nazi-Mafia, ist ein Tabu-Thema in Japan, auch für die Medien. Die Angst ist groß, aus einem Fenster im 8. Stock zu fallen wie Yuzo Itami. Kein Wunder, dass man außerhalb Japans kaum auch nur von der Existenz jener kriminellen Organisation weiß, die Japan in Angst und Schrecken hält.
Oe: " Es überrascht mich nicht, dass man in Deutschland nichts von der Yakuza weiß. Schließlich sprechen auch die Japaner nicht über diesen tiefen Schmerz durch den Terror der Yakuza."
Kenzaburo Oe schrieb eine zweiteilige Novelle über einen 17-jährigen Yakuza-Attentäter, der den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei niederstach. Der erste Teil erschien unter dem Titel "Siebzehn", für den zweiten Teil, der die Verbindungen zur Yakuza-Mafia beschreibt, sucht Oe bis heute einen Verleger:
" Bis heute finde ich keinen Buchverlag, der den Mut dazu hätte. Und ich bekam viele Mord-Drohungen, Anrufe, Mails, Briefe. Und die japanische Presse schweigt dazu."
Das, fügt Oe hinzu, sei eben der fundamentale Unterschied zwischen Japan und Deutschland heute: Deutschland habe seine Nazi-Vergangenheit aufgearbeitet und habe eine freie Presse, während Japan weiterhin seine Kriegsverbrecher verherrliche, am 15. August zum Beispiel, dem Tag der Niederlage.
Oe: " Und unser jeweiliger Premierminister beteiligt sich stets an jener Feier, die die Kriegsverbrechen verherrlicht. Und Asien ist schockiert."
Musik von Hikaro Oe
Musik von der neuen, vierten CD von Hikaro Oe, Kenzaburo Oes Sohn, der seit seiner Geburt 1963 geistig behindert und heute ein geschätzter Komponist ist. Während Oes Frau, eine Gärtnerin, arbeiten ging, kümmerte Oe sich zu Hause um das pflegebedürftige Kind. Und um ihm überall hin folgen zu können, kaufte Oe sich ein Holzbrett, auf das er ein Heft legen kann, in das er schreibt. Bis heute. Und bis heute ist auch er es, der in der Familie kocht, am liebsten Ochsenschanz-Gulasch, den kann man nämlich ein paar Tage lang aufwärmen. Zu empfehlen sei dazu ein großes Bier und ein Schnaps. Und dann legt er gerne seine Lieblingsmusik auf, Bigband-Sound von Duke Ellington.
1994 erhielt Kenzaburo Oe den Literaturnobelpreis. Oe kann sich noch sehr gut an den Tag erinnern, an dem das Nobelpreis-Komitee entschied, wer 1994 den Preis bekommen solle. Mittags klingelte es, Oes Sohn ging ans Telefon. Fünfmal sagte der "No". Dann griff Kenzaburo Oe selbst zum Hörer,- eine Stimme auf Englisch fragte verzweifelt, ob er den Nobelpreis deswegen ablehne, weil sein Vorbild Sartre das auch getan habe?
" Is it because you are a disciple of Jean-Paul Sartre, he said? No, no. Yes I will take it. "
"Tagame, Tokyo-Berlin” heißt Kenzaburo Oes neuer, autobiographischer Roman. Ein Tagame ist ein Käfer, ein Schildkäfer, Metapher für einen altmodischen Walkman, den Oe benutzte, um sich jene 30 Kassetten anzuhören, die ihm sein verstorbener Freund und Schwager Juzo Itami vor dessen Tod mit der Post zugeschickt hatte. Ein sehr privater wie politischer Roman, eine existentialistische Tour de Force durch die Literatur des 20. Jahrhunderts, es wirken mit Pu der Bär, Rimbaud, Sartre und Tagame, Kafkas Käfer. Kein einfaches Buch, aber ein Buch, um endlich Japan verstehen zu lernen, lyrisch, verspielt und sehr provokativ. Kenzaburo Oes Botschaft an die Menschen ist einfach: Verliert nie eure Hoffnung!
Kenzaburo Oe: "Tagame. Tokyo – Berlin." S. Fischer Verlag 2005. 320 Seiten, 19.90 Euro. Übersetzt von Nora Bierich.
Service:
Oe ist auf Lesereise: 15.9. München, 16.9. Zürich, 17./18.9. in Hall bei Innsbruck, 19.9. Stuttgart, 20.9. Frankfurt a. M., 22.9. Salzburg.