Der Patriarch und die Punks

Von Thomas Franke |
Die Frauenband Pussy Riot veranstaltete eine Aktion gegen den russischen Präsidenten Putin: Sie nutzte eine Kathedrale in Moskau für ein Punkgebet. Der Kirchenrat der russisch-orthodoxen Kirche hat deutlich gemacht, was er von solchen Aktionen hält: nichts. Das hat viele Gläubige verärgert.
Eine Kellerkneipe im Zentrum Moskaus. Eine bunte Schar von Oppositionellen sitzt zusammen und bespricht Aktionen. Ältere Männer im Anzug, junge Frauen mit Rastazöpfen, dynamische Jungunternehmer in Kapuzenjacken, Geschäftsfrauen im Kostüm. Vom Student bis zum erfolgreichen Unternehmer ist hier alles vertreten.

Sie alle eint eins: Sie wollen die herrschenden Machtcliquen zur Demokratie zwingen. Vladimir Smirnow steht ein wenig schüchtern am Rand. Er ist zum ersten Mal hier. Gerade hat er - ein wenig nervös - gesprochen. Er ist Physiker und möchte die Reformbewegung in die russisch orthodoxe Kirche tragen:

"Der Patriarch hat Putin unterstützt. Bei einer Veranstaltung hat der Patriarch mitgeteilt, dass die Kirche viel Geld bekommen hat. Und dass sie andere Privilegien hat. Das sah sehr unschön aus. Ich glaube, das hat viele Gläubige beleidigt."

Der 32-jährige Vater eines kleinen Sohnes ist der Einzige, der an diesem Abend von Gott und Kirche redet. Als Exot fühlt sich Vladimir Smirnow aber nicht:

"Ich spüre, dass ich hier Unterstützung bekomme. Ich weiß nicht, ob wir eine Gruppe bilden, aber es ist ein Anfang, ein erster Schritt."

Der Physiker möchte eine Facebook-Gruppe gläubiger Oppositioneller bilden. Andere setzen da eher auf Protestformen mit größerer Öffentlichkeitswirksamkeit.

Moskau im Februar. Vier Frauen hüpfen im Altarraum der Christi Erlöser Kathedrale herum, ihre Gesichter sind bunt verhüllt.

Pussy Riot heißt die Band, sie sieht sich als Teil der Protestbewegung gegen Putins neuerliche Präsidentschaft. Wachleute kommen herbei, zerren die Frauen weg. Nach wenigen Sekunden ist alles vorbei. Die Gläubigen bleiben fassungslos zurück.

In Russland sind solche Aktionen neu und dementsprechend provokant. Zwei der Musikerinnen drohen nun sieben Jahre Haft wegen Rowdytums. Überall in Russland stehen derzeit Menschen gegen die Machtcliquen auf. Die Aktion in der Kathedrale war bisher sicher die extremste.

Patriarch Kyrill, selbst Teil des Herrschaftssystems um Putin, hat in eben der Erlöserkirche wenige Tage später sehr deutlich gemacht, was er von solchen Aktionen hält:

"Es gibt Leute, die diese Gotteslästerung rechtfertigen, sie kleinreden, versuchen, sie als eine Art Scherz darzustellen. Und es ist traurig, und mein Herz zerreißt vor Schmerz, dass unter diesen Leuten auch solche sind, die sich orthodox nennen."

In Jaroslawl, vier Zugstunden nördlich von Moskau, scheint die Welt noch in Ordnung. Goldene Kuppeln wetteifern um den schönsten Glanz in der Frühjahrssonne. Eisschollen treiben die Wolga herunter. Nadeschda Antonowa kommt mit ihrem Sohn aus dem Gottesdienst. Sie ist Lehrerin und möchte, dass sich die Kirche stärker im Namen der Gläubigen in gesellschaftliche Belange einmischt:

"Das sollte sie auf jeden Fall. Russland ist ein orthodoxes Land, viele Menschen sind gläubig, und ihre Position muss gehört werden. Und Glaube lehrt Sittsamkeit. Von jungen Jahren an. Wir brauchen unbedingt mehr Moral in der Gesellschaft. Sonst kommt nichts Gutes heraus."

Doch wer bestimmt, was Moral ist? Eine junge Frau kommt aus der Kirche, nimmt ihren Sohn auf den Arm. Auch sie heißt Nadeschda, was "Hoffnung" heißt:

"Was jetzt mit diesen Mädchen der Rock Gruppe passiert, ist politische Verfolgung, ich bin dagegen. Denn wenn unsere Verfassung Meinungsfreiheit garantiert, dann muss es sie auch geben. Man muss sich überhaupt mal fragen: Wie konnte das passieren? Die Kirche wird doch sicher bewacht. Ist das etwa ohne Genehmigung der Kirche passiert?"

Nadeschda ist 29 Jahre, hat Politologe studiert:

"Soweit ich weiß, hatte die Kirche in Russland immer eine enge Beziehung zur Politik. Ich finde das nicht gut. Die Kirche sollte über den Dingen stehen. Aber sie hat sich immer eingemischt und wird das immer tun. Politik und Kirche waren immer verwoben und werden das immer sein."

In der Kneipe in Moskau erläutert der Ingenieur Vladimir Smirnow den Aktivisten, wie sich die Oppositionellen in der Kirche bemerkbar machen sollten:

"Es gibt ein sehr starkes Instrument: ein gemeinsames Gebet. Davon hat schon Jesus Christus gesprochen im Matthäus-Evangelium. Diese Idee ist lange in mir gereift. Ich weiß nicht, ob wir das umsetzen. Aber die Idee habe ich seit September."

Patriarch Kyrill hält von einer Modernisierung der Kirche wenig. Von den Oppositionellen hält er nichts. Das wird in seinen Predigten immer wieder klar:

"Vielleicht führt der Herr uns durch diese Prüfung, damit wir alle uns unserer Verantwortung für unser Land, für unsere heilige Rus, für den orthodoxen Glauben bewusst werden. Der orthodoxe Gläubige drückt sein Verantwortungsgefühl zuallererst in heißen Gebeten zu Gott aus. Jene Leute glauben nicht an die Kraft des Gebetes. Sie glauben an die Kraft von Propaganda, an die Kraft von Lüge und Verleumdung, an die Kraft des Internets, an die Kraft der Massenmedien, an die Kraft von Geld und Waffen."

Die Zukunft wird zeigen, ob Patriarch Kyrill die russisch-orthodoxen Gläubigen richtig einschätzt. Oppositionelle finden sich mittlerweile in allen Teilen der russischen Gesellschaft- auch in der Kirche.
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