Der philosophische Wochenkommentar

Die Welt brennt – und ich liege in der Urlaubssonne

Ein Gast eines Beach-Clubs am Strand von St. Peter-Ording genießt am Freitag (24.08.2007) bei sonnigem Wetter seine Lektüre.
Müssen wir uns auch im Urlaub über das Weltgeschehen informieren? © picture alliance / dpa / Christian Hager
Von Eva Weber-Guskar |
Wie ungetrübt dürfen die Stunden auf der Strandmatte sein? Eva Weber-Guskar plädiert für eine moralische Aufmerksamkeit und Sensibilität, die über eine billige Gewissensberuhigung hinausgeht - denn die Opfer wollen wahrgenommen werden.
Auf der Liegewiese oder am Strand schlagen wir die Zeitung auf – und gleich wieder zu. Die Welt brennt in Kriegen an allen Orten und wir im Frieden, im Sicheren, greifen nach der Sonnencreme statt nach der Zeitung. Doch da bleibt ein ungutes Gefühl, nagt ein schlechtes Gewissen. Darf man sich sein Friedensglück so ganz ungetrübt erlauben? Es ist und bleibt ein Skandal, dass Menschen derart aufeinander losgehen und unzählige Unschuldige unter der Gewalt zu leiden haben. Ein Skandal, zum dem man sich irgendwie verhalten muss.
Das ungute Gefühl hängt zusammen mit der Frage nach moralischen Pflichten auch über Distanzen hinweg. Diese Frage wird in der Philosophie erst seit wenigen Jahrzehnten intensiv diskutiert; seit die Welt medial vernetzt ist und ökonomisch wie politisch verflochten. Liberale Denker wie Peter Singer und Thomas Pogge fordern weltweites moralisches Engagement. Kommunitaristen wie Michael Walzer dagegen ziehen engere Grenzen für moralische Verantwortlichkeit, besonders was Hilfspflichten angeht.
Was das Lesen über unerträgliche Zustände bringt
Wie aber steht es allein mit dieser kleinen Frage, die man sich eben auf der Strandmatte stellt: Sollen wir uns überhaupt nur informieren und hinsehen? Was sollte das bringen, wenn wir nicht zu den politischen Entscheidern und konkreten Helfern gehören? Warum sollten wir uns den Urlaub verderben durch Berichte über die unerträglichen Zustände der Flüchtlinge und Bilder verstümmelten Kriegsopfer?
Die amerikanische Essayistin Susan Sontag hat ihre Position zu Kriegsbildern über die Jahre hinweg verändert. Ende der 70er kritisierte sie die vielen Bilder in den Medien noch, da sie uns abstumpfen ließen. 25 Jahre später erklärte sie die Bilder dann doch für nötig. Es sei wichtig, das Leid anderer zu betrachten, und zwar einfach deshalb, um es nicht zu vergessen. Wir stellen uns das unvorstellbare Leid nicht vor, wenn wir es nicht zumindest manchmal in Bildern sehen.
Die angemessene Haltung in der Frage könnte man eine der moralischen Aufmerksamkeit und Sensibilität nennen. Zu der gehört, weder gleichgültig oder verdrängend mit den Berichten über die Verletzten und Toten umzugehen, noch ihnen so viel Raum im eigenen Leben zu geben, das man dies selbst nicht mehr genießen könnte. Für diese Aufmerksamkeit sprechen mindestens zwei Gründe, die über billige Gewissensberuhigung hinausgehen.
Mündigkeit im doppelten Sinne
Zum einen macht uns Wissen über die Zustände in den Kriegsregionen und über die Verwicklungen, die dazu geführt haben, zu mündigen Menschen in zwei Hinsichten: Mündig im Wertschätzen dessen, was man selbst hat; den Frieden, den Wohlstand. Und mündig darin zu sehen, wo es über die Aufmerksamkeit hinaus sinnvolle Möglichkeiten der eigenen Handlungen im Kleinen gibt; das heißt zu spenden oder politisch aktiv zu werden.
Vielleicht noch wichtiger ist das andere. Die Kriegsreporterin und Philosophin Carolin Emcke hat eines auf ihren Recherchen immer wieder erlebt: Die Menschen in den Krisengebieten hungern nicht nur nach dem Nötigsten zum Überleben, sondern sie hungern auch allein nach Beachtung. "Schreibst Du das auf?“, wurde Emcke unzählige Male gefragt, "flehend oft, fordernd auch“, wie sie erzählt. Offenbar hilft es, wenn die Opfer wenigstens wissen dürfen, dass andere von ihrem Leid wissen; dass ihr Leid nicht ungesehen bleibt.
Und damit das tatsächlich so ist, eben dafür muss es Leser und Leserinnen geben, die das Aufgeschriebene, die Situationen und Geschichten der Menschen tatsächlich wahrnehmen. Dafür muss es Menschen geben, die auch auf der Strandmatte die Zeitung aufschlagen.
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