Hier geht es zur Playlist der Sendung.
"Es ist ganz überflüssig, dass es von mir Platten gibt"
Er sah sich als Komponist und spielte Klavier, um seine Familie zu ernähren. Trotzdem war Eduard Erdmann einst als Pianist berühmt. Es lohnt sich, seine wenigen Aufnahmen wiederzuhören.
Zwischen Komponieren und Musizieren wurde früher weniger unterschieden, als das heute der Fall ist. Mozart und Beethoven brachten ihre Werke persönlich zu Gehör, und im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein Kult um Liszt oder Paganini, die als Interpreten ihrer selbst gefeiert wurden. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts trennten sich die Sphären, doch gerade in dieser Übergangszeit, in die auch die Entwicklung der Tonaufzeichnung fällt, traten viele Musiker in Erscheinung, die sich selbst als Komponisten sahen, aber vom Publikum als Interpreten gesehen wurden. Dazu gehörten Artur Schnabel, Wilhelm Furtwängler und Eduard Erdmann, der 1896 – ein Jahr nach den großen Pianisten Walter Gieseking, Clara Haskil und Wilhelm Kempff – geboren wurde.
Vom Baltikum nach Berlin
Man tritt den Genannten sicherlich nicht zu nahe, wenn man Erdmann als eine in jeder Hinsicht herausragende Gestalt dieser Generation bezeichnet. Der im heutigen Lettland aufgewachsene Baltendeutsche studierte in Berlin bei dem Liszt-Schüler Conrad Ansorge Klavier und bei dem Expressionisten Heinz Tiessen Komposition. Arthur Nikisch führte eines seiner Werke mit den Berliner Philharmonikern auf – einem Orchester, mit dem Erdmann auch als Solist erschien.
Er trat mit Gieseking im Klavierduo auf und konzertierte unter Furtwänglers Leitung; er spielte in den 1920er Jahren noch Klavierwalzen in London ein, um dann bis zu seinem Tod 1958 einer gelegentlichen Aufnahmetätigkeit vor allem in Rundfunkstudios nachzugehen. Sein Repertoire-Favorit war dabei Franz Schubert, dessen teils belächelte, teils vergessene, teils nie bekannt gewordene Klaviersonaten er als einer der ersten entdeckte. Überhaupt war er ein Pionier, sei es in der Interpretation von Musik aus Spätrenaissance und Frühbarock oder auch von Musik aus seiner Zeit. Debussys Préludes nahm er nur wenige Jahre nach deren Uraufführung auf, gleiches gilt für die Klaviermusik von Schönberg oder Krenek.
Vom Konzertsaal ins Tonstudio
Allerdings: Das Klavierspiel betrachtete Erdmann als Brotberuf, die Arbeit im Studio empfand er als lästige Nebensache. Ihm, dem die geistige Durchdringung der Musik über alles ging, und dem schon Konzerte ein notwendiges Übel waren, konnte Mikrofone nicht leiden, und er lehnte nicht nur Schnitte ab, sondern wiederholte auch ganze Sätze nur ungern. Es wird berichtet, dass er sich für die Einspielung einer 40 Minuten langen Schubert-Sonate nur eine Stunde Zeit nahm.
Ungleich mehr investierte Erdmann in den Aufbau einer Bibliothek, die er in seinem Haus in Langballigau an der Flensburger Förde als eine der bedeutendsten privaten Büchersammlungen Deutschlands anlegte. Und nachdem es an der Kölner Musikhochschule zu Übergriffen auf jüdische Kollegen gekommen war, kündigte Erdmann 1935 seine Professur und zog sich nach Langballigau zurück. Dort arrangierte er sich zwar mit dem NS-Regime, ging dabei aber nicht annähernd so weit wie sein Freund und späterer Schwiegersohn Emil Nolde.
Brücke zur Bildenden Kunst
Während Erdmanns spärliche Aufnahmen nicht leicht aufzutreiben sind, kann man seine Persönlichkeit, sein Leben an der Ostsee, seine enge Verbindung zu Nolde und zu den Malern der "Brücke" jetzt in einem neuen Buch nachvollziehen. Diese Publikation des Wachholtz-Verlages versammelt faszinierende Dokumente und Kunstwerke aus Erdmanns Besitz sowie literarisch brillante Texte seiner Frau Irene, die auch Bildende Künstlerin und nebenbei Mutter von vier Kindern war – und die so gut Klavier spielen konnte, dass "Ned" (so Erdmanns Spitzname) bei ihr in die Lehre ging.
Unser Studiogast Steffen Schleiermacher ist Enkelschüler Eduard Erdmanns. Er stellt ausgewählte Aufnahmen vor und erzählt, wie er als Pianist und Komponist den Pianisten und Komponisten Erdmann einschätzt.