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Musik muss erlebt werden
Über sechs Jahrzehnte war Wilhelm Kempff auf der Bühne zu Hause. Der Poet am Klavier hat besonders als Interpret Beethovens und Schuberts Maßstäbe gesetzt. Anderes ist noch zu entdecken, darunter seine eigenen Kompositionen.
Wilhelm Kempff – der Poet am Klavier. 1991 ist er im hohen Alter in Positano, Italien, gestorben, am 25. November 2020 gedenkt die Musikwelt seines 125. Geburtstags. Als Kantorensohn kam Wilhelm Kempff 1895 in Jüterbog zur Welt und war vor allem geprägt durch die geistliche Musik seines Vaters. Über die Orgel fand er dann zum Klavier und zur Komposition.
Im Laufe seines langen Lebens hat Kempff überwiegend das klassische und romantische Repertoire gepflegt: Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms, aber auch ausgewählte Werke von Franz Liszt. Erste Einspielungen von Kempff gibt es schon aus den 1920-er Jahren.
Inspiration des Augenblicks
In seinem Selbstverständnis als Interpret nahm er für sich in Anspruch, zwischen der Komposition und dem Publikum zu vermitteln: "Beethoven muss interpretiert werden. Falsch interpretiert ruft eine Sonate von Beethoven 'absolute Langeweile' hervor."
Kempffs Interpretationen leben vom unaufgeregten, natürlichen Zugang, vom klaren Sinn für die Form und den langen Atem, von einem ausbalancierten Klang und der Vorliebe für flüssige Tempi. Große Gesten und Virtuosentum waren ihm ebenso fremd wie vorgeformte Interpretationen; in seinen Konzerten vertraute Kempff auf die "Inspiration des Augenblicks".
"Ich bin kein Romantiker" – oder doch?
Intensiv setzte sich Kempff mit dem romantischen Repertoire auseinander. Dabei sah er sich selbst als "Klassiker" – seine Interpretationen sind denn auch geprägt durch eine klare Line und fast nüchterne Spielhaltung.
Dennoch waren seine musikästhetischen Vorstellungen fest in der Romantik verankert. In seiner Abneigung gegenüber der musikalischen Avantgarde fühlte er sich von der nationalsozialistischen Musikpolitik möglicherweise verstanden. Unter Hitler konzertierte Kempff als Aushängeschild der nationalsozialistischen Kulturpropaganda ungehindert weiter.
Kempff als Komponist
Nahezu unbekannt ist heute seine Tätigkeit als Komponist. Kempffs Werkverzeichnis umfasst unter anderem zwei Sinfonien, Klavier- und Kammermusik und ein umfangreiches Liedœuvre. Allein zwischen 1946 und 1947 sind 100 Lieder entstanden. Außerdem hat er von 1928 bis 1937 vier abendfüllende Opern komponiert.
Unser Studiogast Klaus Hellwig hat Wilhelm Kempff noch persönlich erlebt und an seinen Meisterkursen teilgenommen. Als Solist und Kammermusikpianist spielte er überall auf der Welt; heute gibt er seine Erfahrung in einer Klavierklasse an der Universität der Künste sowie als Juror in zahlreichen Wettbewerben weiter.