Der Plastikstrand von Hawaii
Das Meer treibt die Reste der Wohlstandsgesellschaft wieder an Land. In Hawaii ist mancherorts der Sand von winzigen Kunststoffteilchen durchsetzt. Umweltschützer kämpfen tapfer gegen die Müllflut.
Megan Lamson: "Es gibt auf Hawaii alte, weise Sprichwörter über die Ka'alu'alu-Bucht. Sie besagen, dass Kamilo ein Becken war, an dem Treibgut an Land spülte. Das war der Ort, an dem die Leute nach geliebten Menschen suchten, die ins Meer gezogen worden waren. Die Gegend um Kamilo Beach ist auch ein Fangbecken für Dinge, die im Ozean treiben. Früher waren das große, schwere Stücke aus Holz von anderen Kontinenten, heute ist es eine Menge Plastik."
Nicht einmal die Kokosnuss hat es bis an die Strände der Vulkaninseln geschafft. Das Plastik konnte der Pazifik dagegen nicht aufhalten. Das merken besonders die Bewohner der Südspitze der Big Island von Hawaii. Auf mehreren Kilometern Küste schwemmt immer wieder Treibgut aus Plastik an. Selbst der sogenannte grüne Strand der Insel, an dem Touristen Sand aus seltenem grün schimmernden Olivinstein bewundern, bleibt nicht verschont.
Nach Kamilo Beach verirren sich nur wenige. Dabei könnte der Strand der Inbegriff eines romantischen Aussteigertraums sein. Vor den saftig-grünen Ausläufern des Vulkans Mauna Loa reichen schwarze Lavafelsen in den Pazifik und bilden seichte Becken. Kleine Fische und Krebse schwirren durch die warmen Tümpel. Hinter schroffen Steinen tobt das Meer. Am Ufer spenden Bäume und Büsche Schatten - aber weit und breit kein Tourist.
Terry Shibuya hat ihre dunklen Haare zum Dutt gedreht und eine bunte Sonnenblende auf die Stirn gezogen. Sie ist Mitte 40 und arbeitet als Betreuerin eines Förderprogramms für Minderjährige aus der Gegend, die Suchtprobleme haben. Der Ausflug der Jugendlichen nach Kamilo Beach gehört zum Programm. Einige von ihnen hat sie heute mit an den Strand gebracht.
Terry Shibuya: "Malama, das heißt: sich kümmern. Es bedeutet, dass für alles um uns herum gesorgt werden muss. Wie für das Land. Wir bringen die Kinder hierher, damit sie den Strand aufräumen, weil sie hier geboren und aufgewachsen sind. Wir nennen das Kuliana, Verantwortung. Wir werden älter, eines Tages sind wir nicht mehr da. Es ist der Kreislauf des Lebens. Die nächste Generation kommt. Wir wollen, dass die Kinder wissen, wie wichtig es ist, die Strände zu retten, weil es ihre Verbindung zu ihrer Herkunft und ihrer Kultur ist. Ich bin so glücklich, dass die Kinder heute die Initiative ergriffen haben und uns dabei helfen, den Strand sauber zu machen."
Viel ist in diesem abgelegenen Teil Hawaiis nicht los. Die Arbeitslosenquote ist hoch. Joints rauchen und Reggae auf einer der lokalen Radiostationen hören, das gehört zu den Alltags-Beschäftigungen von Jugendlichen. Terry Shibuya hofft, dass der Strand-Ausflug die Teenager auf andere Gedanken bringt. Wie sie selbst haben die meisten von ihnen polynesische Vorfahren.
Bewaffnet mit großen Mülltüten laufen die Helfer den Strand entlang und sammeln alles ein, was wie Plastik aussieht. Drei der Jungen klettern auf Lavafelsen und ziehen einen Autositz aus dem Wasser. Er ist fast intakt. Zu den Fundsachen gehören weiterhin ein alter Schuh, ein kaputter Plastikkanister und der hellblaue Griff eines Einmalrasierers. Manches trägt Spuren von Meerestieren, wie das Kalkskelett einer Koralle, das sich an ein grünes Plastikrohr geheftet hat. Die Meeresbiologin Megan Lamson hat das alles schon zigmal gesehen:
"Wir finden eine Unmenge von Zahnbürsten und Kämmen, Plastikdeckeln und immer wieder Flaschen, meistens aus Plastik. Etwa 60 bis 80 Prozent des Mülls besteht aus Kunststoff. Der Rest ist Metall, Styropor, Gummi und Holz. Wir finden Bojen, Fischernetze, Bauhelme, Plastikteller und medizinische Spritzen. Und manche Dinge, die man nicht so gern aufhebt, wie Kondome und Tampons. Einmal habe ich ein Surfboard gefunden und versucht, es zu reparieren. Manches, was wir finden, ist klein wie eine Erbse, anderes tonnenschwer. Alles dazwischen sammeln wir auch auf."
Der Strand ist mit bunten Plastikteilen nur so übersät. Im Sand liegt ein undefinierbarer Klumpen, der aussieht wie ein großes Stück Beton. Er entpuppt sich als Fischernetz. Jemand muss es verbrannt haben. Die Jugendlichen, die zum ersten Mal hier sind, hieven das schwere Stück auf die Ladefläche des Pick-Ups.
Megan Lamson: "Solange ich mich erinnern kann und solange sich meine Großeltern erinnern, schwemmt hier Müll am Strand an. Das kommt alles aus anderen Teilen der Welt, aus Japan oder Korea. Es gibt Zubehör aus Fischereibetrieben mit japanischen oder koreanischen Zeichen oder Fässer mit Beschriftung von diesen Orten."
Auch Chris Kekua muss mit dem Plastikmüll leben. Der braungebrannte 32-jährige kommt aus einer Fischerfamilie und ist an der Südspitze Hawaiis aufgewachsen. Heute schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, mal auf Baustellen, mal auf Fischerbooten. All der Müll, der seiner Meinung nach von auswärts kommt, macht ihn wütend:
"Opala, das bedeutet Müll, der nicht hierher gehört. Netze und der ganze Kram, das ist nicht von hier, also ist es alles Opala. Es verletzt das Korallenriff, verletzt die Küste, die Schildkröten, die Fische. Es ist wirklich schlecht für die Umwelt, für Hawaii."
Die Meeresbiologin Megan Lamson ist sich weniger sicher, woher die Funde am Kamilo Beach stammen. Bei manchen muss sie schon am Strand zweimal hinsehen:
"Selbst wenn du versuchst, Fischernetze durch ihre Farbe, Knüpfung oder Knoten zu identifizieren und dadurch einem bestimmten Typ Fischerei oder einem Ort zuzuordnen, weißt du immer noch nicht, wo sie im Ozean zurückgelassen wurden. Wenn wir an einem Angelschwimmer ein Etikett mit Telefonnummer vom Festland finden, aus Portland zum Beispiel, wissen wir noch nicht, ob das Boot ihn in Portland oder direkt vor der Küste Hawaiis verloren hat. Das kann man nie genau sagen."
Für die Frage, wie das Plastik nach Kamilo Beach kommt, interessieren sich auch die Wissenschaftler des International Pacific Research Center der Universität von Hawaii. Nikolai Maximenko und sein Team versuchen, die Wege des Kunststoffs im Meer zu verfolgen. Der Ozeanograf ist davon überzeugt, dass ein Großteil des Mülls aus einem Gebiet nördlich der Inseln kommt. Dort zirkulieren Unmengen von Plastik in einem riesigen Müllwirbel:
"An unseren Stränden finden wir Müll aus allen Teilen des Nordpazifiks. Teile, von denen wir wissen, dass sie aus Asien kommen, von der Westküste Nordamerikas, und natürlich auch von lokalen Produkten. Wenn die Strömungen konstant wären, würde der Müll im Ozean immer an der gleichen Stelle zirkulieren. Der Jahres-Zyklus und Phänomene wie El Niño verändern die Strömungsverhältnisse aber. In solchen Momenten kommt der Müll, der sich im Nordpazifik sammelt, nach Hawaii."
Wind und Strömung sorgen dafür, dass sich Treibgut in bestimmten Gegenden des Meeres sammelt. Weil zwischen Äquator und Polkappen ein starker Temperaturunterschied herrscht, kommt es in subtropischen Breiten zu großen Wirbeln, die sich im Kreis bewegen. Insgesamt fünf davon gibt es in den Weltmeeren: Zwei im Pazifik, zwei im Atlantik und einen im Indischen Ozean. In diesen Gebieten landet laut Maximenkos Berechnungen ein Großteil des Mülls, der im Meer entsorgt wird.
Nikolai Maximenko: "Dass es Müllansammlungen im Meer gibt, wissen wir. Was wir aber nicht wissen, ist, woher dieses Plastik kommt und wo es hingeht. Im Nordatlantik sieht es so aus, als habe die wachsende Plastikproduktion keine höhere Dichte von Mikroplastik im Wasser zur Folge. Es verschwindet also irgendwie. Einige haben schon versucht, das Plastik auf dem Meeresboden zu finden, direkt unter dem Gebiet, wo sich der Müll sammelt. Das ist aber der letzte Ort, wo ich schauen würde: Weil das, was sinkt, zur Seite weggedrückt wird, ist der Boden unter einem Müllwirbel wahrscheinlich einer der saubersten Orte im Ozean."
Auf Satellitenbildern sind solche Wirbel nicht zu erkennen. Nikolai Maximenko und sein Team erforschen deshalb durch Computersimulation, wie sich Plastik im Wasser sammelt und wie es sich bewegt. Dadurch können die Forscher gezielter nach Plastikmüll im Meer suchen. Zwei Segler, die gerade auf Weltreise sind, helfen den Wissenschaftlern dabei. Mit wissenschaftlichen Geräten ausgestattet sammeln sie Wasserproben. Gerade sind erste Ergebnisse von den Osterinseln eingegangen: Auch im südlichen Teil des Pazifiks könnte ein Müllwirbels liegen, der allerdings nicht immer zu sehen ist. Denn ein Großteil des Plastiks zerfällt in winzige Teile, die unter Gischt und Wellen verschwinden.
Dass aber die kleinen Teile das größte Problem sind, wird auch der Meeresbiologin Megan Lamson mehr und mehr bewusst:
"Leider löst sich Plastik nicht vollständig auf, sondern wird unter UV-Einstrahlung im Salzwasser porös und zerfällt in immer kleinere Teile. Viel von dem, was wir finden, sind sehr kleine, unidentifizierbare Teile. Man weiß nicht, sind sie von einer Flasche, einem Angelschwimmer oder etwas anderem. Wir haben erst kürzlich begonnen, auch diese kleinen Teile aufzuheben, weil wir uns vorher so auf die größeren Gegenstände konzentriert haben. Aber jetzt wird uns langsam klar, wie groß der Anteil dieser kleinen Teile ist."
Zwei Stunden lang haben die Umweltschützer Plastikteile am Strand gesammelt. Jetzt sind ihre Tüten voll. Um auch die kleinen Teile zu sammeln, füllt Megan Lamson einen großen Kunststoffbehälter mit Meerwasser und Sand. Die kleinen Steine fallen auf den Grund, das leichtere Plastik schwimmt. Mit dem Kescher schöpft sie es aus dem Bottich.
Donna Kahakui schaut beeindruckt zu, wie die provisorische Filteranlage Sand von Plastik trennt. Die begeisterte Kanu-Fahrerin findet auf jeder Paddeltour Plastiktüten im Wasser. Sie arbeitet als Mitarbeiterin der amerikanischen Umweltbehörde EPA und ist extra auf die Südinsel gekommen, um die Aktion am Strand zu unterstützen:
"Besonders wir, die wir von diesen Inseln abstammen, tragen die Verantwortung und sollten uns fragen, was wir für den Ozean tun können. In unserem mündlich überliefertem Schöpfungsgesang, dem Kumulipo, heißt es, dass der Korallenpolyp eines der ersten Lebewesen war, die geschaffen wurden. Wenn ich mit den Kindern spreche, sage ich ihnen: Ihr stammt vom Korallenpolyp ab und damit vom Meer. Ihr seid Teil des Meeres. Heißt das nicht, das es vor allem unsere Verantwortung ist, unser Kuliana, unseren Ozean zu schützen?"
Die Ladefläche des Pick-ups ist mit Tüten und Netzen beladen. Bevor es zurück in die Stadt zur Mülldeponie geht, nehmen die Helfer noch einen Schluck aus den Wasserflaschen. Wie die Mülltüten und die Folien für ihre Butterbrote sind sie aus Plastik. Auch die Umweltaktivisten arbeiten mit dem Material, dass das Meer bedroht.
Megan Lamson: "Auch wir leben in einer Plastikwelt, wir verlassen uns darauf, es ist ein sehr funktionales Material. Aber wir sind mittlerweile an einen Punkt gekommen, wo es einfach zuviel ist. Ich denke, jeder von uns wird für sich selbst eine Balance finden müssen. Wir wollen mit gutem Beispiel voran zu gehen. Ich wünschte, wir könnten Wasserflaschen aus Edelstahl mitnehmen. Ich weiß ja nicht, wie es bei euch da drüben so aussieht. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist unser Land finanziell am Rudern, es gibt wenige staatliche Zuschüsse. Deshalb können wir nicht jedem eine Edelstahlflasche für sieben Dollar mitbringen."
Trotz aller Sorge um die Umwelt – auch auf Hawai dominiert die Wegwerfkultur: Viele Restaurants servieren Essen nur auf Plastikgeschirr. Manche Produkte im Supermarkt sind gleich doppelt eingepackt. Terry Shibuya ist dieser Widerspruch zur Tradition der Insel durchaus bewusst:
"Meine Eltern haben uns beigebracht, niemals gierig zu sein. Nimm nur, was du brauchst. Der Ozean ist unser Kühlschrank. Er ist es, der uns alle hier ernährt. Wenn etwas passiert, wie ein Tsunami oder Wirbelsturm, es keinen Strom mehr gäbe, die Läden weggespült wären. Wo würdest du dir etwas zu essen besorgen? Im, Ozean, der uns immer Nahrung geben wird. Also müssen wir uns um unseren Ozean kümmern."
Dank der Umweltschützer sieht Kamilo Beach jetzt besser aus als noch vor ein paar Jahren. Auch auf den anderen Inseln versuchen die Menschen. den Müll zu bekämpfen: Auf Maui gibt es erste politische Schritte, den eigenen Kunststoffmüll zu reduzieren. Seit kurzem dürfen dort Supermärkte keine Plastiktüten mehr ausgeben. Große Schilder an den Eingangstüren erinnern die Leute daran, ihre eigene Einkaufstasche mitzubringen. Auf anderen Inseln wird ebenfalls darüber diskutiert. Aber es könnte auch Widerstand geben, befürchtet Donna Kahakui:
"Ich glaube, Honolulu wird sich schwer tun. Schau dir O'ahu an, die Insel hat etwa 800 Tausend Bewohner. Da gibt es eine große politische Lobby von Leuten aus der Wirtschaft, die Plastiktüten behalten wollen. Die Leute wollen ihren Komfort nicht aufgeben. Aber wenn Plastiktüten dort nicht verboten werden, dann sollten sie wenigstens zahlen. Macht 50 Cents daraus! Vielleicht fangen die Leute dann an, etwas zu ändern."
Nicht einmal die Kokosnuss hat es bis an die Strände der Vulkaninseln geschafft. Das Plastik konnte der Pazifik dagegen nicht aufhalten. Das merken besonders die Bewohner der Südspitze der Big Island von Hawaii. Auf mehreren Kilometern Küste schwemmt immer wieder Treibgut aus Plastik an. Selbst der sogenannte grüne Strand der Insel, an dem Touristen Sand aus seltenem grün schimmernden Olivinstein bewundern, bleibt nicht verschont.
Nach Kamilo Beach verirren sich nur wenige. Dabei könnte der Strand der Inbegriff eines romantischen Aussteigertraums sein. Vor den saftig-grünen Ausläufern des Vulkans Mauna Loa reichen schwarze Lavafelsen in den Pazifik und bilden seichte Becken. Kleine Fische und Krebse schwirren durch die warmen Tümpel. Hinter schroffen Steinen tobt das Meer. Am Ufer spenden Bäume und Büsche Schatten - aber weit und breit kein Tourist.
Terry Shibuya hat ihre dunklen Haare zum Dutt gedreht und eine bunte Sonnenblende auf die Stirn gezogen. Sie ist Mitte 40 und arbeitet als Betreuerin eines Förderprogramms für Minderjährige aus der Gegend, die Suchtprobleme haben. Der Ausflug der Jugendlichen nach Kamilo Beach gehört zum Programm. Einige von ihnen hat sie heute mit an den Strand gebracht.
Terry Shibuya: "Malama, das heißt: sich kümmern. Es bedeutet, dass für alles um uns herum gesorgt werden muss. Wie für das Land. Wir bringen die Kinder hierher, damit sie den Strand aufräumen, weil sie hier geboren und aufgewachsen sind. Wir nennen das Kuliana, Verantwortung. Wir werden älter, eines Tages sind wir nicht mehr da. Es ist der Kreislauf des Lebens. Die nächste Generation kommt. Wir wollen, dass die Kinder wissen, wie wichtig es ist, die Strände zu retten, weil es ihre Verbindung zu ihrer Herkunft und ihrer Kultur ist. Ich bin so glücklich, dass die Kinder heute die Initiative ergriffen haben und uns dabei helfen, den Strand sauber zu machen."
Viel ist in diesem abgelegenen Teil Hawaiis nicht los. Die Arbeitslosenquote ist hoch. Joints rauchen und Reggae auf einer der lokalen Radiostationen hören, das gehört zu den Alltags-Beschäftigungen von Jugendlichen. Terry Shibuya hofft, dass der Strand-Ausflug die Teenager auf andere Gedanken bringt. Wie sie selbst haben die meisten von ihnen polynesische Vorfahren.
Bewaffnet mit großen Mülltüten laufen die Helfer den Strand entlang und sammeln alles ein, was wie Plastik aussieht. Drei der Jungen klettern auf Lavafelsen und ziehen einen Autositz aus dem Wasser. Er ist fast intakt. Zu den Fundsachen gehören weiterhin ein alter Schuh, ein kaputter Plastikkanister und der hellblaue Griff eines Einmalrasierers. Manches trägt Spuren von Meerestieren, wie das Kalkskelett einer Koralle, das sich an ein grünes Plastikrohr geheftet hat. Die Meeresbiologin Megan Lamson hat das alles schon zigmal gesehen:
"Wir finden eine Unmenge von Zahnbürsten und Kämmen, Plastikdeckeln und immer wieder Flaschen, meistens aus Plastik. Etwa 60 bis 80 Prozent des Mülls besteht aus Kunststoff. Der Rest ist Metall, Styropor, Gummi und Holz. Wir finden Bojen, Fischernetze, Bauhelme, Plastikteller und medizinische Spritzen. Und manche Dinge, die man nicht so gern aufhebt, wie Kondome und Tampons. Einmal habe ich ein Surfboard gefunden und versucht, es zu reparieren. Manches, was wir finden, ist klein wie eine Erbse, anderes tonnenschwer. Alles dazwischen sammeln wir auch auf."
Der Strand ist mit bunten Plastikteilen nur so übersät. Im Sand liegt ein undefinierbarer Klumpen, der aussieht wie ein großes Stück Beton. Er entpuppt sich als Fischernetz. Jemand muss es verbrannt haben. Die Jugendlichen, die zum ersten Mal hier sind, hieven das schwere Stück auf die Ladefläche des Pick-Ups.
Megan Lamson: "Solange ich mich erinnern kann und solange sich meine Großeltern erinnern, schwemmt hier Müll am Strand an. Das kommt alles aus anderen Teilen der Welt, aus Japan oder Korea. Es gibt Zubehör aus Fischereibetrieben mit japanischen oder koreanischen Zeichen oder Fässer mit Beschriftung von diesen Orten."
Auch Chris Kekua muss mit dem Plastikmüll leben. Der braungebrannte 32-jährige kommt aus einer Fischerfamilie und ist an der Südspitze Hawaiis aufgewachsen. Heute schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, mal auf Baustellen, mal auf Fischerbooten. All der Müll, der seiner Meinung nach von auswärts kommt, macht ihn wütend:
"Opala, das bedeutet Müll, der nicht hierher gehört. Netze und der ganze Kram, das ist nicht von hier, also ist es alles Opala. Es verletzt das Korallenriff, verletzt die Küste, die Schildkröten, die Fische. Es ist wirklich schlecht für die Umwelt, für Hawaii."
Die Meeresbiologin Megan Lamson ist sich weniger sicher, woher die Funde am Kamilo Beach stammen. Bei manchen muss sie schon am Strand zweimal hinsehen:
"Selbst wenn du versuchst, Fischernetze durch ihre Farbe, Knüpfung oder Knoten zu identifizieren und dadurch einem bestimmten Typ Fischerei oder einem Ort zuzuordnen, weißt du immer noch nicht, wo sie im Ozean zurückgelassen wurden. Wenn wir an einem Angelschwimmer ein Etikett mit Telefonnummer vom Festland finden, aus Portland zum Beispiel, wissen wir noch nicht, ob das Boot ihn in Portland oder direkt vor der Küste Hawaiis verloren hat. Das kann man nie genau sagen."
Für die Frage, wie das Plastik nach Kamilo Beach kommt, interessieren sich auch die Wissenschaftler des International Pacific Research Center der Universität von Hawaii. Nikolai Maximenko und sein Team versuchen, die Wege des Kunststoffs im Meer zu verfolgen. Der Ozeanograf ist davon überzeugt, dass ein Großteil des Mülls aus einem Gebiet nördlich der Inseln kommt. Dort zirkulieren Unmengen von Plastik in einem riesigen Müllwirbel:
"An unseren Stränden finden wir Müll aus allen Teilen des Nordpazifiks. Teile, von denen wir wissen, dass sie aus Asien kommen, von der Westküste Nordamerikas, und natürlich auch von lokalen Produkten. Wenn die Strömungen konstant wären, würde der Müll im Ozean immer an der gleichen Stelle zirkulieren. Der Jahres-Zyklus und Phänomene wie El Niño verändern die Strömungsverhältnisse aber. In solchen Momenten kommt der Müll, der sich im Nordpazifik sammelt, nach Hawaii."
Wind und Strömung sorgen dafür, dass sich Treibgut in bestimmten Gegenden des Meeres sammelt. Weil zwischen Äquator und Polkappen ein starker Temperaturunterschied herrscht, kommt es in subtropischen Breiten zu großen Wirbeln, die sich im Kreis bewegen. Insgesamt fünf davon gibt es in den Weltmeeren: Zwei im Pazifik, zwei im Atlantik und einen im Indischen Ozean. In diesen Gebieten landet laut Maximenkos Berechnungen ein Großteil des Mülls, der im Meer entsorgt wird.
Nikolai Maximenko: "Dass es Müllansammlungen im Meer gibt, wissen wir. Was wir aber nicht wissen, ist, woher dieses Plastik kommt und wo es hingeht. Im Nordatlantik sieht es so aus, als habe die wachsende Plastikproduktion keine höhere Dichte von Mikroplastik im Wasser zur Folge. Es verschwindet also irgendwie. Einige haben schon versucht, das Plastik auf dem Meeresboden zu finden, direkt unter dem Gebiet, wo sich der Müll sammelt. Das ist aber der letzte Ort, wo ich schauen würde: Weil das, was sinkt, zur Seite weggedrückt wird, ist der Boden unter einem Müllwirbel wahrscheinlich einer der saubersten Orte im Ozean."
Auf Satellitenbildern sind solche Wirbel nicht zu erkennen. Nikolai Maximenko und sein Team erforschen deshalb durch Computersimulation, wie sich Plastik im Wasser sammelt und wie es sich bewegt. Dadurch können die Forscher gezielter nach Plastikmüll im Meer suchen. Zwei Segler, die gerade auf Weltreise sind, helfen den Wissenschaftlern dabei. Mit wissenschaftlichen Geräten ausgestattet sammeln sie Wasserproben. Gerade sind erste Ergebnisse von den Osterinseln eingegangen: Auch im südlichen Teil des Pazifiks könnte ein Müllwirbels liegen, der allerdings nicht immer zu sehen ist. Denn ein Großteil des Plastiks zerfällt in winzige Teile, die unter Gischt und Wellen verschwinden.
Dass aber die kleinen Teile das größte Problem sind, wird auch der Meeresbiologin Megan Lamson mehr und mehr bewusst:
"Leider löst sich Plastik nicht vollständig auf, sondern wird unter UV-Einstrahlung im Salzwasser porös und zerfällt in immer kleinere Teile. Viel von dem, was wir finden, sind sehr kleine, unidentifizierbare Teile. Man weiß nicht, sind sie von einer Flasche, einem Angelschwimmer oder etwas anderem. Wir haben erst kürzlich begonnen, auch diese kleinen Teile aufzuheben, weil wir uns vorher so auf die größeren Gegenstände konzentriert haben. Aber jetzt wird uns langsam klar, wie groß der Anteil dieser kleinen Teile ist."
Zwei Stunden lang haben die Umweltschützer Plastikteile am Strand gesammelt. Jetzt sind ihre Tüten voll. Um auch die kleinen Teile zu sammeln, füllt Megan Lamson einen großen Kunststoffbehälter mit Meerwasser und Sand. Die kleinen Steine fallen auf den Grund, das leichtere Plastik schwimmt. Mit dem Kescher schöpft sie es aus dem Bottich.
Donna Kahakui schaut beeindruckt zu, wie die provisorische Filteranlage Sand von Plastik trennt. Die begeisterte Kanu-Fahrerin findet auf jeder Paddeltour Plastiktüten im Wasser. Sie arbeitet als Mitarbeiterin der amerikanischen Umweltbehörde EPA und ist extra auf die Südinsel gekommen, um die Aktion am Strand zu unterstützen:
"Besonders wir, die wir von diesen Inseln abstammen, tragen die Verantwortung und sollten uns fragen, was wir für den Ozean tun können. In unserem mündlich überliefertem Schöpfungsgesang, dem Kumulipo, heißt es, dass der Korallenpolyp eines der ersten Lebewesen war, die geschaffen wurden. Wenn ich mit den Kindern spreche, sage ich ihnen: Ihr stammt vom Korallenpolyp ab und damit vom Meer. Ihr seid Teil des Meeres. Heißt das nicht, das es vor allem unsere Verantwortung ist, unser Kuliana, unseren Ozean zu schützen?"
Die Ladefläche des Pick-ups ist mit Tüten und Netzen beladen. Bevor es zurück in die Stadt zur Mülldeponie geht, nehmen die Helfer noch einen Schluck aus den Wasserflaschen. Wie die Mülltüten und die Folien für ihre Butterbrote sind sie aus Plastik. Auch die Umweltaktivisten arbeiten mit dem Material, dass das Meer bedroht.
Megan Lamson: "Auch wir leben in einer Plastikwelt, wir verlassen uns darauf, es ist ein sehr funktionales Material. Aber wir sind mittlerweile an einen Punkt gekommen, wo es einfach zuviel ist. Ich denke, jeder von uns wird für sich selbst eine Balance finden müssen. Wir wollen mit gutem Beispiel voran zu gehen. Ich wünschte, wir könnten Wasserflaschen aus Edelstahl mitnehmen. Ich weiß ja nicht, wie es bei euch da drüben so aussieht. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist unser Land finanziell am Rudern, es gibt wenige staatliche Zuschüsse. Deshalb können wir nicht jedem eine Edelstahlflasche für sieben Dollar mitbringen."
Trotz aller Sorge um die Umwelt – auch auf Hawai dominiert die Wegwerfkultur: Viele Restaurants servieren Essen nur auf Plastikgeschirr. Manche Produkte im Supermarkt sind gleich doppelt eingepackt. Terry Shibuya ist dieser Widerspruch zur Tradition der Insel durchaus bewusst:
"Meine Eltern haben uns beigebracht, niemals gierig zu sein. Nimm nur, was du brauchst. Der Ozean ist unser Kühlschrank. Er ist es, der uns alle hier ernährt. Wenn etwas passiert, wie ein Tsunami oder Wirbelsturm, es keinen Strom mehr gäbe, die Läden weggespült wären. Wo würdest du dir etwas zu essen besorgen? Im, Ozean, der uns immer Nahrung geben wird. Also müssen wir uns um unseren Ozean kümmern."
Dank der Umweltschützer sieht Kamilo Beach jetzt besser aus als noch vor ein paar Jahren. Auch auf den anderen Inseln versuchen die Menschen. den Müll zu bekämpfen: Auf Maui gibt es erste politische Schritte, den eigenen Kunststoffmüll zu reduzieren. Seit kurzem dürfen dort Supermärkte keine Plastiktüten mehr ausgeben. Große Schilder an den Eingangstüren erinnern die Leute daran, ihre eigene Einkaufstasche mitzubringen. Auf anderen Inseln wird ebenfalls darüber diskutiert. Aber es könnte auch Widerstand geben, befürchtet Donna Kahakui:
"Ich glaube, Honolulu wird sich schwer tun. Schau dir O'ahu an, die Insel hat etwa 800 Tausend Bewohner. Da gibt es eine große politische Lobby von Leuten aus der Wirtschaft, die Plastiktüten behalten wollen. Die Leute wollen ihren Komfort nicht aufgeben. Aber wenn Plastiktüten dort nicht verboten werden, dann sollten sie wenigstens zahlen. Macht 50 Cents daraus! Vielleicht fangen die Leute dann an, etwas zu ändern."