Der Polarkreis-Surfer

Von Marten Hahn |
Die Arktis ist nur wenigen Eingeweihten als Surfparadies bekannt. Einer von ihnen ist Ingo Olsen. Er verbringt jede freie Minute in den eisigen Wellen vor der isländischen Küste, egal ob im Sommer oder Winter.
"Wow, da bricht grad eine wahnsinnig coole Welle. Verdammt, ist die gut."

Immer wieder schaut Ingo Olsen Richtung Brandung. Es hält den Surfer wenig hier im Auto, am Strand, während draußen Wind und Wellen toben. Olsen ist 30 Jahre alt und hat eine Mission. Er will Island bekannt machen – als Mekka des Surfsports.

""Ich habe lange von solchen Orten wie Hawaii geträumt. Davon, mich in diesen wunderbar warmen Ozean zu stürzen, nur in Badehose. Ich habe aber nie daran gedacht, dass man hier in Island vernünftig surfen könnte."

Also ging Olsen snowboarden und nahm an Wettkämpfen in ganz Europa teil. Doch bis 2006 waren US-Soldaten auf einer Basis südlich von Reykjavik stationiert. Einige der GI's waren zuhause in den Staaten viel gesurft und suchten auch am Polarkreis nach Wellen:

"Die gingen dann mit ein paar Freunden von mir surfen, die ich vom Snowboarden kannte. Danach kamen sie zu mir und sagten: Ingo, du musst dir das anschauen. Man kann in Island wahnsinnig gut surfen. Und ich: Was? Ernsthaft? In Island?"

Heute organisiert Olsen seinen Alltag um den Sport herum. Er versucht, jede freie Minute im Wasser zu verbringen – egal ob Winter oder Sommer.

"Surfen in Island ist unglaublich. Es gibt nichts Vergleichbares. Keine Menschenmassen, endlos viele Wellen. Große Wellen."

Doch Island ist nicht die Algarve oder Südfrankreich. Surfschulen sucht man am Polarkreis vergebens.

"Das funktionierte meistens nach dem Prinzip: Hier ist ein Brett, dort ist das Meer und ein paar Wellen. Rein mit dir. Wir haben uns das alles selbst beigebracht. Natürlich haben wir auch viele Surffilme gesehen. Das hat auch geholfen."

Schon beim ersten Surfversuch machte Olsen Bekanntschaft mit den Tücken des Meeres:

"Als das Meer nach unten sackte, sah ich plötzlich dieses monströse Riff unter der Wasseroberfläche. Und ich dachte, Strömung und Wellen würden mich gegen das Riff schmettern. Verdammt, ich hatte solche Angst. Also paddelte ich wie ein Irrer und wurde immer müder. Ich schaffte es gerade noch, an der Ecke des Riffs vorbei zu schlüpfen."

Olsens Eltern hielten anfangs dementsprechend wenig von der neuen Leidenschaft ihres Sohnes. Doch wer bei sechs bis acht Grad Wassertemperatur regelmäßig ins Meer steigt, muss den Sport lieben.

"Mein erstes Brett hat mir dann meine Mutter gekauft. Sie war mit meiner Schwester auf einer Schottlandreise und hat mir das Brett von dort mitgebracht. Das war ein Malibu-Funboard. Ich hab' das immer noch. Ich hab's eigentlich verkauft, aber es kam zu mir zurück."

Mittlerweile beginnen die ersten Händler, Bretter und Neoprenanzüge nach Island zu importieren. Doch den Großteil ihrer Ausrüstung müssen die Polarkreissurfer auch heute noch im Internet bestellen.

Olsen greift sich sein Board und beginnt es zu wachsen. Im Kofferraum seines Jeeps liegen schwarze Neoprenanzüge mit Kapuze bereit.

"Wenn du in Island surfen willst, besorgst du dir als erstes einen vernünftigen Neoprenanzug. Wenn du ein tolles Brett hast, aber deine Füße nicht spürst, dann macht das keinen Spaß."

Nach jahrelanger Suche hat Olsen Neoprenanzüge gefunden, die dem isländischen Klima gewachsen sind. Eine fünf Millimeter dicke Gummihaut legt sich über seinen Körper. Nur das Gesicht bleibt frei. Damit die Füße im Eiswasser warm bleiben, greifen Olsen und seine Freunde aber auf eine jahrhundertealte Tradition zurück.

"Isländische Fischer haben schon immer Wolle getragen. Selbst wenn sie komplett nass ist, hält sie dich noch warm. Wenn es also richtig kalt ist, ziehen wir einfach Wollsocken unter unsere Neoprenschuhe."

Olsen geht ins Wasser. Seit einem Jahr entwickelt er mit einem Freund außerdem einen Woll-Poncho. Darunter sollen die Surfer auch bei Minusgraden ihren Neoprenanzug aus- und ihre normalen Sachen anziehen können, ohne zu frieren.
Mit seinen langen blonden Haaren, dem Schnurrbart und seiner kräftigen Statur sieht Olsen aus wie ein Wikinger. Doch die Grobheit täuscht. Eigentlich ist er Zahntechniker. Nach der Ausbildung wollte Olsen für ein Jahr nach Neuseeland gehen – dort arbeiten und surfen. Doch dann kamen der Bankenkollaps und die Krise.

"Ich hatte alles geplant. Ich habe hier im Herbst 2008 angefangen, als Zahntechniker zu arbeiten. Aber dann brach die Wirtschaft zusammen und ich war für mehrere Monate arbeitslos. Aber ich habe nebenberuflich schon immer als Outdoor-Guide gearbeitet. Also habe ich mich darauf konzentriert und mache das jetzt hauptberuflich, seit zwei Jahren."

Olsen blieb in Island und gründete ein Projekt namens Arctic Surfers. Er bietet die ersten Surfcamps auf Island an und will Leute weltweit so für die arktischen Wellen begeistern. Ob er jemals wieder als Zahntechniker arbeiten wird?

"Doch, klar. Aber später, wenn ich alt und steif und faul geworden bin."

Website Arctic Surfers