Der politische Künstler Ni Weihua

Farbe, die Risse betont

04:20 Minuten
Der Künstler Ni Weihua malt Risse an Wänden nach - in Shanghai nur eine scheinbar harmlose Beschäftigung
Nachzumalen, wo die Mauern brechen, ist in Shanghai nur scheinbar eine harmlose Beschäftigung. © Deutschlandradio / Markus Pfalzgraf
Von Markus Pfalzgraf |
Audio herunterladen
Im öffentlichen Raum Wände zu bemalen, ist in China schnell politisch. Ni Weihua zeichnet an abgelegenen Orten in Shanghai Mauerrisse nach – und fordert Bürger auf, mitzumachen. Über subtile Deutungskämpfe an den Mauern der Megacity.
Im nördlichsten Shanghaier Stadtbezirk Baoshan liegt das Atelier von Ni Weihua, in einem unscheinbaren Wohnblock. Kein Zufall, dass der Maler hier arbeitet, weit weg vom Zentrum: Er mag Graubereiche.
Die Räume sind mit dunklem Holz ausgekleidet, überall stehen bunte Plastikflaschen mit Acrylfarben, überall hängen und liegen seine Bilder. Viele sind abstrakt, dunkle Farben dominieren. Beinahe wäre ihm damit der Durchbruch gelungen.
Ni Weihua in seinem Atelier.
Der Künstler in seinem Atelier.© Deutschlandradio / Markus Pfalzgraf
"Meine Malerei war sehr anerkannt. Ich war schon auf der Liste für eine chinesisch-deutsche Kunstausstellung, aber leider hat's nicht geklappt. Große Namen wie Fang Lijun und Zhang Xiaogang waren auch dabei."

Malen auf Mauern: Schichten über Schichten

Ni Weihua, halblange schwarze Haare, blaugraues Hemd, Farbkleckse auf den Schuhen, hatte eine Idee: alten Strukturen an Mauern nachzuspüren.
"Ich finde es viel aufregender, auf Wänden zu malen. Da gibt es alte Zeichen von unbekannten Graffiti. Manchmal zeigen sie Konflikte: Zum Beispiel, wenn ein Aufkleber von Ordnungsbehörden übermalt wurde – und das dann wiederum von Jugendlichen übermalt wurde. Da sind Schichten über Schichten. Wenn man die gut nachzeichnet, ist das wie ein Totem."

Der "Kompressor" beschäftigt sich in einer Serie damit, "wo Kunst noch wehtut". Provokation, Tabubruch, Schock: All das kann, soll Kunst vielleicht auch auslösen. Aber womit kann man überhaupt noch schocken? Ist ein Tabubruch überhaupt noch möglich, in einer Zeit, in der alle Grenzen ausgetestet zu sein scheinen? Unsere Korrespondenten und Autoren porträtieren Künstlerinnen und Künstler, die in ihrem jeweiligen Heimatland für Diskussionsstoff sorgen.

Er nimmt uns mit an die Ränder der 25-Millionen-Metropole Shanghai, wo alles anders ist als am Bund mit den glitzernden Fassaden oder in den alten Konzessionsvierteln mit ihren kolonialen Bauten. Hier, in der Peripherie, gibt es Brachflächen.
Ni Weihua sucht sich mit Vorliebe unaufgeräumte und vernachlässigte Orten wie diesen aus.
Ni Weihua sucht sich mit Vorliebe unaufgeräumte und vernachlässigte Orten wie diesen aus.© Deutschlandradio / Markus Pfalzgraf
Ni Weihua zeigt uns einen halb abgerissenen Kindergarten, manche Wände stehen noch, in den Schutthaufen Gebrauchsgegenstände oder ein Stein des alten Brettspiels Mahjong.

Vergessene Orte

Wang Meiqin ist mitgekommen. Eine Kunsthistorikerin mit schwarzer Kleidung und kurz geschorenen Haaren, die inzwischen in Los Angeles lehrt. Sie erklärt, wie Ni Weihua nicht nur die Risse in den Wänden nachgezeichnet hat, sondern auch übermalte Aufkleber mit Telefonnummern illegaler Geschäfte, etwa von Migranten, die Pässe fälschen, um zu überleben.
Damit macht Ni Weihua die Probleme der Urbanisierung im modernen China sichtbar, findet Wang Meiqin.
"Menschen unterschiedlicher sozialer Hintergründe, vor allem Benachteiligte leben hier. Das sind vergessene Orte. Das zeigt die soziale Ungerechtigkeit bei der ungleichen wirtschaftlichen Entwicklung in China."

Alte Konflikte, neue Interaktionen

Hier hat Ni Weihua einfach Menschen aus der Gegend, aber auch andere Kunstinteressierte eingeladen, mitzumachen.
"Wenn wir damit rausgehen, bringen wir das Konzept des Nachzeichnens in den öffentlichen Raum. Es bekommt mehr Bedeutung, wenn es diese alten Konflikte freilegt und neue soziale Interaktion schafft."
Eins von Ni Weihuas Wandgemälde.
Eins von Nis Wandgemälden.© Deutschlandradio / Markus Pfalzgraf
Eine, die dabei war, ist die Berliner Künstlerin Doris Ernst, die derzeit in Shanghai lebt. Sie erzählt, wie Menschen verschiedener Hintergründe und allen Alters Farbtöpfe in die Hand gedrückt bekamen.
"Jeder durfte malen! Die Kinder haben mich am meisten beeindruckt, dass die nicht seinen Linien und seinem Konzept gefolgt sind, aber dass alles Teil eines großen Kunstwerks wurde und man dadurch eine Gemeinschaft wurde. Das hat Spaß gemacht und die Leute zusammengebracht."

Ni Weihuas Konzept verbreitet sich

Mit Ni Weihua geht es weiter in ein Industriegebiet. In riesigen Fabriken wird Stahl verarbeitet.
Hier hatte der Künstler ein einziges Mal Sorge, dass er Probleme bekommen könnte, als er an Wände malte. Aber die Polizei hatte es nicht auf ihn abgesehen, sondern auf illegale Straßenverkäufer.
Auch in einem Wald hat er gemalt, an einem kleinen Häuschen, hier ist Shanghai fast zu Ende. Im Grunde kann man überall Spuren und Schichten an Wänden und Mauern nachgehen.
Es gibt jedenfalls schon Nachahmer in Italien. Ni Weihua zeigt Bilder von Künstlern in Bologna, die seine Technik anwenden.
"Ich spreche viel mit Künstlern aus anderen Ländern über mein Konzept des Nachzeichnens, Tracing nennen wir es. Interessanterweise ist das in anderen Ländern oft ethnisch konnotiert. Die Themen sind da ganz andere als die, die wir hier haben."
Denn hier, an den Rändern Shanghais, geht es um ganz subtile Konflikte zwischen sozial Schwachen und Behörden, zwischen Neu und Alt, zwischen Abbruch und Aufwertung.
Mehr zum Thema