Der Popstar unter den Astronomen

Von Dirk Lorenzen |
Seine Berühmtheit steht der eines Michael Jackson kaum nach und er gilt als mindestens so genial wie Albert Einstein: Stephen Hawking. Heute vor 70 Jahren wurde der berühmte Kosmologe geboren. Dirk Lorenzen beantwortet die wichtigsten Fragen über sein Leben und Schaffen.
Wie wurde Stephen Hawking zum Popstar unter den Astronomen?
Der Weg war ihm jedenfalls nicht vorgezeichnet: Er war ein guter, aber keineswegs herausragender Schüler und sehr an Mathematik interessiert. Er wollte in Oxford studieren, wo damals Mathematik nicht angeboten wurde. Deswegen wählte er Physik, interessierte sich vor allem aber für die eher mathematiklastigen Teildisziplinen wie Thermodynamik, Relativitäts- und Quantentheorie. Nach dem Diplom begann er eine Doktorarbeit in Kosmologie. Zeitgleich brach seine schwere und immer fortschreitende Erkrankung des Nervensystems aus, die ihm alle motorischen Fähigkeiten genommen hat. Seit mehr als 40 Jahren ist er auf einen Rollstuhl angewiesen, ein Luftröhrenschnitt 1985 führte zum Verlust der Stimme. Doch er forscht weiter und hält sogar Vorträge: mithilfe eines Sprachcomputers, den er allein über Augenbewegungen steuert.

Mit welchen Erkenntnissen hat er wissenschaftlich für das größte Aufsehen gesorgt?
Hawking hat sich vor allem mit der Theorie Schwarzer Löcher befasst. Da geht es zunächst um Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die kurz gesagt eine Theorie der Schwerkraft ist. Aber Hawking hat auch Effekte der Quantentheorie bei Schwarzen Löchern untersucht, also Effekte der Theorie des ganz Kleinen. Und zur Verblüffung vieler hat er 1974 postuliert, dass Schwarze Löcher aufgrund von Quanteneffekten langfristig gleichsam verdampfen. Dabei galten Schwarze Löcher bis dahin als kosmische Einbahnstraßen, in die zwar alles hinein gelangen kann, aber nichts hinaus. Damit hat er die Physik über die Einsteinsche Relativitätstheorie hinaus entwickelt. In der Wissenschaft war das der Durchbruch - die breite Öffentlichkeit hat damals aber von ihm keine Notiz genommen. Von 1979 an war er für 30 Jahre auf dem Lehrstuhl in Cambridge tätig, den einst schon der große Isaac Newton innehatte.

Lässt sich das Verdampfen der Schwarzen Löcher beobachten?
Nein - diese Strahlung ist viel zu schwach. Dieses Verdampfen läuft über extrem lange Zeiten. Das ist fast ein wenig tragisch. Ließe sich diese inzwischen nach Hawking benannte Strahlung beobachten, so hätte er sicher längst den Physik-Nobelpreis. Aber ohne experimentelle Bestätigung bleibt es eine Theorie - und für Theorien gibt es keinen Nobelpreis, egal ob sie von Hawking sind oder nicht.

Natürlich spielen Schwarze Löcher in der Astronomie eine große Rolle, zum Beispiel das in der Mitte unserer Milchstraße. Dort befindet sich eines, das einige Millionen Mal soviel Masse hat wie unsere Sonne - andere sind sogar Milliarden Mal schwerer. Diese Schwarzen Löcher sind für die Galaxien sehr wichtig, für ihre Entstehung und Entwicklung. Aber Stephen Hawking interessiert sich bei Schwarzen Löchern vor allem für ihre grundlegenden Eigenschaften - denn da gibt es gewisse Dinge, die ähnlich sind wie beim Urknall, etwa die Vorstellung einer Singularität, also dass sehr viel Materie in einem Punkt vereint ist.

Wie stellt sich Hawking die Entstehung der Welt vor?
Er hat viel an dieser Singularität gearbeitet, die es nach den meisten Modellen auch beim Urknall gegeben hat. Für die Forscher sind Singularitäten eher unschön - wenn zum Beispiel alle Materie in einem Punkt vereinigt ist, dann werden die Dichten unendlich groß. Da versagen viele Theorien. Hawking hat ein Weltmodell vorgeschlagen, wonach es diese Probleme am Anfang der Welt nicht gibt. Das kann man sich etwa so vorstellen wie wenn man zum Südpol reist - da geht es zwar nicht weiter nach Süden, insofern ist man an einem ganz besonderen Punkt. Aber der Südpol ist keine harte Grenze. So ähnlich soll es zu Beginn der Welt gewesen sein.

So haben manche aus der Forschergruppe um Hawking Theorien entwickelt, dass wir in einem zyklischen Universum leben. Der Kosmos bläht sich auf, fällt irgendwann wieder zusammen und dann startet eine neues, anderes Universum. Und so geht es immer weiter. Aber auch ein Stephen Hawking kann über die Anfänge der Welt nur spekulieren. Er nähert sich dem Problem des Urknalls heute mehr von der philosophischen Seite - und mit viel Humor. In einem Vortrag fragte er einst rhetorisch, was denn Gott vor der Erschaffung der Welt gemacht habe? Und Hawking antwortete selbst, dass Gott vermutlich die Hölle geschaffen habe, für Menschen, die solche Fragen stellen.

Können die Astronomen-Kollegen in aller Welt ihm noch folgen?
Die meisten sicher nicht - und das liegt nicht an den technischen Hürden, mit Hawking zu kommunizieren. Es gibt eine Handvoll Theoretiker, die mit ihm auf diesem sehr speziellen Gebiet zusammenarbeiten. Aber viele Astronomen steigen da genauso wenig durch wie wir Laien. Das gilt übrigens auch für Hawkings vermeintlich populärwissenschaftliche Bücher. Ende der 80er-Jahre erschien die "Kurze Geschichte der Zeit". Ich kenne einige exzellente Profiastronomen, die mir offen gesagt haben, dass sie das Buch nicht verstehen. Die ersten 50 Seiten seien noch ganz verständlich, aber danach würde es unübersichtlich.

Dennoch ist Stephen Hawking ein absoluter Medien-Superstar!
Sein Status als Medienstar geht sicher weniger auf seine wissenschaftliche Exzellenz zurück, als vielmehr auf seine tückische Erkrankung. Das treibt ja merkwürdige Blüten: Er kam in der Zeichentrickserie "Simpsons" vor, in Pop-Liedern unter anderem von Pink Floyd und er spielte in Science-Fiction-Filmen mit. In einem besiegt er Isaac Newton und Albert Einstein beim Kartenspiel - das kann man witzig finden oder sehr eitel. Für mich ist das meiste der heutigen Hawking-Begeisterung eine Art von Voyeurismus. Da ist jemand, der körperlich extrem eingeschränkt ist, aber dennoch nahezu genial. Allerdings macht er sicher auch vielen Menschen Hoffnung, dass sich solche Handicaps überwinden lassen.

Stephen Hawking wird heute 70 - was ist wissenschaftlich noch zu erwarten?
Seine größte Zeit als Forscher liegt schon einige Jahrzehnte zurück. Theoretiker sind oft in jungen Jahren viel produktiver als im gesetzten Alter. Das gilt sicher auch für Stephen Hawking. Mit seinem letzten Buch, "Der große Entwurf", hat er viele enttäuscht. Denn es war kosmologisch nichts Neues, außer vielleicht der Tatsache, dass Hawking offenbar aufgegeben hat, nach der berühmten Weltformel zu suchen. Damit meint man eine Theorie, die die Relativitätstheorie und die Quantentheorie zu etwas noch Größerem vereint. Hawking hat da bei den Schwarzen Löchern seinerzeit einen sensationellen Schritt getan - aber bei den allergrößten Fragen des Kosmos kommt wohl nicht einmal er weiter.